Düsseldorf.
Die Kölner Polizei will die massenhaften sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht gar nicht bemerkt haben. „Es ist unvorstellbar, dass diese Dinge wenige Meter von uns geschehen sind und wir sie nicht mitbekommen haben“, sagte der Einsatzleiter Günter R. gestern als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Landtags.
Von den „perversen Dingen“ will der Polizeihauptkommissar nichts erfahren haben, obwohl er persönlich rund zwei Stunden in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Stellung bezogen hatte. Wenn nur zehn Prozent der überfallenen Frauen in der Nacht den Notruf 110 gewählt hätten, „hätten wir eine andere Lage gehabt“, so der Einsatzleiter. Bislang wurden 1139 Anzeigen gestellt, davon 485 wegen einer Sexualstraftat.
Völlig untypisches Vorgehen
Einsatzleiter R. räumte im Landtag überraschend ein, dass er bereits zu Dienstbeginn um 21 Uhr Probleme auf dem Domvorplatz erwartet hatte. Bei seiner eigenen Anreise aus Weilerswist nach Köln mit dem Zug seien ihm bereits rund 400 Migranten auf dem Bahnhofsvorplatz aufgefallen, die sich mit Böllern bewarfen. „Wenn das mal nicht in die Hose geht“, habe er gedacht. Die mutmaßlich aus dem nordafrikanischen Raum stammenden jungen Männer seien ja „nicht so gefestigt in unserem Brauchtum“ und im Umgang mit Alkohol „nicht geübt“, so der Hauptkommissar. Dem Dienstgruppenleiter in der Wache will der 57-Jährige früh geraten haben: „Bitte haltet ein Auge drauf“.
Bahnhof und Domplatz waren bis dahin im Einsatzkonzept gar nicht vorgesehen, weil sie in den Vorjahren kein Kriminalitätsschwerpunkt gewesen seien. Der von den Vorgesetzten erarbeitete Einsatzbefehl sei „ohne Schwachstellen“ gewesen. Im Vorfeld habe es Hinweise gegeben, dass mit mehr Taschendieben zu rechnen sei, sagte Günter R. Nordafrikanische Taschendiebe seien für die Kölner Polizei aber „Alltagsgeschäft“. Ebenso wie Tumulte bei allen Ereignissen, wo viel Alkohol im Spiel sei. Dass nordafrikanische „Antänzer“ massiv Frauen bedrängen, sei völlig untypisch und daher nicht erwartbar gewesen. „Das sind Taschendiebe. Die bemühen sich, nicht aufzufallen.“
Im Vergleich zum Vorjahr sei die Polizei deutlich komfortabler aufgestellt gewesen. Zum Jahreswechsel waren in Köln laut Bericht des NRW-Innenministeriums 142 Beamte der Landespolizei im Einsatz gegenüber 83 im Vorjahr.
Am späten Abend habe er die Meldung bekommen, jetzt seien auf dem Bahnhofsvorplatz bis zu 1200 enthemmte Leute. „Die ballern ordentlich rum. Das ist kritisch.“ Daraufhin habe er sich selbst einen Überblick vor Ort verschafft, den „Tumult“ gesehen und aus Angst vor einer Massenpanik den Bahnhofsvorplatz kurz nach Mitternacht räumen lassen. Der habe aber kurz darauf wieder freigegeben werden müssen, nachdem die Bundespolizei gemeldet habe: „Der Bahnhof ist zugelaufen.“
Als er zurück zur Wache gekommen sei, hätten viele Bürger im Vorraum gesessen, darunter weinende Frauen. Ein Kollege habe ihm von einer „neuen Masche“ berichtet, wonach Frauen Handys gestohlen worden seien, während sie sexuell bedrängt wurden. „Das war für mich ein völlig unbekannter Modus operandi.“
Keine Verstärkung angefordert
Daraufhin sei er erneut zum Bahnhof gefahren. Keiner der Passanten habe aber ihn oder seine Kollegen auf Übergriffe angesprochen. „Diese Dinge sind uns nicht gesagt worden. Wir sind davon ausgegangen, dass wir die Lage im Griff haben.“ Verstärkung habe er nicht angefordert.
Die Schilderung einer letztlich entspannten Lage sei schwer in Einklang zu bringen mit den Berichten von Frauen, die in drangvoller Enge eingekesselt, begrapscht und bestohlen worden seien, hielt ihm der Ausschussvorsitzende entgegen. Viele, vor allem junge Polizisten litten darunter, dass sie davon in der Dunkelheit und bei großem Lärmpegel nichts mitbekommen hätten, schilderte der Einsatzleiter. Einigen Opfern sei während der Übergriffe der Mund zugehalten worden. „Wenn da Dinge im Schutz einer Menschenmasse passieren, sind die nicht wahrnehmbar.“