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Islands Westmännerinseln: Ein Besuch im Pompeji des Nordens

Islands Westmännerinseln: Ein Besuch im Pompeji des Nordens

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p1110380~5c66ff09-dd46-429c-880c-edd71d67d279.jpg Foto: HA
Dass die Erde lebt, spüren Island-Touristen auf den Westmännerinseln. In einem Museum ist der Vulkanausbruch von 1973 noch präsent.

Reykjavik. 

Ein warmes, trockenes Rastplätzchen nach einer Wanderung, auch wenn sie nur eine knappe Dreiviertelstunde dauert, ist ­etwas Angenehmes. Diesmal weckt die Pause jedoch außergewöhnliche Gefühle, denn der rot-felsige Untergrund hat quasi eine Sitzheizung. Mit der Hand buddle ich ein wenig in der kleinkörnigen Erde zwischen den Wanderstiefeln. Jeder Millimeter tiefer bedeutet einen deutlichen Temperaturanstieg an den Fingerspitzen. Ein wenig weitergraben – und es wird richtig heiß, geschätzt deutlich über 45 Grad.

Der Eldfell, isländisch für „Feuerberg“, macht seinem Namen auch 43 Jahre nach seiner Entstehung alle Ehre. Damals, in der Nacht vom 23. Januar 1973 und in den darauffolgenden fünf Monaten, veränderte ein ­gewaltiger Vulkanausbruch das Leben auf Heimaey, der größten und einzigen dauerhaft ­bewohnten der Westmännerinseln, die zehn bis 30 Kilometer südlich der isländischen Hauptinsel liegen. Die heute etwa 4000 Einwohner von Heimaey teilen die Zeitrechnung seitdem in „vor und nach der Katastrophe“.

Beeindruckende Erdwärme auf dem Eldfell

Kristin Johannsdottir, Chefin des Museums „Eldheimar“ („Feuerwelt“) am Fuße des Vulkans, hat an diesem Tag nicht zu viel versprochen, als sie uns vor dem Aufstieg ­zurief: „Oben ist er noch warm!“ Nun sind die Wanderer schwer beeindruckt von der Erdwärme unter sich und dem grandiosen Ausblick vor sich. In außergewöhnlich klarer Luft liegen die vornehmlich weißen Einzelhäuser wie hingetupft vor der grünen Kulisse der dahinterliegenden kleinen Hausberge. „Wellblech in seiner schönsten Form“ – frei nach diesem Motto schützen viele Isländer ihre Wohnstätten, mal an der Fassade, mal auf dem Dach, das auch gern knallblau oder ­kräftig rot sein darf.

Schon optisch ist das Eldheimar-Museum ein Kontrapunkt in dieser Idylle. Der moderne Bau, ein beeindruckender Kubus mit Rostfassade am Ortsrand von Heimaey, eröffnete 2014. Dahinter ragt steil der Eldfell auf, der 220 Meter hohe Krater. Er zeugt bleibend von der Naturkatastrophe ebenso wie die ­riesige Lavamasse, die 400 Häuser unter sich begrub und die Insel im Osten um rund zwei Quadratkilometer wachsen ließ.

Die Überfahrt von der Hauptinsel dauert eine halbe Stunde

Jeder Besucher, der die Westmännerinseln über den Atlantik mit einem Kreuzfahrtschiff oder der großen, in die Jahre gekommenen Fähre ansteuert, sieht am Hafeneingang ­genau, bis wohin die Erde ihr Innerstes ausspuckte. Es gibt auf Heimaey auch einen Flughafen mit einer Verbindung zur isländischen Hauptstadt Reykjavík. 2010 wurde aber an der Küste der Hauptinsel der neue Fährhafen Landeyjahöfn eröffnet. Seitdem dauert die Überfahrt nur noch eine halbe statt zweieinhalb Stunden. Damit ist ein Abstecher für ­Tagestouristen interessant. Und auch Kreuzfahrtschiffe wie die „MS Ocean Majesty“ und die „MS Astor“ sowie die Schiffe der Hurtigruten-Linie machen hier fest.

