Moers.
Kinder und Familien kann man nicht gerade als Gewinner der Corona-Krise bezeichnen. Im Gegenteil: Die Pandemie hat die bestehenden Probleme vielerorts verschärft.
Marie Brandel (41) ist Erzieherin aus NRW, hatte zeitweise erhebliche Schwierigkeiten damit, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Das verriet sie gegenüber DER WESTEN. Trotz ihres systemrelevanten Berufs wurde bei ihr ein Versprechen der Politik nicht eingelöst.
Bei einem neuen Plan der Regierung fasst sich die Erzieherin aus NRW jetzt an den Kopf – und ist nicht die Einzige, die warnt.
Erzieherin aus NRW fühlt sich von Regierung außer Acht gelassen
Marie Brandel arbeitet seit Mai 2020 als Erzieherin in einer Kita in Moers. Die Pandemie habe sie als Mutter einer sechsjährigen Tochter gehörig in Bedrängnis gebracht, sagt Marie Brandel.
Das Versprechen, Notbetreuung für Eltern systemrelevanter Kinder anzubieten, es habe sich nicht erfüllt. „Nicht in meinem Fall und ich kenne auch niemand anderen bei uns in Moers, deren Kinder in Randzeiten untergebracht werden konnten“, berichtet Brandel, „dafür gab es schlichtweg nicht genügend Erzieher.“
Die Konsequenz: Die Erzieherin habe massig Minusstunden angesammelt. Im Sommer wurde nun ihre Tochter eingeschult. Das stellt die 41-Jährige, die bis vor zwei Jahren noch alleinerziehend war, vor neue Probleme.
Erzieherin aus NRW muss Vollzeit-Stelle aufgeben
Denn mit dem Eintritt in die Grundschule habe die Erzieherin aus NRW Stunden reduzieren müssen – trotz eines Platzes in der offenen Ganztagsschule (OGS). Dort werden Schüler allerdings nur von 8 Uhr bis 16 Uhr betreut.
Die Kita von Marie Brandel aber öffnet früher und schließt später. „Vollzeit kann ich deshalb nicht mehr arbeiten und bin sogar darauf angewiesen, dass meine Kollegen die Randzeiten abfangen können.“
Zwar lebt sie mittlerweile mit ihrem neuen Partner zusammen. Der hat allerdings auch zwei Kinder in die Beziehung mitgebracht und arbeitet Vollzeit. Ihr Betreuungsproblem sei daher nicht gelöst.
Jetzt kurz vor der Bundestagswahl hat die Bundesregierung Eltern ein neues Versprechen gemacht. Es klang zunächst verheißungsvoll. Doch nur auf den ersten Blick.
Bund und Länder einigen sich auf OGS-Anspruch
Die Rede ist vom Anspruch auf Ganztagsbetreuung für jedes Kind, das ab 2026 eingeschult wird.
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Recht auf Ganztages-Betreuung ab 2026:
- Bund und Länder verkündeten am 7. September einen Kompromiss
- Grundschulkinder sollen bald alle einen Anspruch auf einen OGS-Platz haben
- Ab 2026 gilt der Anspruch für Schüler der 1. Klasse
- Bis 2029 sollen Grundschüler bis zur 4. Klasse alle ganztägig betreut werden können
- Umfang: 8 Stunden an fünf Tagen pro Woche
- Der Bund finanziert den Ausbau der Ganztagsbetreuung mit 3,5 Milliarden Euro
- Ab 2026 will sich der Bund an den laufenden Betriebskosten beteiligen
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Nach Angaben des Bundes nutzt bereits jedes zweite Grundschulkind ein Ganztagsangebot. Das Bundesfamilienministerium geht davon aus, dass der Bedarf bei etwa 75 bis 80 Prozent der Kinder liegt.
Bund und Länder wollen diese Lücke schließen, unter anderem um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und Kinder individueller fördern zu können.
Doch genau daran zweifelt Marie Brandel.
Erzieherin aus NRW: „Hört sich wirklich furchtbar an“
„Ich habe da größte Sorge, dass die Ganztagsschule nur eine Verwahranstalt wird,“ warnt die 41-Jährige, die selbst über zehn Jahre lang in einer OGS als Erzieherin tätig war und weiter: „Das hört sich wirklich furchtbar an. Aber in beinahe sämtlichen Kitas der Umgebung fehlen Erzieher. Und jetzt wollen die in vier Jahren für alle Grundschulkinder OGS-Plätze anbieten. Ich weiß nicht, wie die das stemmen wollen.“
Ähnlich sieht das Antje Beierling vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter in NRW (VAMV NRW). Sie gibt zu bedenken, dass Erzieher sowohl für die Ganztagsbetreuung als auch für die Kindertagesbetreuung händeringend gesucht werden. Auf den Abschlussjahrgang 2026 „warten sowohl die Träger von Kindertageseinrichtungen als auch dann der Ganztag“, so Beierling.
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Der Vorstand des VAMV NRW appelliert außerdem an die Politik: Der Betreuungsplatz „soll auch Kindern, die keine guten Startbedingungen in ihren Familien haben, die Chancengleichheit ermöglichen und ihnen Wege aufzeigen, wie sie sich entwickeln und ausprobieren können“, fordert Beierling.
Marie Brandel fürchtet allerdings Quantität statt Qualität im OGS-Bereich. Stand jetzt seien schlicht nicht genügend Erzieher für das Vorhaben da. Sie könne das Ziel nachvollziehen, möglichst viele Kinder in Betreuungsformen zu bekommen. „Aber zu welchem Preis passiert das gerade?“, fragt die erfahrene Erzieherin.
Genau für diese Eltern hat der VAMV NRW in Essen vor Jahren das Angebot „Sonne, Mond und Sterne – ergänzende Kinderbetreuung“ ins Leben gerufen und fordert den landesweiten Ausbau eines vergleichbar bedarfsgerechten und flexiblen Angebots.
Eines, das Betreuungslücken schließt, damit auch systemrelevante Berufe mit dem Familienleben vereinbar sind.
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