Im Ferienmonat August suchen die meisten Pariser das Weite. Obwohl die Stadt so gut wie ausgestorben ist, müssen die Bäcker per Dekret von 1790 die Stellung halten. Das Trauma von der großen Hungersnot, die die französische Revolution mit auslöste, währt bis heute – die Bäckersleute müssen einen Notdienst wie die Apotheker einrichten.
Paris.
Die sonst so wuselige Seine-Metropole gibt im Ferienmonat August ein sonderbares Bild ab: Sie wirkt wie ausgestorben. In welches Quartier man auch kommt dasselbe Bild: Das stets stark frequentierte Bistro hat die Rollläden heruntergelassen. Eine ganze Stadt im Dämmerschlaf? Nein. Nur der Bäcker hält die Stellung. Weil er muss.
Sogar auf allerhöchste Anordnung des Pariser Präfekten. Ein berühmter Erlass der Revolutions-Regierung von 1790 will es so. Jeder Bürger hat demnach ein verbrieftes Recht darauf, dass es in seiner unmittelbaren Nachbarschaft eine geöffnete Bäckerei gibt.
An sechs Tagen geöffnet Vor bald 30 Jahren, als junger Bäckergeselle, ist Christian Leduc von Valenciennes wagemutig in die Hauptstadt gezogen. Ein Schritt, der belohnt wurde: Seit sechs Jahren betreibt er am quirligen Boulevard Voltaire im XI. Arrondissement eine florierende Bäckerei – natürlich nicht vom Schreibtisch aus: Meister Leduc steht selbst morgens und abends in der wohlig duftenden Backstube.
Auch jetzt. „Wenn ich könnte, würde ich wegfahren und die Bäckerei dichtmachen“, gibt der „Boulanger“, wie die Franzosen ihre Bäcker nennen, freimütig zu. Doch in diesem Jahr muss er bleiben. Seine Boulangerie hat nun sogar dienstags und somit an sechs statt sonst an fünf Tagen geöffnet. Während seine Kunden in Biarritz den großen Zeh in atlantische Wogen halten, schlägt Bäckermeister Leduc die unerbittliche Hitze des Backofens entgegen.
Testsieger: „Macht satt und schmeckt super.“
Bäcker: Backbord, Preis: 27 Cent, Gewicht 52 Gramm, Urteil: neun von zehn Sternen.
Wenn in einem Punkt bei uns Testern Übereinstimmung zu diesem Brötchen herrscht, dann bei der Konsistenz: „Genau so muss ein Brötchen sein.“ Außen ist das ovale Gebäckstück goldbraun und knusprig, innen „wunderbar weich und fluffig“. Vier von fünf Testern sagen: „Macht satt und schmeckt super.“ Schulz hingegen widerspricht: „Langweiliges Brötchen, riecht und schmeckt nach nichts.“ Ändert aber nichts.
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„Perfekte Form, schön kross und gut im Biss.“
Bäcker: Kamps, Preis: 27 Cent, Gewicht: 54 Gramm, Urteil: acht von zehn Sternen.
Die Form erinnert an ein standardisiertes Massenprodukt. Gibt es eine DIN-Norm für Brötchen? Perfekt oval geformt, farblich sehr ansprechend, mittelgroß und sehr gut im Biss. Die Kruste ist schön kross und das Innere überzeugt durch ausgewogene Dichte. Doch der Geruch? Die Antworten gehen von „nicht existent“ bis „angenehm dezent“. Nur den Geschmack von Fuhrmeister trifft es nicht: „Zu dunkel, trocken und fad.“
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Kontroverse um den dritten Platz
Bäcker: Holtkamp, Preis: 29 Cent, Gewicht: 54 Gramm, Urteil: acht von zehn Sternen.
„Nicht ohne Mett und Zwiebeln essen“, rät Appelt zum Verzehr dieses Brötchens. Zu schnell verflüchtigen sich Eigengeschmack und Geruch. Doch seine Kritik steht fast alleine. Nur Schulz pflichtet bei: „langweilig“ sei es. Drei Testern springt beim Genuss der Gaumen in die Höhe. Spitzenwerte vergeben Spletter („reichhaltig“), Fülbeck („ideal, schön weich“) und Fuhrmeister („sehr zart“) für Konsistenz und Geschmack.
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Ein überraschend anderes Brötchen
Bäcker: Troll, Preis: 42 Cent, Gewicht: 60 Gramm, Urteil: sieben von zehn Sternen.
