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Dreckiges OP-Besteck – Klinikchefs droht der Staatsanwalt

Dreckiges OP-Besteck – Klinikchefs droht der Staatsanwalt

Darmoperation im Josefs-Hospital in Hörde.jpg
Foto: WR
Dreck im OP-Besteck: Verantwortliche der Uniklinik Mannheim wussten, dass Patienten durch Hygienemängel gefährdet waren. Sie ließen es jahrelang zu.

Mannheim. 

Verseuchte OP-Instrumente, verschmutzte Sterilbereiche, verzweifelte Mitarbeiter: Im bundesweit beispiellosen Hygieneskandal an der Uniklinik Mannheim müssen die Abgründe neu vermessen werden.

Nach Recherchen der Funke-Mediengruppe wurden in der Klinik jahrelang dreckige und verkeimte Instrumente für Operationen freigegeben. Verantwortliche wussten davon, setzten sich aber über konkrete Hinweise auf Patientengefährdungen hinweg. Ungenügend gereinigte Instrumente blieben bis Oktober 2014 in Umlauf, trotz auffallend vieler Infektionen. Nach einer Strafanzeige drohen ehemaligen und aktuellen Geschäftsführern, Ärztlichen Direktoren und Aufsichtsräten nun Ermittlungen wegen fahrlässiger und vorsätzlicher Körperverletzung.

Um Ausmaß und Folgen der Vorgänge an der Uniklinik Mannheim zu begreifen, hilft eine kleine Begriffskunde. Etwa das Wissen darum, was ein OP-Sieb ist und wie die Aufbereitung medizinischer Instrumente in einer Zentralen Sterilgutversorgungsabteilung (ZSVA) funktioniert. Ein OP-Sieb beinhaltet die Handwerkszeuge der Operateure: alle Messer, Scheren, Haken, Klemmen, Pinzetten, Zangen und sonstigen Instrumente, die für den geplanten Eingriff am Patienten nötig sind. Diese Geräte müssen in der ZSVA nach gesetzlichen Vorgaben gewaschen, desinfiziert, kontrolliert und sterilisiert werden – hygienisch und räumlich getrennt in einen reinen und einen unreinen Bereich, damit Keime nicht übertragen werden können. Wo die Regeln befolgt werden, wird Sterilgut einwandfrei aufbereitet.

Patienten dem Schicksal überlassen

Nicht so in Mannheim. Dort wurden jahrelang Gesetze missachtet. Das ist seit Oktober 2014 öffentlich bekannt. Bekannt ist auch ein Sachverständigengutachten, demzufolge die Klinik mindestens von 2007 bis 2014 mit schmutzigen Instrumenten operierte – mangels tauglicher Reinigungstechnik, mangels Organisation, mangels Fachpersonal. Die Mannheimer Staatsanwaltschaft ermittelt seit fast einem Jahr wegen möglicher Verstöße gegen Hygienegesetze. Neu sind Erkenntnisse, wie viele Führungskräfte über krasse Missstände und Patientengefährdungen schon lange vor Oktober 2014 im Bilde waren und wie gleichmütig sie damit umgingen.

Der Funke-Mediengruppe liegen interne Unterlagen aus der Uniklinik vor: Protokolle, Berichte, Stellungnahmen, Gesprächsnotizen, E-Mails, Briefe, Fotos, Untersuchungsbefunde, rund 400 Seiten Material. Die Dokumente belegen, dass Vertuschungen, Verschleierungen und Täuschungen teils seit 2002 zum Geschäftsmodell der Klinikum Mannheim GmbH gehörten. Die Akten dokumentieren ein systematisches Hygieneversagen, das in der Klinik teilweise bekannt war. Doch Verantwortliche ließen Mitarbeiter im Stich und überließen Patienten ihrem Schicksal. Bis zu 350.000 Patienten könnten so mit Instrumenten behandelt worden sein, die ihre Gesundheit gefährden konnten.

Schädelbohrer mit Körperfasern verschmiert

Nicht jeder Eingriff endete so glücklich wie der am 30. Januar 2014: In einem Saal der Neurochirurgie stehen Spezialisten vor einem schweren Job. Der Kopf eines Patienten muss aufgetrennt werden. Wie gut, dass das OP-Team vorher genau hinschaut: Das Instrument, mit dem der Schädel geöffnet werden soll, ist schmutzig. „Es ist grob mit Gewerberesten, offensichtlich von der letzten Operation, verdreckt“, meldet der Chirurg der Unternehmensleitung. An seine E-Mail hängt er ein Foto. Das Bild zeigt ein verschmiertes, mit Körperfasern gespicktes Gerät. „Es wurde so von meinem OP-Team kurz vor einer Schädelöffnung in einem vermeintlich sterilen Sieb am 30.01.14 vorgefunden“, beschwert sich der Chirurg. „Mehr muss ich dazu zunächst sicher nicht sagen.“ Vielleicht noch dies: Es sei nicht der erste Vorfall dieser Art. Es soll auch nicht der letzte bleiben.