Das Museum „Eldheimar“ dokumentiert den jüngsten Vulkanausbruch weltweit, der unmittelbar in das Leben zahlreicher Menschen eingriff. Schon draußen vor dem ­Eingang bekommt der Besucher davon einen Eindruck: Da ragt die Ecke eines kleinen Hauses aus der erkalteten Lava, sie wurde im Zuge der Museumsarbeiten freigelegt.

Tefra bis zu 200 Meter hochgeschleudert

Drinnen, in dem über zwei Etagen offenen Gebäude, staunen Groß und Klein dann über eine noch größere Ausgrabung der besonderen Art. Aus einer 15 Meter dicken Ascheschicht wurde das Kapitänshaus einer fünfköpfigen Familie wieder ans Licht geholt. Gördisbraut 10 – diese Adresse gibt es seit 1973 nicht mehr, die Straße ist seit dem Ausbruch Geschichte. Die Ruine mit den niedrigen Räumen und den umgestürzten Möbeln dokumentiert eindringlich die Schrecken von damals.

Auf dem Dach liegt noch Vulkanasche, die Decken sind abgestützt, doch ansonsten wirkt das Häuschen nahezu unversehrt. Per Audioguide ist die Frau des Kapitäns zu hören. Die Mutter von drei kleinen Söhnen erzählt von der dramatischen Nacht: „Eine große Feuersäule stieg auf, dann ging plötzlich ein Riss durch die Erde.“ Rund 1700 Meter lang war der Schlund, der sich auftat. Aus den Tiefen wurde Tefra, eine Mischung aus Asche und glühender Lava, bis zu 200 Meter hochgeschleudert.

Rund 200 Insulaner kämpften gegen die Naturgewalten

Island liegt auf dem sogenannten mittelatlantischen Rücken, hier stoßen die eurasische und die amerikanische Erdplatte aufeinander. Spannungen sind programmiert. Doch auf Heimaey schien bis zu diesem Zeitpunkt alles ruhig zu sein. Der etwa 6000 Jahre alte Helgafell, isländisch für Heiliger Berg, der bis dato einzige Krater hinter dem Ort, galt als ausgekühlt, erzählt Museumschefin Kristín Jóhannsdóttir.

Sie war zwölf Jahre alt, als sich die Erde mit Grollen und Feuer auftat. „Ich dachte zuerst, es wäre Krieg, so hatte ich mir ihn jedenfalls vorgestellt“, erzählt sie in perfektem Deutsch. Sie arbeitet seit vielen Jahren im isländischen Tourismus, lebte lange Zeit in Deutschland. Vor einigen Jahren kehrte sie in ihre Heimat auf den Westmännerinseln zurück. Wie die meisten der damals 5300 Einwohner wurde sie mit ihrer Familie binnen Stunden auf die isländische Hauptinsel in Sicherheit gebracht. Zum Glück war das Wetter am Vortag schlecht gewesen, die Fischereiflotte vollständig im Hafen und somit schnell für die Hilfe einsatzbereit.

Glühende Erdmasse konnte gestoppt werden

Auch ihr Nachbar, heute einer der prominentesten Isländer, erlebte den Vulkanausbruch als Kind: Heimir Hallgrímsson, Trainer der isländischen Fußballnationalmannschaft, war damals fünf Jahre alt. Genau kann er sich nicht mehr an die Vulkannacht erinnern. „Aber ich weiß noch, dass ich mich gefreut habe, dass fast ein Jahr lang die Schule ausfiel“, sagt er lächelnd. Der 49-Jährige betreibt hier eine Zahnarztpraxis. Wenn er sich nicht gerade um sein Team in Reykjavík kümmert, verbringt er gern Zeit auf Heimaey: „Ich gehe dann jeden Tag morgens eine Stunde auf den Berg. Herrlich!“ Zum Beispiel auf den Heimaklettur, einen anspruchsvollen Riesenfelsen am Hafen.

