Eine Gruppe junger Muslime aus NRW protestiert mit spektakulären Aktionen gegen den Salafismus. Sie erhalten Zustimmung – und Morddrohungen.
An Rhein und Ruhr.
Hassans rechte Hand ist verbunden. Vor ein paar Tagen sind ihn in Düsseldorf Leute angegangen, haben ihn geschlagen, er fiel vom Fahrrad. Nur ein paar Schürfwunden, nichts Schlimmes. Er hat schließlich schon einige Morddrohungen erhalten, seit er mit seinen Freunden aktiv geworden ist gegen Salafisten, gegen die Extremisten, die seine Religion pervertieren. Hassan ist Mitglied einer Gruppe, die sich „12thMemoRise“ nennt und in den vergangenen Monaten in Düsseldorf und Essen mit spektakulären Aktionen Schlagzeilen gemacht hat – junge Muslime, die es satt haben, dass die Radikalen das Bild des Islam in Deutschland prägen.
„Wir wollen die Muslime gegen die Salafisten und Wahhabiten auf die Straße bringen“, sagt Hassan. Der Wahhabismus, das ist die in Saudi-Arabien zur Staatsreligion erklärte puristische Ausrichtung des sunnitischen Islam, die Inspirationsquelle für alle Fanatiker, die heute unter dem schwarzen Banner des Dschihadismus morden, vergewaltigen und brandschatzen.
Einige frühere Lies!-Aktivisten kämpfen jetzt für den IS
Hassan und seine Freunde werfen den moderaten Muslimen in Deutschland vor, zu nachsichtig, zu leise zu sein angesichts der Scharfmacher, die junge Menschen verführen wollen; oder es sich zu einfach zu machen, indem sie leugnen, dass deren Ideologie irgendetwas mit dem Islam zu tun hat. „Natürlich hat der ‘Islamische Staat’ etwas mit dem Islam zu tun“, sagt Hassan, „diese Leute berufen sich ja auf den Koran.“
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Der Name „12thMemoRise“ soll den überkonfessioniellen Charakter der Gruppe und ihren Respekt für alle Religionen symbolisieren. Er steht, sagt Hassan, für die 12 Apostel, die 12 Stämme Israels und die 12 Imame des schiitischen Islam.
In der Gruppe aktiv sind vor allem Schiiten, aber auch zwei Sunniten, zwei Christen und ein Buddhist. Die Gruppe betont, dass sich ihre Aktionen nicht allein gegen sunnitischen Extremismus, sondern auch gegen schiitischen richten.
Gegen den Salafismus begehren vor allem im Internet immer häufiger Gruppen junger Muslime auf. Facebookseiten wie „News zur muslimischen Welt“ attackieren die Radikalen scharf. „12thMemoRise“ trägt den Protest auch auf die Straße. Ein besonderer Dorn im Auge ist der Gruppe um den 25-jährigen gebürtigen Iraker Hassan das Koranverteil-Projekt „Lies!“. Woche für Woche stehen in nordrhein-westfälischen Innenstädten junge Männer, die das heilige Buch der Muslime kostenlos verteilen, sich dabei betont freundlich und sanftmütig geben. Wer das finanziert, ist unklar. Das NRW-Innenministerium hat eine klare Meinung zu dem Projekt: „Das ist eine lupenrein salafistische Kampagne, die den Koran missbraucht, um junge Leute in den Extremismus zu lenken und die den Boden für weitere Radikalisierung bereitet“, sagt ein Ministeriumssprecher.
Tatsächlich sind einige der „Lies!“-Aktivisten aus NRW beim „Islamischen Staat“ gelandet. Robert Baum, der sich im Januar 2014 in der syrischen Stadt Homs in die Luft sprengte; Christian Emde, der dem deutschen Publizisten Jürgen Todenhöfer im Dezember vergangenen Jahres in der vom IS besetzten Stadt Mossul ein Interview gab, in dem er die Versklavung junger Jesidinnen rechtfertigte; Michael N., der in einem IS-Propagandavideo Kanzlerin Merkel beschimpfte.
Als Dschihadisten verkleidet mit langen Bärten und blutigen Händen
Der Initiator des „Lies!“-Projekts, der Deutsch-Palästinenser Ibrahim Abou-Naghie, trat noch im Februar 2012 in einem in Neuss gedrehten Video gemeinsam mit dem früheren Berliner Rapper Denis Cuspert und dem österreichischen Hassprediger Mohamed Mahmoud auf, damals führende Mitglieder der mittlerweile verbotenen Organisation „Millatu Ibrahim“, heute wichtige IS-Kader.
„Wir müssen diese Leute bekämpfen“, sagt Hassan. „Diese Leute wollen den Islam mit Gewalt verbreiten und dass möglichst alle Menschen Moslems werden. Das ist falsch, es geht doch darum, friedlich miteinander zu leben.“ Kürzlich, als die Koranverteiler in Essen ihren Stand errichten wollten, führte „12thMemoRise“ eine Gegenaktion durch, die Aktivisten verkleideten sich als Dschihadisten, in schwarz, mit langen Bärten und blutigen Händen, verteilten Hassbotschaften. Im Oktober vergangenen Jahres erregte die Gruppe mit Scheinhinrichtungen in Essen Aufsehen, in Düsseldorf trugen sie den Islam symbolisch zu Grabe. „Wir wollen Wut provozieren und aufrütteln“, sagt der Germanistik-Student. Sie wollen schockieren, so wie es der „Islamische Staat“ in seinen Videos tut, nur, „dass unsere Botschaft die Nächstenliebe ist.“
Unter den deutschen Muslimen ist die kleine Gruppe höchst umstritten, auf ihrer Facebook-Seite gibt es zwar viele aufmunternde Zuschriften, es hagelt aber auch Beschimpfungen, von Sunniten wie von Schiiten. „Wir wollen einen reformierten Islam mit einer deutschen Identität, keinen, der aus dem Ausland, aus Saudi-Arabien, der Türkei oder dem Iran finanziert wird“, sagt Hassan. Viele Freunde hätten sich wegen seines Engagements abgewendet, „die meisten moderaten Muslime lassen uns im Stich“, klagt der 25-Jährige.
Trotz der Anfeindungen, trotz der Angst in den eigenen Familien, wollen sie weitermachen. „Wir müssen gegen den Terror aufstehen“, sagt Hassan. Der Weg ist noch weit. Ihre Facebook-Seite hat 2000 Likes. Die Organisation „Die wahre Religion“ von Abou-Naghie hat über 120.000. Am kommenden Samstag wollen die Koranverteiler wieder in Essen sein. Und in Köln, Münster und Dortmund.