Bottrop/Essen.
Unbeteiligt wirkte er, fast kühl. Als werde vor dem Essener Schwurgericht einem anderen Mann der heimtückische Mord vorgeworfen. Doch das war nur Fassade, spiegelte das Bild wider, das der Hobby-Landwirt Thomas S. der Öffentlichkeit vermitteln wollte – das Bild des Unschuldigen, der sicher war, vom Vorwurf des Mordes an seiner 35 Jahre alten Ehefrau Andrea freigesprochen zu werden, der Mutter der drei Kinder. Erst zum Schluss, nach dem Urteil „Lebenslänglich“, hatte der 40-Jährige sich verstohlen Tränen aus den Augen gewischt. Das war am Dienstag. Am Donnerstagmorgen wird er tot in seiner Essener Zelle gefunden. Augenscheinlich hat er sich mit dem Gürtel erhängt.
Die Staatsanwaltschaft Essen leitet ein Todes-Ermittlungsverfahren ein, das ist Routine. „Wir prüfen eine Vielzahl von Fragen“, erklärt Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen. Darunter ist sicher die, ob man den Verurteilten leichtfertig allein ließ.
Hans Reinhardt, der Verteidiger im Mordprozess, sagt, sein Mandant habe ihm erzählt, er sei früher in psychologischer Betreuung gewesen wegen Suizidgefahr. Und: Frisch verurteilte Mörder würden „in der Regel nicht allein gelassen, sondern in einer Zelle mit Kamera. In so einer kann er nicht gewesen sein.“ Das könne „möglicherweise noch einmal die Justiz beschäftigen.“
Protokoll seiner letzten 30 Stunden
Ein Protokoll des NRW-Justizministeriums zeichnet die letzten 30 Stunden des Bottropers nach dem Urteil nach. Danach gab es mindestens zwei Gespräche mit Psychologen, davon noch eines am Abend seines Todes, und eines mit einer Beamtin im Gefängnis. Dabei hätten sich „keinerlei suizidale Tendenzen“ gezeigt, sagt Detlef Feige, Sprecher des Ministeriums. Vier Stunden habe der Verurteilte auch mit einem befreundeten Mithäftling gemeinsam in der Zelle verbracht, der danach den Eindruck hatte, der 40-Jährige sei „stabil und lebensbejahend“.
Und so konnte er allein und unbeobachtet in seiner Zelle bleiben und auch Gürtel und Schnürsenkel behalten. Ein Anstaltsleiter beschreibt solche Erwägungen als Balanceakt: einerseits einen Suizid zu verhindern, andererseits dem Menschen seine Würde zu lassen.
Bei klar erkannter Suizidgefahr können Gefängnisleitungen zwischen drei Möglichkeiten entscheiden: Der Mann kommt in eine Zelle mit Kameraüberwachung. Oder er wird mit einem „erfahrenen Mithäftling“ zusammengelegt. Oder Beamte schauen ständig nach ihm, im Extremfall alle 15 Minuten bei eingeschaltetem Licht. „Gerade, wenn jemand eine lange Haft antritt und keine Erfahrung hat, sind Psychologen eng dabei“, sagt Feige.
Anstaltspsychologen nennen diese Situation „Erstschock“. Zahlen belegen keinen Zusammenhang zwischen Suizid und Strafmaß, aber einen zwischen Suizid und Erstschock. Der Anteil der Untersuchungshäftlinge an den Selbstmördern ist hoch, er lag in NRW in den letzten Jahren fast bei 50 Prozent.
Zur eigentlichen Tragik gehört, dass Thomas S. seinen drei bei Verwandten lebenden Kindern nicht nur laut Urteil die Mutter genommen hat, sondern jetzt auch noch den Vater. Und damit verweigert er ihnen die Antwort, ob wirklich er ihre Mutter umgebracht hat. Nicht einmal ein komplettes schriftliches Urteil der Richter wird es mehr geben. Mit dem Tod des Angeklagten endet das Strafverfahren.