Monika P. hat eigentlich ihren Traumberuf gelernt. Lange Jahre war sie zufrieden, auch wenn die Arbeit schwer war. Doch die Bedingungen wurden mit der Zeit zunehmend härter. Mit 55 Jahren wurde sie berufsunfähig.
An Rhein und Ruhr.
Eine Bitte hat Frau P., bevor wir uns verabschieden: „Wenn Sie meinen Namen ändern, nennen Sie mich doch bitte Monika. Das war meine Lebensretterin.“ So hieß die Kollegin, die vor sechs Jahren abends an ihre Tür klopfte und bei ihr blieb, damit sie sich nichts antut. Jene Kollegin, die Frau P. an eine Psychotherapeutin vermittelte, die sie wegen schwerer Depressionen sofort in eine Klinik überwies.
Nennen wir sie also Monika P., 60 Jahre alt, von Beruf Altenpflegerin, 36 Arbeitsjahre in den Knochen, heute Bezieherin einer Berufsunfähigkeitsrente von rund 1240 Euro. Monika P. hat die Berichterstattung in der NRZ über den Personalmangel in der Altenpflege verfolgt. Vieles hat sie da wütend gemacht. Und sie möchte gerne darüber reden, wie es ihr ergangen ist.
„Ich war innerlich leer, nur noch eine Hülle“
36 Jahre im Pflegeberuf, davon die meiste Zeit in zwei oder sogar in drei Schichten – Monika P. hat die Belastungen ihres Jobs weitaus länger durchgehalten, als die Statistik ausweist.
Bis zu jenem Tag 2007, als ihr alles zu viel wurde. Wieder einmal war sie von Vorgesetzten drangsaliert worden, sie erinnert sich nur noch, ihren Mantel, ihre Tasche geschnappt zu haben, nach Hause gefahren zu sein und sich fest vorgenommen zu haben: Jetzt mache ich es! „Ich war innerlich leer, nur noch ein Hülle. Ich war kein Mensch mehr, hatte Panik, Alpträume.“ Zuvor hatte die damals 55-Jährige einen Abschiedsbrief geschrieben, hatte Insulin und Schlaftabletten gehortet. Heute ist sie froh, dass sie ihr Vorhaben nicht in die Tat umsetzte: „Es geht mir wieder gut.“
Monika P. beginnt mit knapp 19 Jahren in Essen eine Hauswirtschaftslehre im Altenheim, geht in die Wäscherei, die Nähstube, muss Zimmer putzen. Obwohl die Arbeit anstrengend ist, obwohl es kaum Hilfsmittel gibt und „auch die Bettpfannen noch per Hand gereinigt werden mussten“, gefällt es ihr im Altenheim, vor allem im Umgang mit den Bewohnern.
Streng, aber gerecht
Sie geht nach ihrer Lehre für zwei Jahre in die Altenpflegeschule in Aachen, arbeitet danach viele Jahre in einem Caritas-Heim in Bad Pyrmont. Als der alte Pfarrer in Rente geht, zieht Monika P. mit mehreren Kolleginnen nach Niederbayern. Dort gibt es ein Alten- und Pflegeheim, das bisher von Nonnen geleitet wurde, doch viele der Schwestern sind zu alt, um die anstrengende Aufgabe zu schaffen.
Monika P. ist schon viele Jahre im Beruf, als sie sich der neuen Aufgabe annimmt. Die Heimleiterin ist eine Schwester Oberin: „Streng, aber gerecht!“ Altenpflege, sagt Monika P., sei immer Knochenarbeit: „Aber das macht nichts, wenn das Umfeld stimmt. Und wir waren wie eine große Familie. Der eine ist für den anderen eingestanden. Die Stimmung war gut.“ Es gab Zeit für Schwätzchen, Späße mit den Bewohnern: „Mich habe sie immer Schwesterchen genannt, weil ich so klein bin.“
Nach Jahren geht Schwester Oberin in Pension, eine neue Heimleiterin kommt: „Studiert, mit viel Hirn, aber wenig Herz.“ Sie bleibt nicht lange, aber es reicht, um das Klima im Heim zu verändern. Das wird auch beim nächsten Heimleiter nicht anders. „Die Zeiten hatten sich geändert“, sagt Monika P.: „Er wollte aus dem Altenheim ein modernes Pflegeheim machen. Eines, das nach außen Eindruck macht.“ Da hätten sie als „alte“ Mitarbeiter nicht mehr hineingepasst, hatte sie das Gefühl: „Wir konnten es ihm nicht recht machen.“
Dazu kommt der Kostendruck. Es muss mehr und mehr gespart werden. Und die neue Pflegeversicherung bürdet den Mitarbeitern einen immensen bürokratischen Aufwand auf. Diese Zeit fehlt – „wir konnten unseren Bewohnern nicht mehr gerecht werden.“ Die Einteilung der Pflegebedürftigen in Pflegestufen kann Schwester Monika von Anfang an nicht ausstehen: „Menschen zu begutachten, als ob es Tiere sind und in Stufen einzuteilen – das habe ich nicht verstanden!“
Ganz zu schweigen von denen, die zunächst gar nicht von der Pflegeversicherung erfasst werden: „Demente Menschen brauchen sehr viel Zuwendung. Denen können Sie nicht in ein paar Minuten die Zähne putzen. Oder ihnen ein Nachthemd überziehen. Da ist der Körper so versteift, da braucht man 20 Minuten. Wir sollten drei, vier Menschen in einer Viertelstunde füttern. Die hatten ja kaum Zeit, zu schlucken…“.
