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Im Nordosten Südafrikas bestimmt der Marula-Baum die Kultur

Im Nordosten Südafrikas bestimmt der Marula-Baum die Kultur

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Eine ganze Region im Zeichen des Baumes – wer in Südafrika die Provinz Limpopo bereist, wird zwangsläufig dem Begriff Marula begegnen. Als Baum, als Frucht, Bier oder Likör. Den einheimischen Tsonga sichert er das Überleben und lässt in mehrerlei Hinsicht ihre Wünsche wahr werden.

Essen. 

Man darf das nicht sagen, aber in dieser Region, im tiefsten Nordosten Südafrikas, dort, wo das Land an Simbabwe und Mosambik stößt, sieht es aus wie in Australien. Der staubige Grund leuchtet orange-rot, es wachsen störrische Büsche, dem Klima trotzend. Straßen führen dutzende Kilometer geradeaus und der Horizont flimmert in der Hitze. Hin und wieder sieht man sogar Eukalyptusbäume. Am Straßenrand sitzen Frauen in kleinen Gruppen im Schatten eines Baumes. Vor ihnen liegt Obst ausgebreitet auf bunten Tellern auf dem Boden. Sie verschachern das, was sie im Überfluss haben: eben Obst – und ein gelbes Gebräu, das sie in wiederbenutzen Limoflaschen abfüllen. „Das ist Marula Bier“, sagt die Verkäuferin, „alle hier machen das.“ Marula Bier, das ist der Stoff, aus dem in der Provinz Limpopo, Träume gemacht sind.

Marula Bier schmeckt wie alkoholisierter Limettensaft mit einem Hauch von Apfel. Die Früchte stammen vom Marula Baum, der nur in Afrika um den südlichen Wendekreis herum wächst. Es ist schwer, einen Marula Baum auszumachen. Denn die Bäume kann man nicht in Plantagen anbauen. Dort wo einer steht, wächst selten ein zweiter. Daniel Khosa, ein einheimischer Tourguide vom Stamme der Tsonga, weiß, wo es einen zu sehen gibt. Er führt durch die Straßen des Waterval Township bei Elim, vorbei an Bars, in denen man die Luxusversion des Marula Biers kaufen kann: Marula Likör. Daniel läuft weiter über staubige Straßen, bis er vor einem Baum mit silbrig-schuppiger Rinde stehen bleibt. Der Baum hat ovale kleine Blätter wie ein Rosenbusch. Die Frucht sieht aus wie eine übergroße Mirabelle oder eine gelbe Walnuss bevor sie reif ist.

Die Kraft, die Frauen dieganze Nacht lachen lässt

Daniel interessiert sich weniger für die Frucht. Für ihn ist der Baum aus traditionellen Gründen wichtig. Die Tsonga halten unter dem Baum Rituale ab und kommunizieren mit ihren Vorfahren. „Wenn ich nach Europa reisen möchte, dann organisiert meine Tante ein Ritual mit Marula Bier und Schnupftabak. Und dann knien wir unter dem Baum und meine Tante sagt: Daniel, dein Urgroßenkel wird nach Europa reisen, bitte steh ihm bei, lass ihn glücklich werden.“ Als Dankesgabe lassen Daniel und seine Verwandten Schnupftabak und Bier unter dem Baum liegen. So sollen Wünsche wahr werden. Wie lange die Menschen in Limpopo schon Marula Bier brauen, weiß Daniel nicht. Aber er erzählt, dass Marula Bier besonders beliebt war während der Apartheid, weil Schwarze in jener Zeit keinen Alkohol kaufen durften – sie waren darauf angewiesen selbst welchen herzustellen.

Das Bierbrauen war und ist noch immer Frauensache. Regina Rambadu Mbedi macht es, wie viele andere – nur sie lässt sich auch dabei zusehen. Sie sitzt auf einer Plastikkiste im Garten unter einem Marula Baum. Um sie herum liegen Haufen der gelben Früchte, vor ihr steht ein Eimer mit Wasser. Regina nimmt die Früchte, ritzt die Schale an, hebelt die Frucht mit einer Gabel aus der Schale und wirft sie ins Wasser. Dann stampft sie mit einem Holzstab auf den Früchten herum, bis sich das Fruchtfleisch vom Kern gelöst hat. Die Kerne sammelt sie aus dem Eimer, den sie dann mit einem Deckel verschließt und in der Sonne stehen lässt. Mit jedem Tag steigt der Alkoholgehalt etwas. Ab dem dritten Tag ist es den Männern vorbehalten. „Die mögen es, weil es ihnen Kraft gibt. Diese Kraft, die die Frauen die ganze Nacht lachen lässt“, sagt Mbedi – ihre Augen leuchten.

Menschen sind froh über jeden Cent

Die Menschen in Limpopo glauben, dass Marula Bier ein Aphrodisiakum ist. Sie erzählen sich Geschichten, von den vielen Kindern, die im Dezember und Januar geboren werden, genau neun Monate nach dem großen Marula Festival. Ob es aber am Alkohol, einem besonderen Inhaltsstoff liegt, oder daran, dass zur Marula Zeit die Männer, die oft in den Städten und Minen arbeiten, in die Heimat zurückkehren – das kann keiner sagen.

Regina kann drei Eimer voll Marula Bier am Tag machen. Thys Slabbert schafft es auf 32 Tonnen Fruchtfleisch, pro Schicht. Er hat eine Fabrik, die Marula im großen Maßstab verarbeitet. Das Fruchtfleisch schickt er weiter an eine andere Fabrik, die daraus den sahnigen Amarula-Likör braut. Slabbert ist darauf angewiesen, dass die Menschen aus der Umgebung ihm die Früchte aus ihren Gärten bringen. Und das tun viele – zu viele. „Die Menschen hier sind arm und froh über jeden Cent.“ Vor der Fabrik steht auch Mackson. Er sieht cool aus mit seinem klapprigen Fahrrad, einem lilanen Cowboy-Hut und der Schweißerbrille. Auf dem Gepäckträger hat er einen Sack Marulas. Man kann nur hoffen, dass er seinem Enkel nur ein Spielzeug-Motorrad kaufen will, denn umgerechnet einen Euro zahlt Slabbert für 25 Kilo Marulas. Da muss man lange sparen, um Wünsche erfüllen zu können. 50 Cent hat die Flasche Marula Bier bei den Frauen am Straßenrand gekostet – allerdings für Touristen.