„Das visionäre Denken fehlt“ – Tourismus-Entwicklung im Harz
Der Klimawandel ist im Harz angekommen. Schnee liegt seltener als früher, Angebote für Touristen müssen im Sommer wie im Winter funktionieren.
Keine Region in Sachsen-Anhalt ist bei Touristen so beliebt wie der Harz. Auch in den niedersächsischen Westharz kommen jedes Jahr Millionen Besucher. Doch trotz der guten Entwicklung der vergangenen Jahre bleibt aus Sicht eines Experten viel Potenzial ungenutzt. „Der Harz ist attraktiv, doch er hat die Chance, noch viel attraktiver zu werden“, sagt Axel Dreyer, Tourismusforscher an der Hochschule Harz in Wernigerode.
Der Experte nennt etwa bessere Verkehrsverbindungen, mehr gute Hotels und qualitativ hochwertige Restaurants sowie den Ausbau der digitalen Infrastruktur als Möglichkeiten. Und auch die umstrittene Seilbahn in Schierke könnten die Attraktivität der Region weiter steigern, findet Dreyer – sollte das Projekt jemals realisiert werden.
An den Seilbahn-Plänen, die den Ort am Brocken an die Wintersportorte im Westharz anschließen soll, scheiden sich seit Langem die Geister. Befürworter halten das Projekt für unverzichtbar für die touristische Entwicklung der Region, Gegner sehen in Seilbahnen und Skipisten in Zeiten des Klimawandels keine Zukunft.
Seilbahn als Brückenschlag
Dreyer betont, natürlich sei es falsch, nur auf Wintersport zu setzen. „Genauso falsch wäre es allerdings, ihn völlig auszublenden.“ Zudem könne eine solche Seilbahn im Sommer hervorragend genutzt werden und attraktive Rundtouren ermöglichen. „Mit der Seilbahn auf den Berg, zu Fuß ins Tal und mit der Schmalspurbahn nach Hause – das wollen die Leute“, sagt Dreyer.
Ähnlich sieht das Wirtschaftsminister Armin Willingmann. „Das ist kein Skilift, der sich nur im Winter oder bei Schnee nutzen lässt, sondern eine Seilbahn“, sagt der SPD-Politiker. Sie biete das ganze Jahr über ein zusätzliches Freizeitangebot – und sei ein weiterer Brückenschlag in den Westharz.
Umweltministerin Claudia Dalbert lehnt das Projekt hingegen ab, weil es aus ihrer Sicht zu stark in die Natur eingreift. Zudem liege der Schwerpunkt ganz eindeutig auf der Winternutzung, sagt die Grünen-Politikerin. Für den Ganzjahrestourismus brauche es keine Seilbahn.
Tourismus kann zu nachhaltiger Entwicklung beitragen
Dreyer sagt, er sei überzeugt, dass sich Naturschutz und Tourismus im Harz zusammenbringen lassen. „Das eine funktioniert ohne das andere oft auch gar nicht.“ Der Forscher nennt den Nationalpark Harz, in dem die Natur weitgehend sich selbst überlassen bleibt. Trotzdem könne das Gebiet touristisch genutzt werden. Eine intakte Natur sei für Touristen attraktiv.
„Wenn Tourismus ordentlich gelenkt wird, kann er sehr gut zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen“, sagt Dreyer. Auch in diesem Bereich gibt es aus Sicht des Experten noch viel Potenzial im Harz. Ladestationen für Elektrofahrräder oder Mietangebote für E-Autos etwa könnten in diese Richtung gehen.
Nötig sind Dreyer zufolge aber auch Investitionen in der Hotellerie. „Das ein oder andere Großhotel könnte die Region schon noch vertragen.“ Hinzu komme vor allem im Ostharz ein gewisser Sanierungsbedarf, weil viele Einrichtungen direkt nach der Wende Anfang der 1990er-Jahre entstanden und langsam in die Jahre gekommen seien. „Es ist zwar bereits viel in neue Ferienanlagen investiert worden, aber im Übernachtungsangebot ist noch Luft nach oben.“
Imagewandel geschafft
Dreyer vermisst zudem ein umfassendes hochwertiges Angebot in der Gastronomie. „Essen und Trinken gehört zu jeder Reise dazu.“ Mit Regionen wie der Rhön oder dem Schwarzwald könne der Harz in dieser Hinsicht nicht mithalten. Ein Problem sieht der Forscher dabei allerdings in fehlenden Fachkräften. „Das ist ein echtes Hindernis.“
Wirtschaftsminister Willingmann ist überzeugt, dass der Harz dank neuer Angebote und Events den Imagewandel geschafft hat. Neben den klassischen Wanderfreunden kämen auch Familien und jüngere Touristen. Für die gestiegene Attraktivität seien etwa die Feriendörfer in Hasserode und Thale, die Angebote von Harzdrenalin rund um die Hängeseilbrücke und die Feuersteinarena in Schierke verantwortlich.
Experte Dreyer wünscht sich allerdings ein entschlosseneres Vorgehen – von Investoren wie Politik. Anders als in den Alpen traue man sich große Projekte oft nicht zu oder zerrede sie. „Das visionäre Denken, das fehlt im Harz“, sagt Dreyer. (dpa)