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Hochgefühl in Südtirol: Eine Zeitreise im Bozener Frühling

Hochgefühl in Südtirol: Eine Zeitreise im Bozener Frühling

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gettyimages-578184193~d3d70137-294b-4386-8092-dc04ddba94ab.jpg Foto: Getty Images/Gallo Images
In der Südtiroler Stadt Bozen kann man auf eine Zeitreise gehen – zum Ötzi, zu adligen Burgherren oder auch zu den Seilbahnpionieren.

Bozen. 

Ach, die lieben Verwandten: Ist man mal in der Nähe, schaut man gern kurz bei ihnen vorbei. Auch bei Ötzi, unserem – na ja – sehr weit entfernten Onkel. Schließlich starb er schon vor 5000 Jahren und tau(ch)te 1991 überraschend wieder auf. Unser letzter Besuch vor seiner mit minus sechs Grad stets etwas fußkalten Bozener Einraumwohnung im Südtiroler Archäologiemuseum ist ein paar Jahre her, also mal sehen, was es bei ihm so Neues gibt.

Geplagt vom Peitschenwurm, hatte er Bauchweh und Übelkeit, sagen die ihn (immer noch) behandelnden Ärzte. Ohne Weisheitszähne musste Ötzi sein Steinbockfleisch kauen und litt schon damals unter heute weit verbreiteten Zivilisationskrankheiten: Bandscheiben- und Kniebeschwerden. Diese und an­dere neue Befunde können Besucher quasi als Hobby-Röntgenologen selbst ermitteln: Denn auf einem lebensgroßen Flachbildschirm ist ein digitales ­Abbild von Ötzi zu sehen. Darauf kann man per Computermaus von Kopf bis Fuß herumfahren und bekommt die einstigen Wehwehchen von „Frozen Fritz“ (Spitzname der Briten) angezeigt.

Ötzi aus Schoko und als Tattoo auf Brad Pitts Unterarm

Nun ja, und dann lernt man in Ötzis Mumienpflegeheim auch – sagen wir mal – seine Eventuell-Verwandtschaft kennen. Joachim Oltmann aus Kornwestheim etwa. Von ihm liegt ein Brief aus, den er bald nach dem Fund der Gletscherleiche an die Zeitschrift „Stern“ schrieb. Es handele sich bei Ötzi, schreibt der gute Mann, eindeutig um seinen Onkel Enno aus dem west­fälischen Vlotho – 1934 mit dem Fahrrad verunglückt und danach verschollen. Renate Spiekermann hat da Einwände und gleich ein ganzes Buch darüber verfasst, dass sie vor 5000 Jahren angeblich selbst in Ötzis Körper lebte. Steht ebenfalls im Kuriositätenkabinett – neben Ötzi-Schokomumien, Ötzi-Wanderstockplaketten und einem Bild vom Ötzi-Tattoo auf Brad Pitts Unterarm.

Wie die meisten Verwandtenbesuche muss auch dieser angemessen verarbeitet werden – am besten beim anschließenden Cappuccino in Bozens guter ­Stube, dem Waltherplatz. Von Außenplätzen der Cafés haben Gäste Sicht auf das Mosaikdach des gotischen Domes, auf Hastende und Rastende rund um den Brunnen mit dem Namenspatron des Platzes, Minnedichter Walther von der Vogelweide. Eingerahmt wird die Szenerie vom ­Zackenrand der Berge. Also nichts wie hoch! Zunächst hoch aus dem wirklich gemütlichen Stuhl im Café Cittá, dann rauf nach Kohlern, sozusagen auf ­Bozens Hausberg.

Statt auf der Spucktüten-pflichtigen Endlos-Serpentinen-Straße geht’s viel angenehmer per „Funivia“ – in einer Gondelbahn. Aber nicht irgendeiner, sondern der weltweit ersten „zur öffentlichen Personenbeförderung bestimmten und zugelassenen Bergschwebebahn der Welt“, gut 100 Jahre alt. Heute surren moderne Gondeln am Seil. Wie wacklig und windig die ersten, durchaus wagemutigen Personen ab 1908 den ­Höhenunterschied von immerhin 795 Metern hochgondelten, das lässt sich oben in Kohlern noch besichtigen: Nachbauten der überwiegend hölzernen und noch offenen Kastengefährte ­stehen im Wald, ein paar Schritte von der Gipfelstation entfernt.

Die Oswald-Promenade führt oberhalb der Weinberge zum Schloss Runkelstein

„Damals warteten hier Kellner und ­lasen den aussteigenden Gästen aus Speisekarten vor, um sie in ihre Restaurants zu locken“, erzählt Josef Schrott, Inhaber des Gasthofs Kohlern. Es war die Blütezeit der Sommerfrische, also der Kurzurlaube reicher Bürger auf dem Land während der warmen Monate. Schon damals hat sich auch der Gasthof Kohlern vom Herrenhaus zum statt­lichen Anwesen in Toplage entwickelt. „Panorama-Hotel“ nennt es sich heute – wegen des wirklich einzigartigen Luftbildausblicks über Bozen und halb ­Südtirol.

