Nicht wundern: In Berliner Parks sind neuerdings Touristen im Rahmen von Städtetouren zum Müllsammeln unterwegs. Was hat es damit auf sich?
Berlin.
Im Urlaub Müll sammeln? Das finden manche Touristen gar nicht so schlecht. In Berlin haben sich jetzt erstmals zwei Bezirke mit einem Anbieter von Stadtführungen zusammengetan. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls bieten sie eine Tour mit drei Programmpunkten: erst etwas Ost-West-Geschichte in der Gedenkstätte Berliner Mauer, dann wird eine Stunde geputzt, am Ende wartet ein Picknick zur Belohnung. Also nicht wundern, wenn Dutzende von Leuten mit Handschuhen und orangefarbenen Westen im Park Scherben, Kippen und Taschentücher aufsammeln. Die machen das aus Spaß und weil sie es sinnvoll finden.
Berlin wird nicht so von Touristen überrannt wie Venedig. Aber auch in der Hauptstadt sind manche genervt von nächtlich ratternden Rollkoffern, Ferienwohnungen und Partytouristen. Die Hauptstadt wächst, der Tourismus boomt nach wie vor. Wo viele Leute sind, ist auch viel Müll. „Übernutzung“ nennen das die lokalen Politiker. „Overtourism“ ist ein internationales Schlagwort. Heißt: zu viele Touristen.
Nachmittag mit Putzaktion
Tourismus kann auch gute Seiten haben. Das soll der Nachmittag mit der Putzaktion, dem „Cleanup“ zeigen.
Die Sonne brennt auf dem Treffpunkt am Nordbahnhof, der fast steril wirkt. Vom berüchtigten Berliner Dreck keine Spur. Zigarettenkippen oder die vielen Hundehaufen? Die hätten sie noch gar nicht gesehen, sagen Nicky Jenkins und Jo Tuna aus England. „Eure Stadt ist so sauber.“ Aber sie ahnen, wie der nicht weit entfernte Mauerpark nach dem Flohmarkt vom Wochenende aussehen könnte: ziemlich dreckig nämlich. Die beiden finden, dem Ort, den man besucht, sollte man etwas zurückgeben. Deswegen wollen sie beim Putzen mitmachen.
„Tourismus kann ein Problem sein“, sagt Paolo Gruni, ein Schauspieler, der das aus seiner italienischen Heimat kennt. So eine Müllsammel-Tour fände er auch für Florenz gut. Aus Delhi ist die Studentin Hiral Arora dabei. Berlin sei dreckiger als andere europäische Städte, aber viel sauberer als Indien, sagt sie. Der Berliner Rentner Reinhard Kaiser findet die Idee zur Tour witzig und gehört nicht zu denen, die über Touristen jammern. „Es ist doch ein lebendiger Teil der Stadt.“
Edinburgh, Amsterdam, Paris und Barcelona
Ähnliche Müllsammel-Aktionen gab es laut dem Touranbieter „Sandemans New Europe“ schon in Edinburgh, Amsterdam, Paris und Barcelona. In Berlin kommt der Veranstalter auf 75 Teilnehmer. „Es ist immer erstaunlich, wie beliebt das ist“, sagt Sandemans-Chef David O’Kelly. Die Wirtschaftsstadträtin von Berlin-Pankow, Rona Tietje, sieht die Chance, dass Einheimische und Besucher dabei ins Gespräch kommen. „Unser Ziel ist es, für nachhaltigen Tourismus zu sensibilisieren“, sagt sie. Die Tour ist kostenlos. Im September sind noch zwei Termine geplant. Wenn es weiter gut läuft, könnte das Projekt fortgesetzt werden.
Ob alle so akribisch bei der Sache sind wie die beiden Engländerinnen Nicky Jenkins und Jo Tuna? Die beiden 52-Jährigen beugen sich über die Gebüsche im Mauerpark, als kämen sie von der Spurensicherung. Sie fischen Bierflaschen und Kippen heraus, als müssten die noch ins Labor. Sie finden das Müllsammeln einfach sinnstiftend. „Ich mache das bestimmt wieder“, sagt Jenkins. Ihre Begleiterin findet: „Urlaub ist, was man daraus macht.“ (dpa)