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Die junge Kunst des Kochens

Die junge Kunst des Kochens

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Foto: Funke Foto Services

Mülheim. 

Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, dann würde man Sven Nöthel jetzt bei einem Tennisturnier irgendwo in Deutschland oder in der Welt die Daumen drücken, mitfiebern, ob er gewinnt…

Es ist ganz anders gekommen. Zwei schwere Verletzungen haben den angehenden Tennisprofi vor einigen Jahren erwischt und ihn vor die Sinnfrage gestellt. Nöthel überlegte – und entschied sich für einen ganz anderen Weg. Er wurde Koch. Was aus heutiger Sicht eine ziemlich gute Wahl war: Denn soeben hat der Mülheimer mit gerade mal 27 Jahren vom Guide Michelin seinen ersten Stern erhalten – Lohn für harte Arbeit, innovative Kreationen und regionale Verbundenheit.

Gemütlich im Fachwerk

Nöthel kocht so Kunstwerke wie „Blutwurst und Sardelle mit roter Bete und Mandarine“ oder „Zander mit Sauerkraut, Feldsalat, Kohlrabi und Apfel“. Wer auf diesem Niveau angekommen ist, für den ist ein 12- bis 16-Stunden-Tag Normalität. Und trotzdem macht Sven Nöthel bei aller Zielstrebigkeit einen ziemlich entspannten Eindruck. Auch das Wort „Spaß“ fällt im Gespräch mit ihm öfter.

Hinzukommt: Das Restaurant „Am Kamin“, dessen Küchenchef er seit mehreren Jahren ist, entspricht so gar nicht dem Klischee eines abgehobenen Gourmet-Tempels. Was einerseits an der Jugendlichkeit liegt, die dort herrscht: Sven Nöthel ist mit 27 der älteste im Team. Und andererseits wohl auch mit dem Ort zu tun hat: Mülheims Spitzengastronomie hat ihre Heimat in einem fast 300 Jahre alten Fachwerkhaus mit baumbestandenem Garten in einem Wohngebiet im Stadtteil Winkhausen. Eine Idylle mitten im Ruhrgebiet. Und ein Familienbetrieb in dritter Generation. Chefin des Hauses ist Sven Nöthels Mutter.

Wobei sich Nöthel früher eher irgendwo als Hotelmanager denn als Küchenchef gesehen hätte. Im „Kamin“ hat er früher auch nie in der Küche, sondern im Service ausgeholfen. „Ich fand Hemd und Krawatte immer irgendwie schicker als die Kochjacke“. Geändert hat diese Haltung unter anderem eine „Schnupperzeit“ im Düsseldorfer Hummerstübchen, dem damaligen Restaurant seines Vaters, vom Guide Michelin seinerzeit mit zwei Sternen dekoriert. Gelernt hat er später unter anderem beim ebenfalls Sterne-gekrönten „Stemberg“ in Velbert. Schon im dritten Lehrjahr übernahm Nöthel die Leitung der Küche im Mülheimer Familienbetrieb – ein rasend schneller Weg, auf dem er sich klaren Leitsätzen verschrieben hat: „Kochen muss Spaß machen. Kochen muss kreativ sein. Kochen muss überlegt sein. Und man muss sich Zeit nehmen.“

Wie sich diese Ideen konkret auswirken? Zum Beispiel in der Tatsache, dass er regelmäßig im Wald Fichtensprossen, Schafsgarbe, Oxalis und Vogelmiere sammelt und anschließend in der Küche verarbeitet. Was wiederum mit Sven Nöthels Vorliebe für Regionales und für Saisonales zusammenhängt. „Warum soll man etwas mit Blüten machen, wenn es draußen schneit?“ Und warum soll man etwas von weit her einfliegen lassen, „wenn es gerade am Niederrhein so viele tolle Bauern gibt?!“

Vegetarisch und vegan

Überhaupt: Nöthel ist Gemüsefan. Statt Reis oder Nudeln serviert er als Beilage ungewöhnliche Gemüsevariationen. Vegetarisch, vegan – das sind Begriffe, die inzwischen auch in der Sternegastronomie ihren Platz haben. Nur gut muss es eben sein, raffiniert, innovativ.

Sven Nöthel hat einen Lieblingsspruch, er stammt von Luciano Pavarotti, dem großen italienischen Tenor und Gourmet, und er lautet: „Kochen ist Kunst. Und nicht die Unbedeutendste.“ Und weil man herausragende Kunst eben nicht in jedem Wohnzimmer findet, erteilt der Mülheimer Nachfragen, wie man seine Gerichte nachkochen kann, auch charmant eine Absage: „Wenn Sie das zu Hause nachkochen können, dann haben wir etwas falsch gemacht.“

An Heiligabend hat die Kunst des Kochens allerdings mal einen Tag Pause. Nöthel feiert mit Familie und Freunden ganz unkompliziert – bei Raclette.