Hiddensee ist die ruhige Alternative zu Rügen. Das gilt im Winter noch viel mehr als im Sommer. Dann sind nur wenig Menschen dort.
Hiddensee.
Manchmal drehen Großstädter mitten in Vitte plötzlich irritiert den Kopf. Hört man hier die Autobahn? Aber Hiddensee ist autofrei und das Festland weit weg. Was ununterbrochen so rauscht, ist die Ostsee.
Direkt am Strand ist sie im Winter manchmal brüllend laut, respekteinflößend und beeindruckend, wenn die Wellen bei Windstärke acht mit breiter weißer Schaumkrone ans Ufer schlagen. Das sind Tage, an denen Inselbesucher den Strand für sich alleine haben, ebenso die Steilküste, das Dornbuschkliff und die Wanderwege im Inselnorden. Wer im Winter nach Hiddensee fährt, kommt genau deswegen.
Die Entdeckung der Einsamkeit
Hiddensee im Winter ist die Entdeckung der Einsamkeit. „Im Sommer ist Hiddensee ausgebucht“, sagt Kurdirektorin Katrin Köppen. „In den Herbstferien ist es nochmal richtig voll.“ Nach Weihnachten kommen etliche Inselliebhaber für ein paar Tage. „Von Mitte Januar bis März ist es dann echt ruhig.“
Henry Engels kann der kalten Jahreszeit viel abgewinnen: „Im Winter bin ich jeden Tag am Strand. Ich steh‘ auf, trinke Kaffee und geh‘ los.“ Engels steht auf Sturm. Bei solchem Wetter macht er sich schon mal nachts auf den Weg. Engels ist Bernsteinfischer und Bernsteinschleifer. Das Gold der Ostsee ist sein wichtigstes Arbeitsmaterial. Und Sturm ist Bernsteinwetter.
Kaum ein Mensch da
Dann steht er mit Neopren-Wathose, Gummistiefeln und Kescher oft stundenlang im Wasser und fischt nach seiner Beute. „Es macht einfach Spaß, im Winter am Strand zu sein, kein Mensch da, als wenn du ganz alleine auf der Insel bist – und dann richtig durchgefroren nach Hause zu kommen.“ Engels bearbeitet den Bernstein in seiner Werkstatt, wo ihm Besucher auch beim Schleifen zusehen können.
Der Arbeitsplatz von Franziska Ploetz ist nur fünf Minuten von Henry Engels‘ Werkstatt entfernt. „Ich liebe den Winter hier sehr“, sagt die gebürtige Dresdnerin. „Kaum ein Mensch da, tolles Licht, es ist total schön.“ Ploetz ist Geschäftsführerin der Gerhart-Hauptmann-Stiftung. Hiddensee war Hauptmanns Lieblingsinsel. Der 1946 gestorbene Literaturnobelpreisträger kam als 23-Jähriger zum ersten Mal hierher. Und er hat sich, im Rentenalter, schließlich ein Haus in Kloster gekauft. Inzwischen ist es ein Museum – das im Winter zumindest eingeschränkt geöffnet hat.
Vor dem nahen Heimatmuseum in Kloster wartet Christiane Wolff. Sie ist Rangerin, die für das Nationalparkhaus arbeitet und auch im Winter Führungen anbietet – zum Dornbusch zum Beispiel, der einsamen Spitze der Insel. Wolff stapft dann auch bei Wind und Wetter mit ihren Gästen über schmale Wanderwege. Sie zeigt, wo sich Wildschweine herumtreiben oder wo der Blick vom Hochuferweg auf die graue Ostsee unter fast g enauso grauem Himmel besonders eindrucksvoll ist.
Gleich am Hafen von Kloster beginnt der Deich, auf dem man kilometerweit laufen kann. Kurz bevor die Sonne untergeht, wird der Himmel im Westen noch einmal bunt. Auf der anderen Deichseite geht bereits der Mond auf und taucht das Boddenwasser in silbriges Licht. Etliche Schwäne dümpeln auf den sanften Wellen. Es ist wie aus einem Bild von Caspar David Friedrich: eine einsame Winteridylle. (dpa)