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Deutschlands letzte Wohnhöhlensiedlung liegt im Harzvorland

Deutschlands letzte Wohnhöhlensiedlung

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Leben hinter meterdicken Felswaenden
Wohnen mal anders: In Langenstein im Harzvorland gibt’s Deutschlands letzte noch erhaltene Siedlung von Höhlenwohnungen zu sehen. Tagelöhner hatten die Behausungen im 19. Jahrhundert in den fels geschlagen. Erst 1916 zog der letzte Bewohner aus.

Langenstein. 

Die Spuren der einzelnen Schläge sind an den Wänden noch gut zu erkennen. Nur mit Hammer und Meißel haben sich Tagelöhner im 19. Jahrhundert Wohnungen in die Felsen des Harzvorlandes in Langenstein bei Halberstadt geschlagen. Die fünf noch erhaltenen Unterkünfte bilden Deutschlands einzige Wohnhöhlensiedlung.

Hinter einem Meter Wandstärke begann das rund 30 Quadratmeter große Reich der Familie Zander. Nur die Wohnstube verfügte über ein Fenster nach außen. In das tiefer im Felsen gelegene Schlafzimmer gelangte das Tageslicht dagegen bloß durch einen Mauerdurchbruch zur Stube. Auch die Küche lag wohl die meiste Zeit im Schummerlicht. Der Raum erhellte sich erst, wenn das offene Feuer des Ofens brannte.

Gemütliche Winternächte durch Wärmezirkulation

Die Wärme des Feuers konnte sich durch die offenen Türen und den Mauerdurchbruch zum Schlafzimmer in der ganzen Höhle verteilen. „Hier zeigt sich dann ein großer Vorteil der Höhlenwohnungen“, sagt Siegfried Schwalbe, der sich mit seinem Verein Langensteiner Höhlenwohnung für den Erhalt der Anlagen als Museum einsetzt. „Der Sandstein speicherte die Wärme in der Nacht, auch lange nachdem das Feuer erloschen war“, sagt Schwalbe. Die dicken Wände isolierten zudem besonders gut gegen Kälte. „Es muss hier im Winter sehr gemütlich gewesen sein“, sagt Schwalbe. Und im Sommer habe der Schatten erfrischende Kühle geboten.

Feuchtigkeit gab es kaum, da die Höhlen praktisch das ganze Jahr beheizt wurden. Die Wohnung der Familie Zander hat der Verein für Besucher zur Anschaulichkeit restauriert und mit historischen Möbeln eingerichtet. Mehr als 44 Jahre lebte die fünfköpfige Familie in den drei kleinen Räumen am Schäferberg.

Mindestens elf Wohnungen in den Fels geschlagen

Mindestens elf Wohnhöhlen hat es einmal in Langenstein gegeben. Die erste bewohnte Höhle in dem Ort soll bereits von den Germanen als Unterkunft genutzt worden sein. Im 12. Jahrhundert wurde sie als Teil einer Burganlage ausgebaut. Die anderen Wohnhöhlen wurden erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Berg geschlagen. Zwischen seche Monaten und einem Jahr dürfte die Bauzeit betragen haben. Feldarbeiter und Tagelöhner errichteten sie mangels Geld für Grundstücke und Baumaterial. Aber die Wohnungen waren keine Elendsquartiere, wie Schwalbe betont. Teilweise waren sie durch künstliche Dachgiebel verziert und hatten angelegte Vorgärten sowie in den Stein gemeißelte Blumenkästen. Einige Wände weisen Spuren von Wandverzierungen auf. In einem Kinderzimmer ist eine kleine Ausbuchtung für eine Wiege in die Wand geschlagen worden.

Permanent vom Einsturz bedroht

Doch das Leben in den Wohnhöhlen brachte auch seine Unwegsamkeiten mit sich. Da die Höhlen stets mit offenen Feuer beheizt wurden, war die Luft oft sehr sauerstoffarm. Auch das fehlende Sonnenlicht muss sich negativ auf die Gesundheit der Bewohner ausgewirkt haben. Manche Wohnungen waren zudem permanent vom Einsturz bedroht. Auf den Hügeln über den Höhlen mussten immer Schafe und Ziegen grasen, damit keine Bäume wuchsen, die ihre Wurzeln in die Decken schlagen konnten. 1916 sei schließlich der letzte Bewohner aus den Höhlen ausgezogen, erzählt Schwalbe. Aus Altersgründen wurde er in ein Haus im Dorf einquartiert. „Bis zu seinem Tod soll er von den gemütlichen Winternächten in den Wohnhöhlen geschwärmt haben“, sagt Schwalbe. (dapd)