Aserbaidschan heißt übersetzt „Land des Feuers“. Das ist nicht nur lautmalerisch zu verstehen. So sind die ewigen Feuer ein Teil des Nationalstolzes des Landes. Wir stellen Ihnen den Staat am Kaspischen Meer vor.
Baku.
„Land des Feuers“ heißt Aserbaidschan übersetzt – und das ist ganz wörtlich zu verstehen. Schon immer brannte es hier leicht und lichterloh, denn dicht unter der Erdkruste liegen gewaltige Öl- und Gasvorkommen. Am Hang des „Brennenden Berges“ Yanardag, einige Kilometer außerhalb von Baku, kann man es heute noch sehen: Fauchend schlagen dort die Flammen aus dem Erdboden, und das seit Jahrzehnten – seitdem sich das über einer Ölblase sitzende Gas selbst entzündet hat. Früher, vor dem ersten großen Öl-Boom Ende des 19. Jahrhunderts, gab es in den Hügeln der Abscheron-Halbinsel unzählige solcher natürlichen Feuer, sogar aus dem Wasser des Kaspischen Meeres züngelten Flammen.
Die ewigen Feuer sind Teil des aserbaidschanischen Nationalstolzes, denn sie zeigen, wie bedeutend es früher einmal war. Bereits lange vor unserer Zeitrechnung war die Gegend um Abscheron ein Zentrum der zoroastrischen Religion, jenes uralten Glaubens, der das Feuer als Symbol der Reinheit verehrt. Die um die ewigen Flammen herum erbauten Feuertempel wurden zu Wallfahrtsorten für Pilger und Asketen aus ganz Persien und Indien. Doch nahezu 150 Jahre Ölförderung haben die meisten der ewigen Flammen mittlerweile verlöschen lassen.
Auch im berühmten Feuertempel Ateschgah kommt das Gas heutzutage aus der Leitung. Wenn, wie heute, eine Besuchergruppe naht, dreht Tempelwächterin Afa Qasimora den Hahn auf und wirft schnell ein paar Streichhölzer in den Feueraltar des Heiligtums. Sind die Schaulustigen dann wieder weg, umkreist die Tourismusstudentin die Flammen in ihrem viereckigen Schrein viermal, damit ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Wie oft sie das macht? Eigentlich jeden Tag, gesteht sie verschämt. Denn so sehr sie die Ruhe des Tempels mit seinen uralten Sanskrit-Inschriften liebt – im Grunde ihres Herzens träumt die 24-Jährige von Reisen in die weite Welt.
Nur wenige Kilometer von Ateschgah entfernt beginnt der Wald der Bohrtürme. Die schwarz verschmierten Gestänge der Türme und die schwerfällig nickenden Pumpen muten an wie Saurier aus den frühen Tagen des Ölzeitalters.
Ein Saurier aus den frühen Zeiten des Ölzeitalters
Lange wird es die urwüchsige Industrielandschaft nicht mehr geben. Das meiste Öl wird heute auf dem Kaspischen Meer gefördert, das Land soll rekultiviert werden.
Auch die Familie des Künstlers und Politaktivisten Mir Teymur besaß einst ihren Anteil an den Ölfeldern, bevor seine Großeltern 1937 enteignet wurden. Mir Teymur empfängt uns am Nachmittag im Dämmerlicht seines Wohnzimmers in der Altstadt Bakus. Es ist ein kleiner, hoher Raum, bis zur Decke mit Büchern, Papierrollen und Keramik-Artefakten zugestellt. Wir lassen uns auf seinem mit Teppichen ausgekleideten Sofa nieder, trinken Tee und lauschen seinen Erzählungen über die Ichari Schahar, wie die Altstadt Bakus genannt wird.
Wie viele Bewohner der Altstadt ist auch Mir Teymur sehr stolz auf diesen geschichtsträchtigen Wohnsitz. Wer hier lebt, bezeichnet sich auch heute noch kokett als „Leibeigener“ – in der goldenen Ära ab dem 15. Jahrhundert, in der die Schahs des Königreichs Schirvan die Ichari Schahar als Residenz ausbauten, war diese Stellung ein Privileg. Wer hier wohnte, lebte nah an Macht und Pracht: am Khans-Palast mit seinen Minaretten und der erhabenen Schlichtheit des achteckigen Divanhauses, am Basar mit seinen Bogengängen.
Die farbenfrohen, filigranen Gemälde des Künstlers kennen nur ein Motiv: Die labyrinthischen Gassen, die Mauern und Türme der Ichari Schahar. Und das mysteriöse Wahrzeichen der Stadt – den Qiz Qalasi-Turm. Der wuchtige, 30 Meter hohe Steinzylinder mit dem seltsamen, schmal geschwungenen Seitenarm gibt Betrachtern seit jeher Rätsel auf. Feuertempel, Verteidigungsanlage, beides in einem – die Historiker sind sich darüber so uneins wie bei der Datierung des Turms, dessen älteste Teile 2700 Jahre alt sein sollen.
All das hat sich nur wenig verändert, und ein Spaziergang durch die engen Gassen der Ichari Schahar mit ihren überkragenden Holzbalkonen kommt heute einer Zeitreise gleich. Es lohnt sich, sie anzutreten – am besten, noch bevor Baku nächstes Jahr als ESC-Gastgeber ins Rampenlicht der europäischen Öffentlichkeit rückt.