Weniger als die halbe Belegschaft
Doch Zeit ist Geld, und beides wird im laufenden Betrieb zunehmend knapp. Überstunden häufen sich an. Sonntags fällt dieselbe Arbeit an wie unter der Woche, „nur mit weniger als der halben Belegschaft. Das war einfach nicht mehr zu schaffen.“
An Feiertagen im Heim werden schließlich nur noch diejenigen Pflegebedürftigen nach unten an die gedeckte Tafel gebracht, bei denen Verwandtschaft zu erwarten ist. Wer alleine ist, bleibt auf seinem Zimmer: „Wir haben es nicht mehr geschafft, alle runterzubringen.“ Fleischreste vom Vortag seien mittags püriert, Kartoffelbrei in der Mikrowelle aufgewärmt worden. „Merkt ja sowieso keiner, hieß es, wenn wir protestierten.“
- 890 000 Beschäftigte arbeiten hierzulande in der ambulanten und stationären Altenpflege.
- Ein Drittel der Pflegenden hat das Gefühl, ständig an die eigenen Grenzen gehen zu müssen.
- Deshalb beenden die meisten Altenpfleger ihren Job frühzeitig. Sie hören im Durchschnitt bereits nach 7,5 Jahren auf.
- Einem neuen Gesetz zufolge sollen jedes Jahr 10 Prozent mehr Altenpflegerinnen ausgebildet und 4000 Pflegehelferinnen zu Fachkräften fortgebildet werden.
- Verdi fordert bessere Entlohnung, bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen durch mehr Personal, um die Attraktivität des Berufes zu steigern.
Mit über 50 wird Monika P. zusätzlich auch in den Nachtdienst versetzt. Zu zweit müssen sie sich um 100 Bewohner kümmern: „Teekannen einsammeln und spülen, Windeln wechseln, umbetten, Spritzen geben, Medikamente verteilen.“
In dieser Zeit kündigen viele. Monika P. bleibt. Bis ihr die Heimleitung vorwirft, sie habe einer Bewohnerin die Haare gewaschen und sie dann bei geöffnetem Fenster sitzen lassen. Monika P. kann anhand des Dienstplanes nachweisen, dass sie am fraglichen Tag nicht da war. Aber der Vorwurf trifft sie tief: „Ausgerechnet ich – so ein Fehler?“
Strichmännchen mit roten Tränen gemalt
Später, in der Therapie, malt sie sich als Strichmännchen, umgeben von Bettpfannen und Rollatoren, mit roten Tränen – „Herzblut“ sagt sie. Für einen Beruf, für den sie auf eine eigene Familie, auf Kinder verzichtete, und für den es zum Schluss nicht mal mehr Anerkennung gab. Außer ihrer Lebensretterin meldet sich von ihren Arbeitskollegen keiner mehr. Sie wird auch nicht mehr an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren. Monika P. hat Diabetes, Schilddrüsenprobleme, Schultern, Knie, Rücken sind kaputt, beide Handgelenke operiert.
Heute lebt sie – gemeinsam mit dem ersten Partner in ihrem Leben – wieder im Ruhrgebiet. Was sie eigentlich sagen will, ist: „Dieser Beruf muss mehr geachtet werden. Und die Arbeitgeber müssten fürsorglicher sein – auch den Pflegenden gegenüber.“