Während die Kinder die Katastrophe mit ihren Augen sahen, kämpften die rund 200 verbliebenen erwachsenen Insulaner 1973 gegen die Naturgewalten. Mit Meerwasser wollten sie den Lavastrom kühlen. Zunächst wurde die Idee im Ausland verlacht, zweimal versagten die Pumpen. Doch Isländer lassen sich nicht beirren, und so schafften sie mit Unterstützung amerikanischer Technik das schier Unmögliche: Die glühende Erdmasse konnte gestoppt werden, bevor sie die lebensnotwendige Hafeneinfahrt verschloss. Das Museum Eldheimar vermittelt mit modernsten Mitteln ein umfassendes Bild der geologischen Hintergründe und der Schreckenstage und -monate auf Heimaey. Filmaufnahmen dokumentieren die Verluste und das Entsetzen („innerhalb von fünf Minuten war mein Haus weg“). Bis der Ausbruch im Juli 1973 offiziell für beendet erklärt wurde, zeigte die Natur etliche Male den Menschen ihre Grenzen.

Direkt nach einem Gottesdienst begrub die Lava 70 Häuser

Zu sehen sind Bilder von einem Gottesdienst am 9. März 1973. Unmittelbar danach brach eine neue Kraterflanke auf und die Lava begrub 70 Häuser unter sich. Alle Gebete hatten nichts genützt. Berührend sind die Aussagen von Zeitzeugen, die den Westmännerinseln nach der Katastrophe dauerhaft den Rücken kehrten. Eine Frau mit Tränen in den Augen: „Immer im Frühjahr möchte ich zurück. Doch mein Zuhause gibt es nicht mehr.“

Die, die wiederkamen, krempelten die Ärmel auf. 1200 Lastwagenladungen Asche pro Tag wurden abgetragen. Als vor einigen Jahren die Idee für das Museum Eldheimar aufkam, stieß sie bei manchen Einheimischen zunächst auf Widerstand. Zu tief saß die Erinnerung an den „Schwarzen Montag“, wie die Nacht des Ausbruchs genannt wird. Doch die Macher setzten sich durch. Denn bis auf einen Mann, der sich den Warnungen vor giftigen Gasen zum Trotz in den Keller der örtlichen Apotheke stahl, waren bei der Katastrophe keine ­Todesopfer zu beklagen.

Westmänner-Gäste kommen als Tagesgäste

Wie groß die Faszination dieses Stücks junger Erdgeschichte ist, zeigen die Zahlen: „Allein 2015 kamen mehr als 30.000 Besucher“, sagt Eldheimar-Chefin Kristín Jóhannsdóttir. Die meisten Westmänner-Gäste kommen als Tagesgäste. Dabei bietet Heimaey locker Stoff für mehrere erholsame Tage: der Golfplatz an der atemberaubenden Steilküste am sogenannten Elefantenfelsen, die Beobachtung von Walen und Papageientauchern oder ein Bummel durch den gemütlichen Ort sind nur einige der Aktivitäten.

Wer essen möchte wie das isländische Fußballnationalteam, kann in das Restaurant „Einsi Kaldi“ im Hotel Vestmannaeyjar gehen. Einar Björn Árnason, Chef des Restaurants, bekochte die sympathischen Kicker während der Europameisterschaft. Ambiente und Fischgerichte sind ein Volltreffer. Und wie leben die Menschen auf den Westmännerinseln heute im Schatten des Vulkans, machen sie sich Sorgen? Nationaltrainer Heimir grinst: „Das Risiko bei einem Verkehrsunfall umzukommen ist größer als die Wahrscheinlichkeit, bei einem Vulkanausbruch zu sterben.“

Tipps & Informationen

Anreise: von Hamburg z. B. mit Icelandair oder Germanwings nonstop nach Reykjavík. Im Hafen Landeyjahöfn kann man mit der Fähre „Herjolfur“ zur Insel Heimaey übersetzen. Erwachsene zahlen 10 Euro pro Strecke, Kinder fahren kostenlos mit. Für ein Auto werden 16 Euro fällig. Reservierung unter Tel. 00354/481/2800, www.eimskip.is.

Museum Eldheimar: Bis zum 14. Oktober täglich geöffnet von 10.30 Uhr bis 18 Uhr, vom 15. Oktober bis 27. April 2017 mittwochs bis sonntags von 13 bis 17 Uhr. Der Eintritt beträgt pro Person 2300 isländische Kronen (ca. 17 Euro). www.eldheimar.is/de