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Atombombenmuseum erinnert an US-Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki

Atombombenmuseum erinnert an Angriffe auf japanische Städte

Die Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki verwandelten Japan im August 1945 von einer Täter- zur Opfernation. 69 Jahre nach dem Angriff der USA erinnert in Nagasaki ein Atombombenmuseum an die Opfer und kämpft so gegen das Vergessen. Denn: Viele Zeitzeugen sprechen nicht über das Erlebte.

Nagasaki. 

Atombomben sind „Geschenke des Himmels“. Der Satz des ehemaligen japanischen Marineministers Mitsumasa Yonai kriecht durch den Gehörgang, schlängelt sich ins Bewusstsein und erzeugt augenblicklich einen kalten Schauer, der den Rücken hochwandert bis er sämtliche Haare zu Berge stehen lässt. Yonai hatte erkannt: Die Atombomben, die die Amerikaner im August 1945 über Japan abwarfen, machten innerhalb weniger Tage aus einem Tätervolk eine Opfernation. So sind Hiroshima und Nagasaki heute Städte des Friedens, die sich einer Kultur des Vergessens entgegenstellen.


11.02 Uhr – der Moment der Explosion
„Einen Kranich kann ich mit geschlossenen Augen falten“, sagt Yukiko Taniguchi. In der Eingangshalle des Atombombenmuseums in Nagasaki hängen lange Reihen gefalteter Kraniche aus buntem Papier. Der Vogel steht für ein langes Leben und gilt in Japan als Symbol der Hoffnung. Schon als Kind, als Yukiko noch die Friedensgrundschule besuchte, hat sie die Kraniche gefaltet. „Ich wollte immer etwas für den Frieden tun“, erzählt sie heute. Wir sitzen auf Socken in einer kleinen Bar, trinken japanischen Whiskey und philosophieren über den Krieg und die Welt. Yukikos Wunsch hat sie zuerst zu den Vereinten Nationen in New York geführt, jetzt arbeitet die 35-Jährige für die Tourismus-Gesellschaft der Präfektur Nagasaki. „Viele Japaner wollen nicht an den Krieg und die Bombe denken, sondern einfach weitermachen“, sagt sie und nippt an ihrem Glas.

Das Atombombenmuseum soll das verhindern. „Nagasaki grüßt den Morgen des 9. August 1945“ steht auf einer kleinen Tafel. Eine Uhr tickt fast unerträglich laut. Schwarz-Weiß-Bilder zeigen ernst blickende Frauen. Studenten in Uniform beten für den Sieg. Musikkapellen verabschieden junge Rekruten. Hinter der nächsten Ecke ist eine Wanduhr im Moment der Explosion erstarrt: Es ist 11.02 Uhr. Im Halbdunkel erscheint ein verformter Wassertank, das Wandstück einer Schule, ein zerbrochener Brückenpfeiler. Die Musik baut sich zu einem leisen, aber bedrohlichen Crescendo auf, die Stadt liegt in Trümmern, der Museumsweg führt zum zerstörten Portal der einst größten christlichen Kathedrale Ostasiens.

„Nagasaki hat neue, fremde Kulturen immer akzeptiert“, sagt Yukiko. Zwar gab es eine Zeit der Christenverfolgung, doch 200 Jahre lang war die Stadt als einzige im ganzen Land dem Westen geöffnet. Von 1641 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die vorgelagerte Halbinsel Deijima das europäische Handelszentrum in Japan. In den heute rekonstruierten Holzhäusern residierten die Holländer und brachten nicht nur europäische Waren, sondern nach und nach auch westliche Lehren nach Japan. Mit der Öffnung des Landes 1867 erweiterte sich die europäische Gemeinde. Immer noch zeugen die herrschaftlichen Häuser der Ingenieure, Geschäftsmänner und Bierbrauer im Glover Garden, einer Art Freilichtmuseum, von der Begegnung der Kulturen: Europäische Möbel treffen auf japanische Tatami-Matten. Eine Kombination, die Puccini zu seiner berühmten „Madame Butterfly“ inspiriert haben soll.

