Maya-Schamanen auf Halbinsel Yucatán plagen Nachwuchssorgen
Mit Hilfe von Schamanen wurde das Wissen der Maya auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán über Generationen hinweg bewahrt. Doch inzwischen interessieren sich nur noch wenige junge Mexikaner für das Erbe ihrer Vorfahren. Die Suche nach geeigneten Nachfolgern gestaltet sich vielerorts schwierig.
Merida.
Die Sonne hat tiefe Furchen in Donatos gebräuntes Gesicht gegraben. Sie erzählen von harter Arbeit und einer Weisheit, die droht, langsam verloren zu gehen. Donato ist ein Schamane der Maya. Einer, der das Jahrtausende alte Wissen seines Volkes auf der Yucatán-Halbinsel in Mexiko bewahrt.
Yucatán ist Maya-Land – auch heute noch, 500 Jahre nach der Ankunft der Spanier. Über die ganze Halbinsel verteilen sich die alten Tempelanlagen. Die koloniale Millionen-Stadt Merida im Landesinneren ist gar gebaut aus den Steinen der Maya-Stadt Ti’ho. Denn bis in die 40er Jahre hinein wusste man die kulturellen Schätze des indigenen Volkes nicht zu beschützen. Heute kümmern sich Männer wie Gustavo Novelo Rincón um die Ruinen. Für den Archäologen ist die Arbeit in den Tempelanlagen Berufung – und die Chance, die eigene Herkunft zu erforschen. „Aber leider sind junge Menschen nicht mehr daran interessiert, das alte Wissen zu bewahren. Sie schämen sich, anstatt stolz auf ihre kulturelle Herkunft zu sein“, sagt der 40-Jährige.
„Indianer“ ist fast eine Beleidigung
Es ist ein Problem, das sich durch das gesamte ehemalige Herrschaftsgebiet der Maya zieht. Auch Heiler Donato findet keinen Nachfolger, der bereit ist, ihn auf seinen regelmäßigen Gängen in die Wälder zu folgen. Für moderne Mexikaner grenzt es schon an eine Beleidigung als „indigena“, als Indianer, bezeichnet zu werden. Und so sterben Männer wie Donato langsam aus. Dabei sind die 25 Familien im Dorf El Naranjal auf sein über Generationen überliefertes Können und die kostenlosen Behandlungen angewiesen.
Donato, der sein Alter auf etwa Ende 70 schätzt, schiebt sich die abgewetzte Kappe aus dem Gesicht und zeigt auf ein kleines Gewächs am Boden: Kutzkabam gegen Gelenkschmerzen. Daneben Dormilona gegen Schlafstörungen, Guarumbo gegen Diabetes und Nierensteine. Für die meisten Pflanzen und Bäume kennt der Heiler ausschließlich die Bezeichnung in der Maya-Sprache, Spanisch spricht er nur gebrochen.
Auch in den archäologischen Stätten von Uxmal und Kabah, dem Arbeitsplatz von Gustavo Novelo, wird das alte Wissen noch benötigt. Viele Arbeiter sind „indigenas“, die von ihren Verwandten einiges über die Kultur ihrer Vorfahren gelernt haben und wichtige Hinweise zu der antiken Bauweise geben können. „Für die Maya ist es, als würden sie hier im Haus ihrer Großeltern arbeiten. Manchmal steht ein Arbeiter einfach nur da, sieht zu und versucht sich vorzustellen, wie es hier wohl vor 1000 Jahren gewesen sein mag“, weiß Gustavo.
Steine werden mit Holzrollen bewegt
Die Ruinen liegen verlassen in der prallen Mittagssonne. Nur vereinzelt spazieren Touristen über den gepflegten Rasen oder klettern die hohen, steilen Stufen hinauf, um die erstaunlich gut erhaltenen Verzierungen an den Gebäuden zu betrachten. Die Archäologen versuchen derweil die antiken Arbeitstechniken möglichst realistisch nachzuahmen: Steine werden mit Holzrollen bewegt, der in den vergangenen Jahrzehnten eingesetzte Zement wird nach und nach durch Kalk ersetzt, den auch die alten Baumeister benutzt haben.
Vor über 1500 Jahren errichteten die Maya ihre Kulturstätten und Stadtstaaten, die regen Handel miteinander trieben. Am Ria Lagartos bauten sie Salz ab, mit dem Fleisch konserviert und dann nach Uxmal verkauft wurde. Auch heute noch befindet sich hier ein von leuchtenden Flamingos bevölkerter industriell genutzter Salz-Pool. Im Fluss nebenan leben Reiher, Seeadler und riesige Pelikane. Das Wasser ist braun, an den Ufern fast rot, als würden die Mangroven ins Wasser bluten – dort, wo sich die Krokodile verstecken. Der nahe gelegene Ort, den die Fischer als Basis nutzen, trägt noch immer den alten Maya-Namen: Holkoben, Eingang zur Küche. „Die Maya sind damals sechs Monate für den Handel nach Uxmal gereist“, erklärt Ismaél Nabaro, der Touristen mit dem Boot über den Fluss zur Salz-Lagune schippert. „Und für ihre Rückkehr wurde nur das beste Essen vorbereitet.“
In den Höhlenbeginnt die Unterwelt
Die Maya, ein Handelsvolk, hatten dem Eroberungsdrang der Spanier damals wenig entgegenzusetzen. Doch noch immer leben – gemessen an der Sprache – bis zu drei Millionen Angehörige des stolzen Volkes in Yucatán. In einigen Gegenden, wie in Donatos Heimat, unterrichten die Lehrer in der Grundschule noch eine der 25 Maya-Sprachen. Der Glaube an die alte Kultur ist hier auf dem Land noch groß. Vor der Aussaat stimmen die Bauern ihre Götter mit Opfergaben milde, obwohl neben dem quadratischen Dorfplatz eine kleine blaue Kirche steht. Die Aluxes, die zwergenhaften Wärter des Landes, habe er schon oft gesehen, sagt Donato ernst. Um seinen Hals baumelt eine kleine Holzschildkröte, das Zeichen für Fruchtbarkeit. Irgendwo dudelt Mariachi-Musik.
Anderswo lebt die Maya-Tradition dagegen nur in den romantischen Fantasien der Touristen fort. Vor allem in Tulum, wo sich die grauen Tempel vom Grün der Palmen und dem glitzernden Türkis des Meeres abheben. Das karibische Meer zu Füßen spürt man, hier hat ein Volk seinen Herrschaftsanspruch Stein auf Stein aufeinander geschichtet. Oder bei einer Tour durch den Rio Secreto, einen der unterirdischen Flüsse, die ganz Yucatán untergraben. Für die Maya waren die Wasserreserven nicht nur Überlebensgrundlage, sie hielten die Höhlen für Eingänge zur Unterwelt. Wer sich heute unter die Erde wagt und die Helmlampe ausschaltet, steht in totaler Finsternis und begreift. „Wenn wir die Maya verstehen wollen, müssen wir die Welt so sehen wie sie es getan haben“, sagt Gustavo Novelo.
Da bleibt nur zu hoffen, dass auch die Nachkommen des antiken Volkes den Zauber der Vergangenheit wiederentdecken – bevor es dafür zu spät ist.