Aus Bonn stammen zahlreiche islamistische Kämpfer. Im Stadtteil Tannenbusch können die Salafisten offenbar in einem Tunnelsystem bequem abtauchen.
Bonn.
Molenbeek. Schaerbeek. Die westlichen und nördlichen Brüsseler Vororte sind, wie manche Banlieus von Paris, europaweit in Verruf. Salafisten haben sich hier über Jahre, ungehindert von der belgischen und französischen Polizei, radikalisieren und verstecken können. Fehlende Ausbildungen für die jungen Migranten, fehlende Integrationsbemühungen auf allen Seiten und die prekären Lebensverhältnisse ihrer Eltern haben zur Radikalisierung beigetragen. Hoffnungslosigkeit ist weit verbreitet: „Oft Kleinkriminelle“, hat der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach gesagt, seien es auch, die in solchen Viertel in den Dschihad abdriften
Gibt es Molenbeeks und Schaarbeeks in Deutschland? Nicht Berlin, Hamburg oder der Ballungsraum Ruhrgebiet werden in solchen Zusammenhängen zuerst genannt. Das Bundeskriminalamt hat in einer Untersuchung festgestellt, dass besonders die Syrienkämpfer aus eher mittleren Großstädten kommen. Auch die letzte Talk-Runde bei Maybritt Illner war sich fast einig, dass der Terror Deutschland zwar bedroht, die Lage im Bundesgebiet aber weniger brenzlig ist als in den westlichen Nachbarstaaten.
200 gewaltbereite Islamisten in der früheren Bundeshauptstadt
Dennoch taucht in den Berichten über Haftbefehle, Festnahmen oder Anklagen der Bundesanwaltschaft und über Razzien der Sondereinsatzkommandos immer wieder der Name einer nordrhein-westfälischen Stadt auf: Bonn. Zweimal alleine in dieser Woche: Nicht nur der Flughafen Wahn ist im Visier des Islamischen Staates (IS), sondern auch ein aus Bonn nach Syrien ausgereister Islamist soll mit Rückkehr und einem Anschlag in seiner alten Heimat gedroht haben.
Die frühere Bundeshauptstadt, in der 200 gewaltbereite Islamisten leben sollen, hat einen hohen arabischen Bevölkerungsanteil – ein Erbstück der Zeit als Sitz von Regierung und Parlament. Damals war auch die hohe Zeit der König Fahd-Akademie im südlichen Vorort Bad Godesberg, die später lange Hort des Radikalismus wurde. Die kritischere Entwicklung der jüngeren Zeit aber spielt sich nördlich der Innenstadt ab: Im Stadtteil Tannenbusch. Ist Tannenbusch, wo ein Hochhaus neben dem anderen entstanden ist, ein Hot Spot des gewalttätigen Islamismus, über den ganz NRW besorgt sein müsste?
Abtauchen im Tunnel
Der Lokalzeitung hat ein nicht genannter Polizist aus der Bundesstadt jetzt Alarmierendes erzählt. Unter den Wohnblöcken von Tannenbusch erstrecke sich ein großes, zusammenhängendes Tunnelsystem, eine Art Fehlkonstrukt der Bauzeit. Dort seien nämlich die Tiefgaragen miteinander verbunden. „Da kann man von einem Haus ins andere gehen, ohne gesehen zu werden“, zitiert der Bonner Generalanzeiger den Insider. Was sich unter der Erde abspiele, das wisse keiner genau. Deshalb gehe auch „kein Polizist alleine da rein“. Streifenwagen würden nur im Doppelpack anfahren.
Mehr noch: Die Fahndung nach einem Verdächtigen in einem der Hochhäuser sei schon gescheitert, weil „auf jeder Etage der gleiche Name am Klingelschild steht“. Der eine Nachbar würde leicht an den nächsten verweisen können, aber nie etwas sagen. „Da kann man ohne Probleme abtauchen“. Die Leute dort sprächen nicht mit staatlichen Behörden.