Überraschender erster Eindruck: sehr hell, sehr rund und der Geruch leicht süßlich – eher Stutenkerl als Brötchen. „Ist das richtig durchgebacken?“, fragt Fülbeck. Wohl schon, denn roher Teig zeigt sich nicht. Aber knusprig ist es auch nicht, eher etwas zäh, so das übereinstimmende Testurteil. Doch der reich- und nachhaltige Geschmack überzeugt: „Lecker, macht Lust auf mehr“, urteilt Schulz und vergibt ihre persönliche Bestnote.
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Von „laff und trocken“ bis „voll saftig“
Bäcker: Peter, Preis: 28 Cent, Gewicht: 56 Gramm, Urteil: sieben von zehn Sternen.
„Das schmeckt richtig nach Brötchen“, urteilt Spletter, vom Knautsch- und Knusperfaktor sichtlich angetan. Geruchs-Check: „Angenehm, wie beim Bäcker“, so Fülbeck. Die goldbraune, etwas zu helle Optik ist ein Plus, verschleiert aber, dass das Brötchen recht krümelig ist. „Laff und trocken“, kritisiert Fuhrmeister. Appelt protestiert: „Dein’s vielleicht. Mein’s ist voll saftig.“ Nein, auch dieses Urteil ist nicht einstimmig.
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Ein Karnaper mit Cornflakes-Geschmack
Bäcker: Gatenbröcker, Preis: 28 Cent, Gewicht: 56 Gramm, Urteil: sieben von zehn Sternen.
Wer Cornflakes mag, wird dieses Brötchen lieben. Mit Spletter und Appelt wundern sich zwei Juroren über die ausgeprägte Cerealien-Note in der Kruste. Sonst fällt es durch wenig Besonderheiten auf. Doch: es ist relativ groß und auf der Oberseite tief eingeschnitten, beim Backen ist eine hohe und spitze „Knusperfurche“ entstanden. Geschmacklich reichen die Kommentare von „okay“ und „normal“ bis „klassisch“.
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Oberes Mittelfeld, aber mit Abstand zur Spitze
Bäcker: Van Veelendaal, Preis: 27 Cent, Gewicht: 48 Gramm, Urteil: sieben von zehn Sternen.
Einen krossen Hügel auf der Oberseite sucht man vergebens. Dennoch entsteht bei Appelt der Eindruck: „Hochwertiges Markenbrötchen.“ „Innen schön fluffig, außen schön knusprig“, lobt Fuhrmeister. Doch das Tester-Duo steht allein auf weiter Flur. „Eher durchschnittlich“, bewertet der Rest das Teigprodukt, da sich Form, Größe, Geruch und Konstistenz kaum von den Mitbewerbern abheben können.
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Knusper-Kruste überzeugt die Mehrheit
Bäcker: Welp, Preis: 30 Cent, Gewicht: 48 Gramm, Urteil: sechs von zehn Sternen
Sehr dunkel kommt das Brötchen daher, das rein optisch gut einem Werbeprospekt für das Bäckerhandwerk entschlüpft sein könnte. Die Tester-Meinungen gehen auseinander: die einen erleben einen speziellen, ausgeprägten Geschmack. Wonach? Keine Ahnung, aber ganz lecker. Die anderen, das Duo Appelt/Fuhrmeister, urteilen „laff“ beziehungsweise „blass“. Was aber die Mehrheit überzeugt ist die knusprige Kruste.
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Das „Krümelmonster“ unter den Testobjekten
Bäcker: Schmitz, Preis: 28 Cent, Gewicht: 54 Gramm, Urteil: sechs von zehn Sternen
Auf dem Teller liegt nun ein großer und wuchtiger Brötchen-Brocken. Dessen dunkles Äußere verspricht einen hohen Knusperfaktor. Und tatsächlich, beim herzhaften Hineinbeißen ist das Knuspern deutlich zu hören. Doch Halt: es regt sich Widerstand. Fülbeck bemängelt, dass er seinen Teller vor lauter Krümeln kaum noch sehen kann: „Schmeckt mir nicht, viel zu trocken.“ – „Aber trotzdem lecker“, kontert Appelt.