2013 und 2014 häufen sich Meldungen über Zwischenfälle. Immer wieder tauchen schmutzige, aber zur Operation als steril freigegebene Instrumente auf, immer häufiger gibt es Wundinfektionen, meist im Orthopädisch-Unfallchirurgischen Zentrum (OUZ), wo ein Großteil aller Eingriffe läuft: Tumororthopädie, gelenkerhaltende und arthroskopische Chirurgie, Hand- und Fußchirurgie, Endoprothetik, Kinderorthopädie, Schulter- und Ellenbogenchirurgie, Unfallchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie, ambulante OPs und Notaufnahmen bündeln sich hier. „Ein Höchstmaß an Kompetenz“ verspricht das OUZ im Internet-Auftritt der Uniklinik. Doch die Chirurgen müssen mit dem arbeiten, was aus der Zentralsterilisation kommt. Und von da kommt damals nicht viel Gutes.

Fäkalien-Flut in der Herzkammer der Hygiene

Die Hygiene habe sich seit 2009 „von einem eher niedrigen Level insgesamt verschlechtert“, warnt ein Oberarzt 2013 Klinikchefs und Unternehmensleitung. Es gebe „keine getrennten Räume für reine und unreine Arbeiten“, auch „keine Waschmaschine, die Stand der Technik wäre“. Der verbreitete Begriff „Vorwäsche“ sei „irreführend“, denn: „Die vermeintlich vorgewaschenen Instrumente“ würden ja „nicht mehr endgewaschen“. In der Praxis: „Endoskope gelten danach als sofort wieder am Patienten einsetzbar.“

Am 20. Juni 2013 wird die Herzkammer der Hygiene geflutet: Schmutzwasser aus der Kanalisation überschwemmt die Zentralsterilisation. Die braune Brühe steigt aus einem Gulli hoch, der Prüfer des Regierungspräsidiums Karlsruhe schon 2007 irritiert hatte. Ob er „ein hygienisches Problem darstellt, können wir nicht beurteilen“, steht im Begehungsprotokoll von damals. Sechs Jahre später verseuchen Abwässer den Sterilbereich. „Durch die Überschwemmung des Raumes“ gebe es „teilweise sehr hohe Keimbelastung der Tische, auch mit gramnegativen Keimen“, heißt es später im Laborbericht. Neben Schimmelpilzen, Staphylokokken, Mikrokokken und Sporenbildnern nisten auch multiresistente Pseudomonas-Keime auf Tischen, Ablagen und Regalen, in denen Siebe für anstehende OPs gepackt und gelagert werden.

Aufbereitet, steril verpackt und verseucht

Das Wort „Patientengefährdung“ leuchtet jetzt immer häufiger auf in Meldungen an die Chefetage.

Ebenso häufen sich Berichte über Wundinfektionen. Binnen weniger Wochen erleiden vier Patienten durch eine Kreuzband-Operation verursachte Infektionen ihrer Knie. Eingepflanzte Implantate sind von Staphylokokken befallen und müssen wieder entfernt werden. Bei der Untersuchung von zwei Kreuzband-Sieben werden „signifikante Keimbelastungen“ entdeckt: Zehn Proben sind mit verschiedenen Bakterien belastet. Die Instrumente seien „komplett aufbereitet und steril verpackt“ aus der ZSVA gekommen, heißt es im Bericht.

„Organisationsverschulden schwer zu widerlegen“

Im Institut für Mikrobiologie und Hygiene haben einige die Nase voll. Diese Zustände seien sicher „einzigartig für ein Klinikum der Maximalversorgung in Deutschland“, sagt ein Oberarzt und warnt: „Da diese Situation etabliert scheint“, wäre bei Komplikationen „der Vorwurf eines Organisationsverschuldens“ wohl „nur schwer zu widerlegen“.

Diese Bilanz des ersten Quartals 2014 erreicht Unternehmensleitung und Klinikchefs: „21.03.: schmutzige Instrumente“; „19.03. unzureichendes Waschen“; „19.03.: verschmutztes Instrument“; „17.03.: Haar auf aufbereitetem Sieb an einem Instrument im OUZ-OP gefunden“; „11.02.: Verschmutzter Bohrer auf aufbereitetem Sieb im OP gefunden“; „30.01.: Verschmutztes Instrument zur Schädelöffnung auf aufbereitetem Sieb gefunden“; „zwei Mal mikrobiologisch kontaminierte Instrumente auf aufbereiteten Sieben“; „mehrfach der Hinweis aus dem OP über Haare im Sieb“.

Schmutzige Instrumente während der OP entdeckt

Und das sei nur ein Ausschnitt, mahnt der Absender. Chirurgen und OP-Pfleger berichteten „deutlich häufiger über Unzulänglichkeiten in der Versorgung mit Instrumentarium“ – über fehlende Siebe, unvollständige Siebe, verschmutzte Siebe. Bei einer Wirbelsäulen-OP seien „die deutlich verschmutzten Instrumente“ erst „während des Eingriffs entdeckt“ worden, dafür spreche „die sichtbare Blutkontamination“ auf einem beigelegten Foto.

