60 Jahre Lust auf Urlaub: Für Deutsche östlich der Elbe begann die Reisefreiheit erst mit der Einheit. Heute geht es gemeinsam auf Kreuzfahrt
Beginn der Ferienzeit: Für uns Deutsche ist das seit dem Wirtschaftswunder der Startschuss für die große Reisewelle. Wohin wir fliegen oder schippern ist kein Zufall. Bei der Zielauswahl lassen wir uns vom Zeitgeist leiten. Woher der bislang wehte zeigt unser nostalgischer Streifzug durch die vergangenen Jahrzehnte.
Die 50er Jahre
Zwölf Tage Urlaub pro Jahr stehen Anfang der Fünfziger jedem Beschäftigte per Gesetz zu. Doch das Geld ist knapp. Erst als sich das Wirtschaftswunder ab 1955 in den Brieftaschen niederschlägt, werden Urlaubsreisen für die breite Masse erschwinglich. Noch sitzt der Schrecken der Kriegszeit tief, und so träumen die Bundesbürger von einer heilen Welt mit idyllischen Postkartenlandschaften. In den Kinos boomte der deutsche Heimatfilm dank Kassenschlagern wie „Grün ist die Heide” (1951) oder „Die Fischerin vom Bodensee” (1956), was die Lust, deutsche Regionen zu bereisen, noch stärker anfacht. Besonders, da sie mit dem Reisetransportmittel Nummer eins, der Bahn, gut zu erreichen sind. Das oberbayerische Ruhpolding wird zum ersten deutschen Massenziel. Doch auch an Italien entzündet sich das Fernweh. Bereits 1956 zieht es viereinhalb Millionen Deutsche ins Land, wo die Zitronen blühen. Schlager wie Rocco Granatas „Marina” oder „Tschau Tschau bambina” bringen die Urlaubsträume der Adenauer-Ära in Schwung.
Die 60er Jahre
In den Sechzigern verbringt man die Ferien am liebsten im eigenen Land, in Österreich oder im heißgeliebten Italien. Liebstes Reiseverkehrsmittel ist inzwischen das Auto. Kilometerlang staut es sich im Sommer auf der Brenner-Autobahn. Der Käfer rollt unermüdlich, die Strände der Riviera werden zum „Teutonengrill”. Auch wenn die meisten ihren Urlaub noch selbst organisieren, kündigt sich bereits das Zeitalter der Pauschalreise an. Große Reiseveranstalter entstehen: 1964 wird Neckermann-Reisen gegründet, 1967 TUI. Mit dem Pauschalurlaub bekommen auch die Flugreisen Auftrieb: 1963 führt die Lufthansa die Strecke von Frankfurt nach Palma de Mallorca ein. Anfangs fliegt man mit 254 Passagierplätzen pro Woche, vier Jahre später sind es schon doppelt so viele. Vom Reiseziel USA können die meisten wegen des hohen Dollarkurses nur träumen. Aber das tun sie ausgiebig: Als John F. Kennedy 1963 bekennt, Berliner zu sein, wird alles Amerikanische noch schicker und Schlagersternchen Gitte wünscht sich „’nen Cowboy als Mann”.
Die 70er Jahre
Ölkrise, Wirtschaftskrise und RAF bestimmen die Schlagzeilen der Siebziger. Der Reiselust der Bundesbürger tut das keinen Abbruch: Urlaub ist zu einem festen Bestandteil des Wohlstand-Lebens geworden. Die Arbeitszeit sinkt, der Sozialstaat wird grüßer und Rudi Carrell lässt „Am laufenden Band” Konsumwaren wie Kaffemaschinen, Schaukelstühle oder Urlaubsreisen am Publikum vorbeiziehen. Deutsche Ferienregionen haben ihren Reiz inzwischen stark eingebüßt. Wer auf sich hält und es sich leisten kann, fliegt nach Griechenland, Jugoslawien und Spanien.
Die 80er Jahre
Die Bundesdeutschen entdecken die weite Welt für sich: Es dürfen jetzt so exotische Gefilde wie Tunesien, die Türkei, Thailand oder die Karibik sein. Und zaghaft auch: Florida. Ab Dezember ’86 stimmen die pastelligen Rolex-Polizisten Riccardo Tubbs (Philip Michael Thomas) und Sonny Crocket (Don Johnson) von „Miami Vice” die westdeutsche TV-Nation auf das Lebensgefühl des Sonnenschein-Staates ein. Die Serie wird stilbildend für den Rest des Jahrzehnts. Im Osten fällt im letzten Jahr der Dekade die Berliner Mauer und löst eine neue deutsche Reisewelle aus. Lange mussten sich die DDR-Bürger bei den Urlaubzielen auf die sozialistischen Bruderstaaten beschränken. Jetzt wollen sie endlich – wie bei den Montagsdemos auf Plakaten gefordert – „visafrei bis nach Hawaii”.
Die 90er Jahre
Die ersten Reisejahre nach der Wende führen die Ostdeutschen nicht rund um den Globus, sondern vor allem in die alten Bundesländer. Die frischgebackenen BRD-Bürger wollen die geeinte Heimat erkunden: auch mal durch den Bayrischen Wald wandern oder Hamburg sehen. Bei den Westdeutschen stehen weiterhin Fernreiseziele hoch im Kurs. Die Dominikanische Republik wird zur Mutter des All-Inclusive-Urlaubs. Gleichzeitig bringen die neuen Urlaubsparks synthetisches Exotik-Flair in heimische Breiten. Nach dem Nordsee-Tropen-Park in Tossens und dem Grand Dorada Heilbachsee in der Eifel errichtet Center Parcs im Juli 1995 in der Lüneburger Heide seine erste deutsche Ferienwelt unter Glas.
Die 00er Jahre
Am 1. Januar 2002 löst der Euro die D-Mark ab. Schnell hat die neue Währung ihren Schimpfnamen als „Teuro” weg. Für vieles muss man nun tiefer als zuvor in die Taschen greifen, doch die Reisepreise befinden sich ab 2002 im Sinkflug. Und Germanwings bringt als Vorreiter die ersten Günstig-Flug-Tickets ab 19 Euro unters Reise-Volk. Andere Airlines ziehen nach, die Nation fliegt zum „Taxipreis” kreuz und quer durch Europa. Gebucht wird online: Ohne Internet läuft im Alltag nur noch wenig. Auch der Seeweg wird für Urlaubsreisen interessant. Tausende entern die Kreuzfahrtdampfer und bescheren der bis dahin sachte dümpelnden Branche einen Boom. 2009 checken 414 000 Passagiere beim Marktführer Aida ein. Die beliebtesten Routen führen durch Gewässer, die deutsche Urlauber schon Jahrzehnte zuvor magisch anzogen: Nord- und Ostsee und – natürlich – das Mittelmeer.