Immer am Neckar entlang: Die vortreffliche Route führt durch tiefe Täler und romantische Städte.
Villingen-Schwenningen.
Der Ort, an dem der Fluss Neckar entspringt, hat einen morbiden Charme: Das Schwenninger Moos ist ein kleines Moor, um dessen zentralen See ein Bohlenweg führt. Passend dazu markiert ein verwittertes Schild „des Neckars Ursprung“.
Das sei die touristische Neckarquelle, stellt Moosführer Michael Rüttiger vom nahen Umweltzentrum klar. Der geografische Ursprung des Flusses liegt ein Stückchen weiter, am Auslauf des Moorsees. In heißen Sommern, wie sie Deutschland in den vergangenen Jahren häufig erlebte, fällt er komplett trocken. Der See selbst sei inzwischen so flach, dass die Silberreiher fast überall stehen könnten.
So klein das Naturschutzgebiet auch sei, führt Rüttinger aus, so reich sei es an Vogelarten. Seltene Krickenten brüten hier, an einer von nur zwei Stellen in ganz Deutschland. Zugvögel auf dem Weg nach Süden oder zurück rasten in dem Feuchtgebiet.
Noch eine Besonderheit findet sich im Schwenninger Moos: Es entwässert – auf der europäischen Hauptwasserscheide gelegen – sowohl in die Donau als auch über den Neckar in den Rhein. Schwarzes Meer oder Nordsee also, das ist hier die Frage. Dieser besondere Ort ist ein guter Ausgangspunkt für eine ausgedehnte Radreise.
Mit dem Fahrrad entlang des Neckars
Die historische Neckarquelle sprudelt an einem anderen Ort: im Park der Schwenninger Landesgartenschau 2010. Ein Zeitungsleser aus Bronze sitzt am Rand und verweist auf den Sponsor des Ensembles, die örtliche Tageszeitung namens „Neckarquelle“.
Aus dem Brunnen fließt Leitungswasser, erklärt Rüttiger, das wiederum aus dem Bodensee stammt. Der Brunnen dient als verlässliches Fotomotiv für die Radwanderer, die hier neckarabwärts starten – „den württembergischsten aller Flüsse“ entlang, wie Rüttiger sagt. Nur die letzten 20 Kilometer vor der Mündung bei Mannheim seien badisch. Insgesamt misst der Neckartal-Radweg immerhin rund 370 Kilometer.
Auch Jahrzehnte nach der Entstehung des Landes Baden-Württemberg sind solche Fragen wichtig, gerade in Villingen-Schwenningen. Das badische Villingen mit einem sehenswerten frühgotischen Münster wurde in den 1970er Jahren mit dem weit jüngeren württembergischen Schwenningen zusammen gespannt. Von einer Musiklehrerin aus Schwenningen erfährt man, dass sich bis heute sogar die Notenhefte unterscheiden.
Anfangs ist der Neckar ein kaum erkennbares Rinnsal, eher ein grüner Graben, und die Orientierung nicht ganz einfach. Bei der Ankunft in Rottweil führt die Frage nach der Altstadt zum letzten Irrweg des Tages: Die „Altstadt“ ist ein Stadtteil, der auf die römische Gründung zurückgeht und unten im Neckartal liegt. Als Radfahrer sucht man aber eigentlich die Innenstadt, die woanders liegt. So darf man noch einen steilen Berg vom Bahnhof hinauf schieben.
Rottweil ist die Stadt der Türme
Rottweil ist die älteste Stadt in Baden-Württemberg. Der antike Vorläufer Arae Flaviae besaß im 2. Jahrhundert n. Chr. als einzige römische Siedlung zwischen Rhein und Augsburg römisches Stadtrecht. Ein Römerpfad und das Dominikanermuseum erklären die Geschichte. Noch anschaulicher wird sie mit Stadtführerin Margot Groß.
Die „Altstadt“ unten am Fluss sei bis heute Grabungsschutzgebiet, so erklärt sie. Oben in der heutigen Innenstadt ragen die Bürgerhäuser stolz auf, die Kirchen und Türme ragen noch höher. Berühmt ist das Schwarze Tor. Zur Fastnacht springen die Narren darunter hervor. Eine Jahrhunderte alte Zunft hat dann das Sagen.
Neues Wahrzeichen Rottweils ist der Testturm von Thyssenkrupp. Die Aussichtsplattform liegt imposant auf 232 Meter Höhe. Zwölf Aufzugschächte im Innern dienen der Erprobung von Material und schnellen Lösungen für die Zukunft. Vom Platz vor dem Dominikanermuseum aus könne man den Turm bestens betrachten, sagt Margot Groß, bevor sie zum Aufbruch mahnt. Die Radstrecke nach Horb, 52 Kilometer lang, sei nicht zu unterschätzen.
Die Muskeln kommen an ihre Grenzen
Der Weg führt immer wieder am Hang hoch hinauf. Rasant geht er dann wieder hinunter zum Fluss, um bald wieder anzusteigen. Schieben ist angesagt. „Sie brauchen ein E-Bike!“ Diesen Satz hört man oft. Mehr Kondition würde für den Moment schon reichen.
Nur noch wenige Radfahrer sind konventionell mit Muskelkraft unterwegs. Die meisten verlassen sich auf elektrische Unterstützung. Angesichts des Gepäcks und der Bergstrecken nicht so dumm.
Am Oberlauf macht der Neckar noch wenig her. Der viertgrößte Nebenfluss des Rheins plätschert durch ein tief eingeschnittenes, bewaldetes Tal, das unter den hoch aufragenden Brücken besonders imposant wirkt. Als Autofahrer oben auf der Autobahn Richtung Stuttgart nimmt man das Flusstal kaum wahr, unten in der Tiefe öffnen sich schöne Blicke – auf Miniaturbuchten zum Rasten und Füße ins Wasser halten.
Besuch in Horb und Rottenburg
Im späten Licht des Nachmittags taucht die Stadt Horb auf, das zweite Etappenziel, pittoresk gestaffelt am Steilhang über dem Fluss. Man will es kaum glauben: Das Hotel liegt ganz oben in der Altstadt. Eine gepflasterte „Marktsteige“ führt hinauf. Irgendwann kehrt die Energie zurück für den Spaziergang hinunter zum Fluss.
Die Einheimischen haben es sich in den Gärten am Hang und auf den Terrassen am Fluss bequem gemacht. Tafeln erklären die Schifffahrtsgeschichte. Schon seit dem Mittelalter waren Flößer und Schiffer unterwegs. Dampfschiffe fuhren ab 1841, später Kettenschlepper und Motorschiffe. Von Mannheim bis Stuttgart ist der Fluss heute schiffbar und mit Staustufen reguliert. Hier in Horb fließt er noch schmalbrüstig im alten Bett.
Die dritte und letzte Etappe dieser Radreise führt zunächst nach Rottenburg mit seinem einladenden Marktplatz. Eine Vierergruppe mit E-Bikes gönnt sich ebenfalls einen Kaffee. Bis Heidelberg soll ihre Tour gehen. Mehrmals hat man sie schon überholt – und umgekehrt. Sie sind schneller unterwegs, machen aber längere Pausen.
Hinter Rottenburg öffnet sich das Tal. Nun rollt man gemächlich auf die Universitätsstadt Tübingen zu, das Ziel dieser Reise. Eine Stadt wie aus dem Bilderbuch, mit bunter Neckarfront und Stocherkähnen. Hier wird der Fluss wirklich zum Fluss – imposant und breit. (dpa)