Eingeweihte Ärzte wundert das nicht. Ein Unfallchirurg mailt zurück: Dies sei „Zeugnis des bereits Bekannten und erneut patientengefährdend“. Weil die Vorfälle „nicht regelmäßig dokumentiert und auch nicht gezielt kommuniziert“ würden, beschleicht ihn eine Ahnung von der Dunkelziffer möglicher Folgeschäden: „Das Gewicht, das diese Vorfälle möglicherweise in ihrer Summe haben, wird nicht erkennbar.“

„Die Leute sind den Tränen nahe“

Die Befürchtung, nur den Zipfel des Eisbergs zu sehen, hegen viele Mediziner. Tenor: Die wahren Ausmaße des Skandals könnten noch viel größer sein, weil längst nicht alle verschmutzten Instrumente rechtzeitig erkannt worden sein dürften. Oder umgekehrt: Dass nicht alles keimfrei gewesen sein wird, was beim bloßen Hinsehen sauber erschien.

Anfang 2014 kündigt sich der Kollaps an. „Die Lage in der ZSVA“ sei „desolat“, meldet ein Oberarzt der Unternehmensleitung: zwei Sterilisationsgeräte ausgefallen, zwei Instrumentenwaschmaschinen defekt, ein halbes Dutzend volle Container mit dreckigem Material stauten sich in der ZSVA, einige mehr stünden vor der Tür – randvoll mit benutzten Sieben, „ca. 32 kg pro Kiste“. Fotos dokumentieren das Chaos. Die Personalstärke sei „sehr übersichtlich“, berichtet der Arzt. „Die Leute, die jetzt da sind, sind den Tränen nahe. Nach meinem Eindruck steht der Betrieb und mit ihm die Mitarbeiter dort vor dem Zusammenbrechen, man darf es nur nicht so nennen.“

Zentralsterilisation kopflos

Kurz darauf bricht dort tatsächlich jemand zusammen. Der Chef.

Es ist Tagesgespräch auf den Gängen. Jetzt, da der Leiter der Zentralsterilisation „zusammengeklappt ist, macht die ZSVA im direkten und übertragenen Sinne einen eher kopflosen Eindruck“, schreibt ein Oberarzt an den zuständigen Geschäftsbereichsleiter – und schickt ihm neue Bilder aus dem Orthopädisch-Unfallchirurgischen Zentrum. Ein Foto zeigt einen minimal-invasiven Bohrer der Kategorie „kritisch B“, für die das Gesetz besonders strenge Reinigungsregeln vorschreibt. Gleich daneben liegt ein Teil, das unmittelbar vor dem geplanten Einsatz aus dem Bohrer herausgefallen ist. „Nach Ansicht der Nutzer handelt es sich um einen Knochenrest einer vorhergehenden Operation“, heißt es zu dem Fund, über den es auch ein Video gibt.

OP-Team sucht eineinhalb Stunden nach sauberem Instrument

Teilweise spielen sich dramatische Szenen ab. Am 2. Oktober 2014 findet ein OP-Team keine sauberen Instrumente, um den bereits narkotisierten Patienten zu operieren. Aus dem ersten Sieb fallen „schwärzliche plattgedrückte Reste, am ehesten Blutreste“. Der Operateur greift zu einem zweiten Sieb. „Hier zeigte sich eine gelbliche Verunreinigung, am ehesten biologischen Ursprungs.“ Ein drittes Sieb muss her. Doch das enthält „ebenfalls grobe Verunreinigungen einer Stanze mit sichtbaren Blutresten“. Die Lage wird prekär. „Es sind noch zwei weitere Siebe vorrätig, welche nun geöffnet werden“, meldet der Chirurg noch während der laufenden Prozedur. Dann schlägt auch der vierte Anlauf fehl. Abermals fällt „mutmaßlich älteres angetrocknetes Blut“ aus einem Instrument. „Auch dieses Sieb wurde verworfen.“ Versuch Nummer fünf gelingt, weil sich der Operateur für ein Gerät mit einem anderen Funktionsmechanismus entscheidet. Als der erste Schnitt gesetzt wird, liegt der Patient eineinhalb Stunden auf dem OP-Tisch.

Strafanzeige gegen acht Personen erstattet

Mitte der Woche ging bei der Staatsanwaltschaft Mannheim eine umfangreiche Strafanzeige ein. Der Vorwurf, „fahrlässige bzw. vorsätzliche Körperverletzung in hoher Anzahl“, richtet sich gegen acht Personen: zwei ehemalige und einen aktuellen Geschäftsführer der Klinikum Mannheim GmbH, zwei Ärztliche Direktoren, drei Aufsichtsratsmitglieder. Die Behörde prüfe nun, ob Ermittlungen einzuleiten seien, sagte eine Sprecherin.

Die Uniklinik wollte zur Verantwortung früherer und heutiger Manager des Hauses nichts sagen. Man äußere sich „nicht zu laufenden oder noch nicht eröffneten Verfahren“.