Offiziell hat die Bonner Polizei die Existenz die Dinge nicht bestätigt. Dabei hatten Anlieger der hochprozentig von Ausländern bewohnten Blocks schon vor zwei Jahren einen ähnlichen Verdacht geschöpft, konkret: In der Tiefgaragen hätten sich Salafisten getroffen, 15 oder 20, und gegen Mitternacht unter der Erde trainiert. Schussgeräusche höre man ab und an. Viele Zeugen gibt es dafür nicht.
Ein Hort der Salafisten
Reine Phantasie, nur befördert durch die schwierige Sicherheitslage? Wer addiert, welche Gewalt und welche Gewaltankündigungen schon von Tannenbusch ausgegangen sind, kann tatsächlich ein paar Sorgenfalten bekommen. Hochrangige und gefährliche Islamisten haben hier gelebt und von hier aus operiert.
- Im Juli letzten Jahres sprengte sich Abdiarazak B. in Somalia in Luft. Er war in dem nördlichen Bonner Vorort aufgewachsen. Der 30-jährige, der beim SF Brüser Berg Fußball gespielt hatte, zündete die Bombe mitten in Mogadischu und riss 18 unschuldige Menschen mit in den Tod.
- Yamin A.-Z., ein 28-jähriger Telekom-Mitarbeiter, der als gut gelaunt und gut gebaut bekannt war, verbreitete als IS-Kämpfer das erste rein deutsche Terror-Video des Islamischen Staates. Darin forderte er die zurückgebliebenen „Brüder und Schwestern“ in Deutschland auf: „Greift die Ungläubigen in ihren Häusern an. Tötet sie dort, wo Ihr sie findet“. Er zeigte dann, wie das geht. Zwei gefangene mutmaßlich syrische Soldaten fallen unter seinen MP-Schüssen.
- Vor wenigen Monaten ließ der Generalbundesanwalt den 23-jährigen Mohamed A. am Arbeitsplatz festnehmen. Er soll sich dem IS angeschlossen, in Syrien eine Kampfausbildung durchlaufen und Wachdienste geleistet haben. Im Bonner Norden, wo er gerade eine Elektriker-Lehre begonnen hatte, war sein ahnungsloser Arbeitgeber geschockt.
- Bekkay Harrach war ein Schwergewicht. Er hatte Deutschland öffentlich und auf Videoclips mit einem Anschlag gedroht. Der El Kaida-Mann ging 2007 nach Afghanistan und kam dort 2010 um.
- Anhänger der Terrormiliz IS feierten auf den Plätzen vor den Siedlungen Grillfeste, offenbar um neue Kämpfer zu rekrutieren. Erst auf die Hinweise von Sicherheitskräften hin rückte Polizei zur Razzia an.. Auch Konvois zur Unterstützung der IS in Syrien sind hier zusammengestellt worden. Sie sind noch rechtzeitig aufgeflogen.
- Der gefährlichste Tannenbuscher war aber sicher Marco G. Er muss sich derzeit vor Gericht verantworten. Der Konvertit stellte am 10. Dezember 2012, mitten im Adventstrubel, eine Bombe am Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs ab, glaubt die Anklage. Weil der Zünder nicht funktionierte, kam es nicht zur Explosion. Hätte er funktioniert, wären Dutzende Tote auf dem eng mit Reisenden bestandenen Bahnsteig möglich gewesen. Auf dem Sprengsatz fand die Polizei die DNA des zweijährigen Kindes von Marco G.. Es hatte in der Hochhaussiedlung , wo G. mit der Familie wohnte, mit einem später in die Bombe eingebauten Rohrstück gespielt.
Die Polizei in der Stadt weiß um die Gefahren, die mit der starken Präsenz von radikalen Salafisten in Bonn verbunden ist. Ende 2015 hat der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen den Staatsschutz des Polizeipräsidiums um zwölf Beamte aufgestockt. 25 Polizisten beobachten jetzt ausschließlich die Salafisten-Szene und versuchen, bei Verdacht zu ermitteln.