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Kantiges Urteil für rundes Brötchen
Bäcker: Küpper-Fahrenberg, Preis: 28 Cent, Gewicht: 52 Gramm, Urteil: fünf von zehn Sternen
Der Urteil fällt, – entgegen der Form des Backlings – sehr unrund aus. Noch einmal wird klar, wie sehr die Geschmacks-Erlebnisse auseinander gehen. Für Schulz riecht das Brötchen „wie ein alter Stutenkerl“, während Fülbeck in erster Linie das dicht gefüllte und leckere Innenleben lobt. Doch in der Brötchentüte scheinen die Unterschiede überhaupt groß zu sein. Bei kaum einem Testobjekt gingen die Urteile so weit auseinander.
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Die Optik täuscht: ein krümelnder Ballon
Bäcker: Borbäcker, Preis: 28 Cent, Gewicht: 48 Gramm, Urteil: vier von zehn Sternen
Nach dem Verzehr muss erstmal der Tisch gesäubert werden. „Krümelt ja total“, so das Urteil. Auch am Äußeren gibt es Kritik: „Aufgeplustert und ballonförmig.“ Die dünne Kruste ohne Eigengeschmack verbirgt aber ein Inneres, das bei zwei Testern gut ankommt. Trotz intensiven Schnupperns ist kein typischer Brötchengeruch erkennbar. Es fällt im Test durch, so wie seine vielen Krümel durch die Tischzwischenräume auf den Fußboden.
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Zu trocke: Genug Getränke bereithalten
Bäcker: Franz-Sales-Haus, Preis: 25 Cent, Gewicht: 48 Gramm, Urteil: drei von zehn Sternen
„Blass im Erscheinungsbild, neutral im Geruch und sehr trocken“, bemängelt Appelt. Widerspruch erfährt er von den übrigen Testern nicht. „Da braucht man ja sofort was zu trinken“, pflichtet Fuhrmeister bei. Auch ein Unterschied zwischen Kruste und Teigmasse ist nicht erkennbar. Es herrscht Einigkeit: Dieses Brötchen schafft es nicht aufs Siegertreppchen. Zu beliebig ist der Geschmack, auch das Auge mag hier nicht mitessen.
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„Leichtgewicht“ kann nicht überzeugen
Bäcker: Johannisbauer, Preis: 29 Cent, Gewicht: 42 Gramm, Urteil drei von zehn Sternen
Es präsentiert sich ein im wahren Wortsinn „glänzendes“, eher längliches Leichtgewicht, dessen goldbraune Kruste Erwartungen weckt, die das Brötchen nicht halten kann. Sie täuscht darüber hinweg, dass kaum Eigengeschmack vorhanden ist. „Flach und stumpf“ und „zu laff“, so die Kommentare. Auch der Grund des geringen Gewichts ist schnell gefunden: Luftlöcher im Inneren, „es wirkt richtig hohl“, so Fülbeck.
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Rote Laterne „Pappig und unspektakulär“
Bäcker: Backwerk, Preis: 19 Cent, Gewicht: 58 Gramm, Urteil: drei von zehn Sternen
„Wie im Heimofen aufgebacken“, urteilt Appelt. Es erinnert ihn an industriell gefertigte „Instant-Rohlinge“, die ab und zu auf seinem Frühstückstisch landen. „Schmeckt nach nix, riecht nach nix, ist öde“, sagt Spletter. Und Fülbeck wundert sich, wie so viel Teigmasse in so wenig Brötchen passt: „Könnte schwer im Magen liegen.“ Erstmals kommt die Jury zu einem einhelligen Ergebnis: zu „pappig“ und „unspektakulär“.
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Ein 222 Jahre alter Erlass stellt die Pariser Bäcker auf dieselbe hohe Stufe wie Ärzte und Apotheker. Schließlich geben die Männer mit der mehlbestäubten Schürze dem hungrigen Volk das täglich’ Brot und dienen damit auf ihre Weise der Volksgesundheit. Per Gesetz sind sie deshalb ebenso gezwungen, einen detailliert ausgearbeiteten Notdienst einzurichten.
1200 Bäcker versorgen die Zwei-Millionen-Metropole tagaus tagein mit traditionellen Baguettes, duftenden Buttercroissants und leckerem Gebäck. 600 Ofenkünstler haben im August Dienst, die anderen 600 dürfen schließen.
Bäcker Christian Leduc gehört zur „Groupe II“, die diesmal dienstverpflichtet ist. „Der Weg zum nächsten Bäcker darf auch in der Urlaubszeit nicht länger als dreihundert Meter sein.“
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