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Wie Nelson Mandela seinen Wärter befreite

Wie Nelson Mandela seinen Wärter befreite

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Fremdbild Foto: Fremdbild
Die Zeit mit dem südafrikanischen Nationalhelden hat aus dem weißen Gefängnisaufseher Christo Brand einen Botschafter für die Freiheit gemacht. Zunächst hasste er alle Insassen von Robben Island, doch im Laufe der Jahre lerneten sich die ungleichen Männer kennen und schätzen. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft.

Johannesburg. 

Es gibt viele Geschichten über Nelson Mandela, die erklären, wer und wie er war. Doch die über die Freundschaft zwischen dem Häftling 46664, Nelson Mandela, und seinem weißen Wärter Christo Brand, ist eine ganze Besondere. Zwölf lange Jahre lang war Brand zuständig für den politischen Häftling, der wegen seines Kampfes gegen die Rassentrennung und das weiße Apartheidsregime in Südafrika zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Nach 27 langen Jahren Haft kam er frei und wurde schließlich der erste schwarze Präsident des Landes. Doch darum geht es hier nicht.

Er hasste die Häftlinge

Wärter Brand hasste die Häftlinge auf Robben Island, als er seine Arbeit auf der Gefängnisinsel begann, erzählt er im Interview mit dieser Zeitung. „Ein Freund von mir war ein Jahr zuvor an der namibischen Grenze im Gefecht mit schwarzen Befreiungskämpfern umgekommen: Ich schwor mir, zu diesen gefährlichen Leuten Distanz zu halten.“

Doch das gelang nicht. Mandela fiel ihm sofort auf, obwohl er ihn nicht kannte. „Wenn wir morgens die Zellen inspizierten, standen die Gefangenen von ihrem Schlafplatz auf, der damals noch aus einer bloßen Matte und Wolldecken bestand, Kopfkissen gab es keine. Weil Mandela sehr groß war, ragten seine Füße immer über die Matte auf den Zement hinaus. Er stand auf und grüßte freundlich. Er war überhaupt immer sehr freundlich, mit nur sehr wenigen Ausnahmen.“

Mandelas Enkel brach das Eis

Mandela versuchte, mit dem Wärter ins Gespräch zu kommen, es sei nicht leicht gewesen, diesem Mann nicht zuzuhören. Aber das Verhältnis änderte sich erst, als Mandelas Frau Winnie das neugeborene Enkelkind in eine Decke gehüllt auf die Insel schmuggelte. „Winnie fragte mich, ob sie Mandela das Kind zeigen könne. Das war mir aber zu riskant“, erzählt Brand. Er lehnte ab. „Doch am Schluss des Besuchs drückte mir Winnie das Baby einfach in die Arme. Ich wollte mich wehren: Schließlich hatte ich bis dahin noch nie ein schwarzes Baby gehalten. Winnie ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken.“

Da stand der große weiße Wärter nun mit dem Knäul im Arm: „Ich ging zu Mandela und gab ihm das Kind. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Danach war unser Verhältnis anders: Wir fingen an, über persönliche Dinge zu reden.“ Mandela erkundigte sich nach seinen Zielen im Leben, wollte wissen, warum die Wärter sich nicht weiterbildeten. Er studierte in jeder freien Minute.

Mandela lernte die Sprache der Weißen

Brand half ihm, Afrikaans zu sprechen. „Mandela lernte unsere Sprache, um uns besser zu verstehen.“ Nicht zuletzt aus diesem Grund verlief der Übergangsprozess so störungsfrei, meint der 60-Jährige. „Mandela kannte die Ängste der Weißen, die Furcht, von den Schwarzen ins Meer geworfen zu werden. Er hatte sie an uns Gefängniswärtern studiert. Er verstand es, die Weißen zu beruhigen, und auf diese Weise die Versöhnung einzuleiten.“ Die Ausstrahlung eines Führers habe er aber nicht gehabt. „Er war nüchtern und unkompliziert. Er schaffte es immer, dass sich die Leute um ihn herum wohl fühlten – selbst als er Präsident war.“

Als Brand die Sache mit dem Motorradunfall passierte, wusste er endgültig, dass es sich bei den Gefangenen nicht um Bestien, sondern um Menschen handelte. Nach dem Unfall forderte die Polizei Geld von dem Wärter – zu Unrecht, wie Brand meinte: „Ich erzählte Mandela, dass ich einen Anwalt aufsuchen müsse. Er sagte: Lass mich das mal machen und setzte einen langen handgeschriebenen Brief auf, den meine Frau abtippte. Es kam zu einem ausführlichen Briefwechsel, und am Ende musste ich keinen Cent bezahlen. Natürlich habe ich den Namen meines Anwalts nie erwähnt.“ Danach tranken die Männer öfter Kaffee in seiner Zelle.

„Er hat uns alle befreit“

Früher, so erzählt Brand, habe er gedacht, Mandela sei ein Freiheitskämpfer für sein Volk gewesen, aber nicht für die weißen Südafrikaner. „Heute aber weiß ich, dass er uns alle befreit hat.“ Brand und Mandela haben sich nie aus den Augen verloren. Der 60-Jährige versteht sich als Botschafter, der Mandelas „Evangelium der Freiheit“ verkündet. Er arbeitet als Touristenführer auf Robben Island.