„Vergessen ist besser“

In Nagasaki ist man stolz auf diesen historischen Abschnitt. Doch was die jüngere Geschichte anbelangt, hat sich vor allem in der Nachkriegsgeneration eine Kultur des Vergessens eingeschlichen. „Vergessen ist besser“, sagt Masato Furukawa. Der 60-Jährige steht mit hochgezogenen Schultern etwas verloren auf dem Friedensplatz, dem Ort der Explosion. Die Familie seines Onkels ist beim Abwurf der Atombombe ums Leben gekommen. In der Verwandtschaft wird nicht darüber gesprochen. Etwa 70.000 Menschen verloren damals ihr Leben, weit mehr starben an den Spätfolgen der Strahlung. Die Hibahusha, die Überlebenden der atomaren Vernichtung, verschweigen ihr Schicksal teilweise bis heute – zu groß ist immer noch die Angst vor Ablehnung.

Im Atombombenmuseum ist es das Erschreckendste, der stille, schleichende Horror. Nach der Sprengkraft so groß als wären 5200 Trucks, jeweils mit vier Tonnen Dynamit beladen, gleichzeitig explodiert, nach der Druckwelle, die alles umriss, und nach der Hitze, die selbst Glasflaschen schmelzen ließ, kam die Strahlung.

Nagasaki ist schon lange nicht mehr radioaktiv verseucht. Die Strahlenbelastung ist heute nicht höher als in anderen Gebieten der Erde. Doch die atomare Angst sitzt tief. Als das Atomkraftwerk im japanischen Fukushima durch einen Taifun 2011 schwer beschädigt wurde, zog nicht nur die deutsche Regierung mit dem schnell beschlossenen Atomausstieg ihre Konsequenzen. Reiseveranstalter strichen Japan mangels Interesse aus dem Programm, das ganze Land wurde zur touristischen „No-Go-Area“. Drei Jahre später steigen die Übernachtungszahlen deutscher Besucher langsam wieder – auch im mehr als Tausend Kilometer südlich von Fukushima gelegenen Nagasaki.


Der Friedensplatz ist menschenleer

Hier gilt es eine Stadt auch jenseits der schrecklichen Vergangenheit zu entdecken. Da gibt es diese wunderbar altmodischen Straßenbahnen, die Taxifahrer mit ihren weißen Handschuhen und den strengen Mützen und ältere Damen in Kimonos, die sich mit Schirmen vor der Sonne schützen. Am Rand des romantischen Kanals stehen kleine Weiden, efeubewachsene Brücken schwingen sich in hohem Bogen über das Wasser, junge Pärchen in Schuluniform gehen verstohlen händchenhaltend spazieren. Und da gibt es diese riesigen Einkaufszentren, vollgestopft mit Reklame und knallbunten Hello-Kitty-Supermärkten, Restaurants, die Plastikversionen ihrer Speisen ausstellen, alles unter der Berieselung leiser Fahrstuhlmusik.

Der Friedensplatz, wo vor über 60 Jahren die Bombe auf die Erde aufschlug, ist dagegen menschenleer. Vor dem „Friedensmahner“ im angrenzenden Park posiert ein junges asiatisches Pärchen vergnügt für Fotos. Die Skulptur weist mit der rechten Hand warnend gen Himmel und fordert mit der ausgestreckten Linken Frieden. Das Pärchen formt mit zwei Fingern das Peace-Zeichen. Vielleicht kommen sie gerade aus der Atombombenausstellung, deren Ende sich wie eine Warnung liest: Seit 1945 hat es mehr als 2000 Nukleartests gegeben, das atomare Waffenarsenal der einzelnen Staaten ist wie bei einem Brettspiel durch Raketen auf einer Weltkarte dargestellt. „Wir müssen uns erinnern, um zu verhindern, dass so etwas wieder passiert“, sagt Yukiko. „Nagasaki hat eine wichtige Nachricht für die Welt: Frieden.“