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Wertewandel in der Familie: Mehr Liebe, weniger Hiebe

Wertewandel in der Familie: Mehr Liebe, weniger Hiebe

Bielefeld. 

In der deutschen Gesellschaft vollzieht sich ein stiller Wandel. Gewalttaten im persönlichen Umfeld gehen zurück. Kinder wachsen liebevoller auf. In den Familien wird weniger geprügelt. Auf Schulhöfen sind ernste Raufereien viel seltener als noch vor zwanzig Jahren.

Ein schöngefärbtes Wunschbild? Professor Christian Pfeiffer, Chef des Kriminologischen Instituts Niedersachsen, hat auf dem 18. Deutschen Präventionstag in Bielefeld Daten vorgelegt, die er mit den Ergebnissen von Zehntausenden von Befragungen untermauert. Sie widerlegen einen breiten Werteverfall. In der Erziehung, die Grundlage für eine gesellschaftliche Entwicklung, gebe es heute „mehr Liebe, weniger Hiebe“.

Kindheit und Gewalt

„Setzt“ es noch was zu Hause? Der Anteil derjenigen, die völlig gewaltfrei aufgewachsen sind, hat sich im Verlauf von 19 Jahren von 26 Prozent auf 52 Prozent verdoppelt. Auch: Heute bekennen 71 Prozent der 16-bis 40-Jährigen, sie seien als Kind häufig in den Arm genommen worden. 1992 waren das erst 53 Prozent. Die Anwendung „leichter Gewalt“ bei der Erziehung sank von 58,4 auf 36 Prozent, die schwerer Gewalt von 15,2 auf 11,9 Prozent. Für diese Daten sind 9500 Deutsche gefragt worden.

Auf dem Schulhof

Schwere Raufunfälle an Schulen, bei denen das Opfer ins Krankenhaus gebracht werden muss, sind die große Ausnahme. Pro 10 000 Schüler sind sie von 1997 bis heute von 16 auf sieben Prozent der Fälle um fast zwei Drittel zurückgegangen. Pfeiffer hat dafür zuverlässige Krankenkassendaten ausgewertet. Dazu passt: Auch die übrige Jugendgewalt ist seit 2007 um 22 Prozent gesunken.

Religiöser Einfluss

In gläubigen katholischen oder evangelischen Familien wird weniger geschlagen. „Je religiöser sie sind, desto seltener üben sie Gewalt aus“, sagt der Wissenschaftler. Die Folge: Nicht religiöse Jugendliche sind zu 16 Prozent Gewalttäter, sehr religiöse nur zu sechs Prozent. Auch die Zufriedenheit gläubiger junger Leute ist höher, Selbstmordgedanken kommen kaum auf. Allerdings gibt es im religiösen Bereich eine besondere Ausnahme: Kinder aus evangelisch-freikirchlichen Gemeinden sind häufig Opfer elterlicher Gewalt. Der Wissenschaftler geht damit hart ins Gericht. Er verteidigt nicht nur, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften bestimmte Bücher mit Verhaltensanweisungen („Ab und zu brauchen Kinder eine Tracht Prügel“) auf den Index setzt. Dass die US-Gesellschaft gewalttätiger sei, habe mit dem Einfluss Evangelikaler und ihrer repressiven Erziehung zu tun.

Sexueller Missbrauch

In Deutschland geht auch die sexuelle Gewalt gegen Kinder zurück. Das Risiko der unter 16-Jährigen, Opfer eines Missbrauchs zu werden, habe „stark abgenommen“ – von 7,1 auf 4,4 Prozent. Der Kriminologe sieht hier einen Zusammenhang mit der sinkenden gesellschaftlichen Gewaltentwicklung insgesamt: Wer wegen stärkerer liebevoller Erziehung zu Hause selbstbewusst werden konnte, ist weniger in Gefahr, von Onkel, Nachbar, Priester oder Fremden missbraucht zu werden. Auch der Staat hat seinen Teil daran. In den 80er-Jahren musste jeder 12. Täter mit Strafverfahren rechnen. Heute ist es jeder Dritte.

Gewalt gegen Frauen

Zwischen 1992 und 2011 ist der Anteil der Frauen, die in den letzten fünf Jahren Opfer von Körperverletzung geworden sind, von 22,8 auf 16,6 Prozent gesunken. Gewalt zu Hause ist auf zehn Prozent zurückgegangen. „Die engagierte Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes durch die Polizei“ habe dazu beigetragen, so Pfeiffer. Dafür begegnen Frauen außerhalb des Hauses öfter der Gewalt – die Opferquote hat sich hier von 1,7 auf 4,1 Prozent erhöht. Pfeiffer führt das auf ein „geändertes Freizeitverhalten“ junger Frauen zurück. Sie gehen öfter raus.