Den bietet – ein paar Stockwerke tiefer – auch die Oswald-Promenade. Vom Stadtteil St. Magdalena führt sie wie ein scheinbar endloser Laufbalkon oberhalb von Bozens Weinbergen und Apfelplantagen entlang zum Schloss Runkelstein, das genau genommen eine Burg ist. Runkelstein – klingt wie der Fantasiename aus einem Kinder-Abenteuerbuch, birgt aber die spannende Geschichte einer mittelalterlichen Möchtegern-Adelsfamilie. Und zwar im größten und besterhaltenen Zyklus profaner, also nicht kirchlicher Wandgemälde überhaupt. Die erklärt und „übersetzt“ Historiker Armin Torggler augenzwinkernd und spannend als Aufsteigersaga aus dem Rittermilieu: Die Vintlers, ursprünglich eine Weinhändlerfamilie, also bürgerlich, wollen unbedingt Adelige werden. Ein Sprung also in den nächsthöheren Stand – im Mittelalter fast unmöglich.

Der luftige Fußweg an der Talfer führt hinein in Bozens Altstadt

Doch Nikolaus Vintler und später vor ­allem sein Neffe Hans machen Ende des 14. Jahrhunderts alle erdenklichen Klimmzüge, um ihre Eintrittskarten in die Welt der „Von und Zus“ zu ergattern: Erst kaufen sie Burg Runkelstein, um einen standesgemäßen Familiensitz vorzeigen zu können. Dann übersetzen sie „Fiore di virtù“, ein Buch über ade­lige Tugenden, ins Deutsche. Das Signal: Seht her, wir Bürgerliche haben unseren Benimmkurs für die gesellschaftliche Beletage bereits absolviert.

Und: Die Vintlers lassen Burg Runkelstein verzieren mit Wandgemälden, ­holen sich so die A-Promis aus Welt­geschichte und Sagenwelt ins Haus: ­Alexander und Karl der Große, Caesar oder Artus’ Tafel­runde. Wegen dieser außergewöhnlichen, gut erhaltenen ­Gemälde trägt Runkelstein heute den Beinamen „Bilderburg“. Vintlers jahrzehntelange Strebertour hatte Erfolg: Das Bild eines Lanzengefechts im Turniersaal der Burg zeigt die Bürgerlichen am Ende ihres Lebens schließlich hoch zu Ross mit adligen Symbolen.

Über die luftige Promenade am Fluss Talfer geht’s wieder hinein in Bozens Altstadt, zum Shopping in der Via Por­tici unter den Laubengängen, in der Via Museo und Via Bottai. Unter dem Vorwand, Hustenbonbons zu benötigen, ­gelingt ein ausführlicher Rundblick in der 570 Jahre alten Madonna-Apotheke (Via Portici 17). Edle Schuhe und Taschen sowie Filzhüte gibt’s bei Rizzoli (Via Portici 60). Liebhaber von Glas, ­Keramik und selbst geschnitzten Weihnachtskrippen können bei Tschager (Piazza Municipio 7) gleich auf fünf ­Etagen stöbern.

Alte Fischbänke dienen heute als Abstellfläche für coole Drinks

Egal welche dieser Gassen man ­entlangschlendert, Endstation ist immer der Obst- und Gemüsemarkt. Ein tägliches Paradies mit langen Öffnungszeiten für Liebhaber von Gewürzen, Frisch- und Trockenfrüchten, Blumen und ­Gemüse sowie Exoten. Sollte sich gerade eine ganze Reisebusbesatzung den Unterschied zwischen „Corbezzoli“ (erdbeerartige Baumfrüchte vom Gardasee) und „Guggiole“ (olivengroße, maronenartige Früchte mit Dattelaroma) ­erklären lassen, einfach rechts abbiegen in die Dr.-Streiter-Gasse und auf einen Drink bei Cobo vorbeischauen, Bozens Kultwirt.

Er sieht aus wie Hobbythek-Moderator Jean Pütz mit Hermann-Hesse-Brille, war früher Dekorationsmaler in Süd­tiroler Hotels, zeichnet heute Bozen-Comics und betreibt eine einzigartige Bar, die Fischbänke. Benannt wurde sie nach marmornen, altarartigen ­Tischen, auf denen früher Fische zu­bereitet und verkauft wurden.

Heute sind sie Abstellfläche für ­Aperol Spritz und Hugo-Drinks, überdacht von bunten japanischen Papierschirmchen und ebensolchen Lampions. ­Promis wie Frank-Walter Steinmeier und Cem Özdemir sollen auch schon zu Gast gewesen sein. Angeblich kennt ­Cobo alias Rino Zullo die Stadt so gut wie jeden Winkel seiner Bar, aber heute ist ihm nicht viel mehr zu entlocken als „Bolzano – Paradiso, certamente!“.

Ähnlich simple Lebensweisheiten pinselt er auf Pappen und Tafeln, die über den Fischbänken baumeln: „Besser heute zum Wirt als morgen zum ­Psychiater.“ Und wer wirklich reif für den Psychiater ist, kann gleich bei Cobo sitzen bleiben, deklariert er seinen ­Laden doch als „Special Streetfood ­Restaurant plus Erste-Hilfe-Psycho­Präsidium“.

Tipps und Infos

Anreise: z. B. mit dem Auto über die
Brenner-Autobahn (A 22) oder mit dem DB-Autozug, www.dbautozug.de

Übernachtung: z. B. Gasthof Kohlern, ab 80 Euro p. P., Tel. www.kohlern.com; oder im Parkhotel Laurin, Doppelzimmer ab 136 Euro, www.laurin.it

Schloss Runkelstein: Tel. 0039/ 0471/329 808, www.runkelstein.info

Ötzi-Ausstellung im Südtiroler Archäologiemuseum, www.iceman.it