Milch ist gesund. Aber zuckriger Kakao? Erdbeermilch? Vanillemix? Nicht mal jede zehnte Schulmilch-Ration ist ungesüßt – weil Kinder es wünschen.
Essen.
Schulmilch kennt fast jeder noch aus der Grundschule. Aber vieles hat sich verändert: Während vor 30 Jahren noch Vollmilch Standard war, wird heute kaum noch pure Milch getrunken. 90 Prozent der Grundschüler greifen zu süßer Vanille-, Erdbeer- oder Schokomilch.
Aber hat die Schulmilch noch einen Sinn – wo trotz des NRW-Schulmilchprogramms und Subventionen von der EU nur noch 22 Prozent der Schulen Schulmilch beziehen? Wir haben mit dem NRW-Umweltministerium und mit Prof. Mathilde Kersting vom Dortmunder Institut für Kinderernährung gesprochen.
Ist Schulmilch in Form von gezuckerten Milchmixen gesund?
Prof. Mathilde Kersting vom Dortmunder Institut für Kinderernährung meint: Naja, es ist ein notwendiger Kompromiss. Ihr Ideal (pure 1,5%-Milch für alle) hält sie für utopisch, weil nur die wenigsten Kinder freiwillig zu normaler Milch greifen. Aber am Ende sei wichtig, die Inhaltsstoffe der Milch „ins Kind“ zu bekommen – und wenn das nur mit Milchmixen geht, müsse man damit leben. Für die meisten Kinder sei es ohnehin zu spät, vom Zucker wieder runter zu kommen. Zu sehr haben sie sich durch familiäre Essgewohnheiten an den Geschmack von Süßem gewöhnt, erklärt Kersting. In der Schule lasse sich diese Gewohnheit nicht ändern. Also: Entweder süße Milch oder gar keine. Besser als Cola sei das allemal.
Mit dem hohen Zuckergehalt hadert die Ernährungswissenschaftlerin allerdings. Sie bezweifelt, dass die Untergrenze erreicht ist. „Die Anbieter müssen reagieren“, meint sie. Reicht weniger Zucker? Akzeptieren Kinder das Mixgetränk auch, wenn die Molkerei den Zuckergehalt weiter reduziert? Es sei Aufgabe der Politik zu prüfen, ob sich die Milchmixe optimieren lassen.
Im NRW-Umweltministerium dagegen hat man keine Bedenken gegenüber seinem Schulmilch-Programm. Es komme nicht auf einen Viertelliter gezuckerter Milch an, meint Ministeriumssprecher Wilhelm Deitermann: „Überernährung entsteht nur, wenn sich das Kind im weiteren Tagesverlauf in erster Linie von stark zucker- oder fetthaltigen Dingen ernährt.“ Das Schulmilch-Programm sei daher auch wichtig, „um Kindern eine ausgewogene Art der Ernährung nahezubringen.“
Übrigens: Ob Milch 3,8 oder 1,5 Prozent Fett enthält sei nicht entscheidend, meint Ernährungswissenschaftlerin Kersting. Der Körper nehme fettlösliche Vitamine zwar besser auf, wenn der Fettanteil höher sei. Aber deren Anteil sei in Milch gering. Bei der Tendenz zur Fettleibigkeit deutscher Schüler sei fettreduzierte Milch die bessere Wahl.
Kommt Schulmilch bei den Schülern an, die sie brauchen?
In der Nachkriegszeit half Schulmilch gegen Unterernährung. Aber heute? Grundschüler sind eher zu dick als zu dünn.
Heute ist der Hintergrund ein anderer: ungesunde, unausgewogene Ernährung. Allerdings fürchtet Kersting: Schulmilch kommt nicht den Kindern zugute, die sie brauchen – denen, die ohne Frühstück in die Schule kommen oder sich zuhause nur von Chips ernähren. Fürs Milch-Abo zahlten eher aufgeklärte Eltern mit einem gewissen Gesundheitsbewusstsein, vermutet sie.
Im Ministerium hat man keine Übersicht darüber, ob die Abnehmer-Schulen in Brennpunkten oder Bildungsbürger-Vierteln liegen. Allerdings, so Sprecher Deitermann, fördere das Land Programme zur Ernährungsbildung (etwa der Landfrauen) vor allem in sozial schwachen Stadtvierteln.
Subventionierte Milch: Absatz sinkt – Teurer als im Laden
Brauchen wir überhaupt noch ein Schulmilch-Programm?
Der Schulmilch-Absatz ist 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 5,6 Prozent gesunken – die Zahl der Schüler an allgemeinbildenden Schulen nur um 1,3 Prozent. Das besagt eine Statistik der Milchwirtschaft NRW. Dennoch beharrt das Umweltministerium laut Sprecher Deitermann darauf: „In NRW konnte sich die Schulmilch im Vergleich zu allen anderen Bundesländern sehr gut behaupten.“ Im bundesweiten Vergleich werde in NRW am meisten Schulmilch getrunken.
Dass nur 22 Prozent der Einrichtungen subventionierte Milch beziehen liege auch an organisatorischen Mängeln. Deitermann: „So erschweren zum Beispiel fehlende Hausmeister als traditionelle Schulmilchausgeber die Verteilung der Milch an die Schüler.“
Ernährungswissenschaftlerin Mathilde Kersting appelliert aber an alle Beteiligten: „Man darf die Hoffnung nicht aufgeben!“ Schulmilch habe in jedem Fall eine Chance verdient. Allerdings auch ein besseres Image: Sie fordert eine Marketing-Kampagne.
Ist subventionierte Schulmilch billiger als im Laden?
Ein Viertelliter Schulmilch wird mit 4,5 Cent bezuschusst. Für einen Viertelliter subventionierter Schul-Vollmilch zahlen Eltern meist 35 Cent (1,40 Euro/Liter). Also ist Schulmilch trotz des EU-Zuschusses weit teurer als ein Liter konventioneller Milch im Supermarkt (etwa 70 Cent).
Im Ministerium nimmt man es gelassen: „Die 0,25-Liter-Packung Schulmilch wird speziell hergestellt. Außerdem spielt die Anlieferung eine immens wichtige Rolle beim Preisvergleich. Milch für Supermärkte wird als Massenhaushaltsware hergestellt und ist dementsprechend sehr viel günstiger und nicht mit dem Produkt „Schulmilch“ vergleichbar.“
Schließlich sei die Subvention keine Absatzförderung für die Milchbauern, so Ministeriumssprecher Deitermann. Vielmehr stehe die Wissensvermittlung im Vordergrund – und davon profitierten Milchbauern langfristig.
Seit 1977 wird Schulmilch von der EU subventioniert. Mitte der 70er Jahre wuchsen Milchsee und Butterberg ins Unermessliche – die Landwirte produzierten wegen lohnender Subventionen (garantierte Abnahme zum Festpreis) in Massen und wurden ihre Milchprodukte auf dem freien Markt nicht los. Die staatlichen Lager platzten. Erst 1984 steuerte der Staat mit einer Produktionsgrenze gegen (Milchquote bis 2015).