Essen.
Kriminelle Clans im Ruhrgebiet, das ist eines der Schwerpunkt-Themen, denen sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verschrieben hat.
Jetzt warnt der Minister im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor einer neuen Welle der Clan-Kriminalität. „Wir haben Anzeichen dafür, dass sich Großfamilien aus dem irakisch-palästinensisch-syrischen Bereich formieren, die versuchen, die bisherigen Platzhirsche zu verdrängen“, warnt Reul. Das sei insbesondere im Bereich des Rauschgifthandels zu bemerken.
Kriminelle Clans im Ruhrgebiet: NRW-Minister warnt vor neuen, gewaltbereiteren Gruppierungen
„Da geht es beispielsweise um Leute, die bisher zu den Fußtruppen der etablierten Clans gehörten, und die sich jetzt sozusagen selbstständig gemacht haben“, schilderte er. Diese Leute wollten keine Handlanger der kriminellen Clans im Ruhrgebiet mehr sein.
Besonders besorgniserregend für den NRW-Minister ist die Tatsache, dass vieler dieser jungen Männer mit Kriegserfahrung aus den Konfliktgebieten Syrien und Irak stammen.
Reul: Clans weniger lichtscheu als Mafia
„Wenn man von der italienischen Mafia spricht, dann arbeitet die ja gerne im Verborgenen. Die Clans sind da schon deutlich weniger lichtscheu. Und die neuen Gruppierungen sind vermutlich noch gewaltbereiter“, erklärte Reul. Etliche von ihnen seien an der Kriegsfront gewesen.
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Umso deutlicher machte Reul nochmal die Anstrengungen, die er und seine Behörden im Kampf gegen die Clan-Kriminalität unternehmen. „Es war höchste Zeit, dass wir mit den Maßnahmen wie verstärkte Razzien begonnen haben. Und da müssen wir noch konsequenter dranbleiben, als es bisher der Fall war.“
Mit Nadelstichen den Clans keine Ruhe lassen
Die Razzien seien Nadelstiche, die auf die Dauer eine Wirkung hätten und ein Teil der Lösung sein würden. „Wir wollen stören, die Täter nicht mehr in Ruhe lassen. Die können sich nicht mehr sicher sein.“
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Dazu sind regelmäßige Großrazzien auf der Agenda. Bei der Großrazzia im Ruhrgebiet im Januar habe es 14 Festnahmen, 100 Strafanzeigen, 500 Ordnungswidrigkeiten und 430 Verwarngelder gegeben. Außerdem seien bei der Aktion zwei Fahrzeuge, mehrere Kilogramm unversteuerter Tabak sowie Bargeld sichergestellt worden.
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Woher kommen die Clans?
- Wenn die Rede von kriminellen Araber-Clans ist, sind meist Mitglieder von Großfamilien mit türkisch-arabischen Wurzeln gemeint. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.000 Menschen zu solchen Großfamilien.
- Die meisten von ihnen sind nicht kriminell. Manche aber haben sich zu mafiösen Gruppierungen zusammengeschlossen, nutzen familiäre Strukturen für kriminelle Geschäfte.
- Etwa 100 Clans beobachtet das LKA in NRW. Zwischen 2016 und 2018 sind laut LKA in NRW 14.225 Delikte erfasst worden, die im Zusammenhang mit Clankriminalität stehen.
- 6449 Tatverdächtige wurden zwischen 2016 und 2018 ausgemacht, jede fünfte Person ist eine Frau. Die allermeisten Verdächtigen (2177) gab es in Essen, gefolgt von Recklinghausen (648) und Gelsenkirchen (570).
- Die Clan-Kriminellen leben häufig in einer abgeschottenen Parallelwelt, erkennen staatliche Strukturen nicht an. Straftaten werden zu internen Probleme erklärt, die innerhalb der Familien von sogenannten Friedensrichtern geregelt werden.
Mhallami kamen aus der Türkei
- Das wesentlichste Kriterium der Zugehörigkeit des Einzelnen zum Clan ist die tatsächliche familiäre Verwandtschaft. Viele stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak oder der Türkei. Vor allem im Ruhrgebiet wird häufig von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei und aus Syrien stammen. Sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.
- Viele von ihnen wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben und siedelten sich im Libanon an – oft fehlten ihnen die Mittel für Pässe und eine Einbürgerung. Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.
Clans in NRW: Viele Familienmitglieder haben nur einen Duldungsstatus
- Sie kamen über Ost-Berlin in den Westen, beantragten Asyl und wurden auf verschiedene Bundesländern verteilt – vor allem nach Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. Hier gab es einen Abschiebestopp, sie erhielten als Staatenlose direkt eine Duldung und blieben im Land. Bei nicht wenigen blieb der Duldungsstatus bestehen, über Generationen.
- Menschen mit Duldungstatus haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer: Eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ist nur auf Antrag und nach Zustimmung durch die Ausländerbehörde möglich. Manche Experten sehen hierin eine mögliche Ursache dafür, dass sich aus der Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben. (ms/dpa)