Leverkusen.
Während des Lockdowns gab es für die Pflegekräfte in NRW viel Applaus. Parallel schien der Pflegenotstand endlich in den Medien angekommen zu sein. Die Hoffnung war groß: Tut sich jetzt was in den Krankenhäusern?
Darauf wartet Sonja Wolf (55), Pflegefachfrau aus NRW bis heute vergeblich. Mit dem Applaus verhallte auch das Interesse der Politik. Jetzt rechnet sie mit der Politik ab und entwirft ein düsteres Zukunftsszenario.
NRW: Pflegekraft rechnet mit Politik ab
„Die Stimmung auf den Stationen? Viele sind enttäuscht, gleichzeitig ist es still“, sagt Wolf. Alle haben sich nach Kräften für die Patienten engagiert. Während der Krise sei diese harte Arbeit zwar endlich für die Gesellschaft sichtbar geworden, auch die Politik habe Engagement angekündigt.
Passiert sei allerdings wenig. Zwar wurde nach langem Ringen die Corona-Prämie gezahlt. Doch die laut Wolf als „wertschätzende Geste“ gedachten Euro geisterten zunächst ewig durch die Medien, ehe sie erst nach zähen Debatten auf den Konten der einzelnen Pflegenden landeten. Ein zermürbender Prozess, meint Wolf, keine flächendeckende große Geste.
Ebenso wie die etlichen TV-Debatten, in denen zwar häufig über, selten aber mit Pflegeexperten diskutiert wurde. „Natürlich ist es wichtig, mit Virologen oder Ärzten über die Lage in den Krankenhäusern zu sprechen. Aber auch Pflegewissenschaftler hätten zur Situation einiges zu sagen, nur sind sie kaum zu Wort gekommen.“ Eine weitere verlorene Chance, das Image der Pflege zu erneuern.
Pflegekraft aus NRW wird deutlich: Dieses Bild will sie in den Medien nicht mehr sehen
Im Fokus haben zudem vor allem Einzelschicksale von überarbeiteten Pflegekräften gestanden. Für sie blieb oft nur das Stereotyp der „armen Pflegekräfte“ übrig. Wolf meint: „Dabei sind wir so viel mehr. Pflege ist unser Fachgebiet, wir sind mehr als die Assistenten der Ärzte.“
Die 55-Jährige wünscht sich daher dringend einen Imagewechsel für den Berufsstand. „Es ist eine eigenständige und kompetente Profession, wie alle anderen im Gesundheitswesen auch. Und genau so sollte man uns auch betrachten.“ Damit gewinne man auch bei künftigen Auszubildenden wieder mehr Attraktivität und könne so dem Pflegenotstand etwas entgegensetzen.
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Doch was geschehen ist, ist geschehen. Wolf will lieber in die Zukunft blicken, denn dort habe die Politik in puncto Pflege einiges aufzuholen. Denn: Gehe es so weiter wie bisher, dann sehen die kommenden Jahrzehnte düster aus, sagt Wolf.
NRW: Pflegefachkraft zeichnet düsteres Bild für die Zukunft
Etliche ihrer Kolleginnen seien inzwischen über 50 Jahre alt. „Ich mache mir Sorgen, was in zehn Jahren ist, wenn wir Baby Boomer in Rente gehen. Ich bin jetzt 55 Jahre alt. Wer versorgt denn später mal uns?“ Quantität und Qualität würden immer weiter abnehmen, eine adäquate Versorgung sei nicht mehr gewährleistet.
Daher müsse dringend gehandelt werden. „Die Politik muss anfangen, uns ernst zu nehmen. Sie muss anerkennen, dass das Gesundheitssystem so nicht funktioniert“, sagt Wolf. „Wir Pflegekräfte werden nur als Kostenfaktor gesehen, nicht als Profis. Dabei sind wir in der Gesellschaft höchst relevant.“
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Genau dieser Imagekorrektur würde sich Wolf widmen, wäre sie die nächste Kanzlerin. „Als erstes würde ich eine große Aufklärungskampagne starten, damit in der breiten Gesellschaft ankommt, dass wir eine vollwertige Profession sind.“
Ob sie diesen Wandel einem der drei Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) oder Olaf Scholz (SPD) zutraue? Dabei bleibt Wolf vage. „Egal, wer es wird, ich hoffe, dass sie etwas tun. Unsere Gesellschaft kann ohne professionelle Pflege nicht bestehen, deshalb fordere ich die Politik zum Dialog auf.“
Das gilt nicht nur für ihre tägliche Arbeit im Krankenhaus, sondern auch für sie als Privatperson. „Auch als Wählerin wünsche ich mir eine gute Pflege. Wir können alle in die Situation kommen, in der wir darauf angewiesen sind.“ (vh)