Die Markthallen sind der Bauch von Lettlands Hauptstadt Riga
Der Zentralmarkt von Riga ist die erste Adresse für alle, die Fleisch, Fisch und Gemüse gerne frisch einkaufen. Einstmals waren die Hallen die modernsten ihrer Art in Europa. Doch die riesigen Markthallen sind auch ein lohnendes Ziel für Touristen, die schon immer wissen wollten, wie Birkensaft schmeckt.
Riga.
Sie sind der Treffpunkt für Hausfrauen und Feinschmecker und verkaterte Studenten. Die Markthallen von Riga sind riesig und sieben Tage die Woche geöffnet – 364 Tage im Jahr. Nur am 24. Juni sind sie zu – dann ist Johannistag und Ausnahmezustand in Lettland. Für den Markt hätte dann sowieso keiner Zeit. Aber an jedem anderen Tag des Jahres lohnt es sich, einzutauchen in den Bauch von Riga, wie der Zentralmarkt genannt wird.
Die Markthallen haben eine lange Geschichte: Erbaut wurden sie in den 1920er Jahren, als Lettland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein eigener Staat wurde. Für den Bau wurden Teile der Hangars genutzt, die die Deutschen unweit von Riga für ihre Zeppeline genutzt hatten.
1930 die modernste Markthalle der Welt
Die 1930 eröffneten Markthallen galten damals als die modernsten der Welt. Riesig ist der Zentralmarkt noch immer – er ist der größte im gesamten Baltikum. Bis zu 140 000 Menschen kommen pro Tag hierher. Schon draußen unter freiem Himmel reiht sich ein Marktstand an den anderen. Erdbeeren sind dort im Angebot, Kirschen und Weintrauben, aber auch Blumen, die für einen Spottpreis zu haben sind.
InfoManche Marktfrau bietet hier für umgerechnet weniger als einen Euro Sträuße mit Blumen an, die sie früh morgens im eigenen Garten oder am Waldrand gepflückt hat. Eine andere besprüht gerade einen Berg Sauerampferblätter mit Wasser, damit sie länger frisch bleiben – Sauerampfersuppe ist eine lettische Spezialität. Reich wird man damit genauso wenig wie mit dem Verkauf von Blumen – aber Lettland ist gerade nach der Wirtschafts- und Finanzkrise weit von den Durchschnittslöhnen Westeuropas entfernt.
Konzerte, Tanz- und Theateraufführungen
Etwas abseits liegt der Flohmarkt, der für Touristen, die nicht gerade auf der Suche nach billiger Unterhaltungselektronik sind, allerdings weniger interessant sein dürfte. Es heißt, es gebe nichts, was sich hier nicht kaufen oder besorgen ließe – von der Haarspange bis zum Panzerwagen. Viel schöner ist es aber ohnehin in den fünf Pavillons genannten Markthallen, die 2014, wenn Riga Europäische Kulturhauptstadt ist, schon am Eröffnungstag eine Rolle spielen: Dann soll es im Bauch von Riga, mitten zwischen den Marktständen gleich mehrere Konzerte, Tanz- und Theateraufführungen geben.
Der Zentralmarkt ist noch etwas Besonderes
Bis dahin müssen sich Besucher mit dem üppigen Angebot zufriedengeben, für das viele Rigaer früh aufstehen – manche schon vor Sonnenaufgang, wenn beim Nachtmarkt noch Schnäppchenpreise zu verhandeln sind. Anna Muhka von der Stiftung Riga 2014 kauft selbst auch lieber auf Wochenmärkten ein als im Kaufhaus. „Aber der Zentralmarkt ist noch etwas Besonderes, eine Welt für sich, die einen Hauch von damals hat. Hier ist die Zeit ein bisschen stehengeblieben“, sagt die in Schweden geborene Lettin. „Als ich 1980 das erste Mal hierherkam, da waren die Stände fast komplett leer, es gab nichts zu kaufen, nur große, fettige Stücke Fleisch. Und an der Decke ein Gemälde, das glückliche sowjetische Bauern zeigte.“
Heute ist das völlig anders. Geradezu paradiesisch ist das Angebot zum Beispiel für Fischfans: Riesige Karpfenhälften liegen in der Auslage, Stör und norwegischer Hering, Lachs, bergeweise Räuchermakrelen und natürlich Neunaugen – eine weitere lettische Spezialität.
Die Farben der Gewürze
Wer Gemüse braucht, findet in den Markthallen ebenfalls alles, was das Herz begehrt und in der Küche gebraucht wird: Zwiebeln, Radieschen und Tomaten türmen sich an den Ständen der Händler. Und eingelegten Weißkohl gibt es in vielen Varianten und entsprechend vielen Farben: Gelb gefärbt durch Curry oder rot durch Erdbeersaft zum Beispiel. Aber was soll denn das sein? Flaschenweise wird am nächsten Stand eine leicht trübe, aber immer noch durchsichtige Flüssigkeit verkauft. Ist das aromatisiertes Wasser? Nein, nein, sagt die Gemüsehändlerin: Das ist Birkensaft.
Auch so eine lettische Spezialität, die zu Unrecht anderswo wenig bekannt ist: „Man muss den Saft im Frühjahr abnehmen, noch bevor die ersten Blätter kommen“, erklärt Anna Muhka. „Der ist unglaublich gesund.“ Er schmeckt tatsächlich frisch und ganz angenehm – aber kein bisschen nach Birke, wie auch immer Birke schmecken mag. Sauerkrautsaft gibt es in den Markthallen auch. Er soll ebenfalls gesund sein. „Hilft aber auch gegen Kater“, versichert Anna Muhka. „Studenten, die am Sonntag nach einer langen Nacht auf den Markt gehen, bekommen oft ein Glas geschenkt.“
Fleisch in Hülle und Fülle
Die Fleischhalle ist nichts für Vegetarier: Da gibt es riesige Schüsseln mit Hackmett, Koteletts und Schinkenspeck, der Weight Watchern die Tränen in die Augen treibt. Auch die Schweinefüße in der Auslage daneben sind ein gewöhnungsbedürftiger Anblick.
Saure Sahne ist ebenfalls zu haben und Kimenu siers, ein landestypischer Kümmelkäse. Nebenan lässt sich eine Kundin gerade mit Käse gefüllte Pfannkuchen einpacken – ebenfalls typisch lettisch. Sie werden zu Hause in der Pfanne gebraten und mit saurer Sahne serviert. Etwas rätselhaft erscheint die schwarze Paste, abgepackt in kleinen Plastikschälchen. Was ist das? „Na Cannabis“, sagt Anna Muhka, „Also Hanfbutter – mit den Samen von Hanf.“ Keine Droge also, aber wenn man genug davon isst, vielleicht durchaus ein berauschendes Erlebnis.