Viele Schüler haben massive Schwierigkeiten beim Schreiben mit der Hand. Lehrer warnen: Das hat Folgen bei Lesbarkeit und Tempo – selbst beim Abitur.
Berlin.
Seit langem fällt es Josef Kraus auf, gerade jetzt wieder, da Abiturprüfungen anstehen und sich Schüler schwer tun, drei oder vier Stunden bei einer Deutschprüfung durchzuhalten. Ihnen fehlt nicht nur die Ausdauer, sie können auch nicht schnell mit der Hand schreiben. Und sonderlich leserlich ist es auch nicht.
80 Prozent der Lehrer prangern „Sauklaue“ an
Kraus muss es wissen, er ist Pädagoge und Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Am Mittwoch reiste er aus Bayern nach Berlin, um Alarm zu schlagen. Er ist dankbar, dass er für seine Alltagserfahrungen nun eine „objektivierbare Basis“ hat.
In einer Umfrage vom Schreibmotorik Institut beklagten sich 79 Prozent der Lehrer an weiterführenden Schulen, dass sich die Handschrift der Schüler verschlechtere. Und nur 0,7 Prozent sahen keinen Zusammenhang zwischen schulischen Leistungen und Handschrift. An der Umfrage haben sich vor allem Pädagogen aus NRW, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg beteiligt.
Nach Angaben des Instituts ist es die erste Umfrage dieser Art in Deutschland. Sind in der Grundschule 58 Prozent der Lehrer mit der Entwicklung der Handschrift ihrer Schüler „sehr zufrieden“, sind es in weiterführenden Schulen dann nur noch 22 Prozent.
Ein kaum umkehrbarer Trend
Jetzt weiß Kraus, dass er mit seiner Sorge nicht allein steht. Der Mann kann mit viel Verve eine Lanze für das Handschreiben als Kulturtechnik brechen. Nur bei einer Frage klingt er kleinlaut. Ob der Trend umkehrbar sei? „Es wird schwer werden.“ Er führe keinen Kampf gegen die Moderne. Er wolle nur an dem festhalten, „was sich bewährt hat“.
Die Lehrer fordern, dass die Schüler bundesweit eine Druck-, aber auch die Schreibschrift lernen. 74 Prozent der Befragten forderten „mehr Zeit zur Förderung im Unterricht“, etwa für „spezielles motorisches Training“. Für eine „gefährliche Entwicklung“ hält es Kraus, dass in Ländern wie Hamburg die Schreibschrift seit 2011 nicht mehr verpflichtend sei. Dafür lobte er Sachsen, dass die Schreibschrift fördert, „wie in der DDR praktiziert“.
Kraus meint, es sei nicht „kindgemäß“ immer nur „erleichterungspädagogisch“ zu arbeiten. Im Klartext: Mehr fördern und fordern. Seine Sorge ist, dass das Handschreiben aus der Mode gerät, in der Schule, zu Hause, am Arbeitsplatz; und am Ende zu einer Kulturtechnik wird, die nur in den gebildeten Familien gepflegt wird.
In Finnland können Lehrer nur „Tastatur“ lehren
Der internationale Trend: Frankreich, Großbritannien und die Schweiz setzen auf das „Tablettschreiben“, so Kraus. 42 Bundesstaaten in den USA würden sich vom Handschreiben verabschieden. Finnland will es seinen Lehrern ab 2016 freistellen, nur das Tastaturschreiben zu lehren.
In Deutschland sollen die Schulen einen anderen Weg gehen. Kraus forderte, weniger mit Multiple-Choice-Tests zu arbeiten, weniger Kopien zu ziehen, damit die Schüler mehr mitschreiben müssen. „Wer gut und versiert schreibt“, so seine Erfahrung, „der prägt sich Geschriebenes besser und konzentrierter ein“. Die Digitalisierung kommt nach seiner Ansicht in der Grundschule „zu früh“. Auch von Informatik in der Grundschule halte er nichts.
Der Schreibmotorikforscher Christian Marquardt, der die Umfrage vorstellte, sieht als Folge der Digitalisierung vermehrt Probleme bei den motorischen Fähigkeiten der Kinder. Schreibenlernen sei in erster Linie „Bewegungslernen“. Hier bräuchten viele Kinder Unterstützung, sagte er. Ironisch warf Kraus ein, allein die Motorik des Daumens habe sich mit der Digitalisierung verbessert. Diesen Finger braucht man bei den Computerspielen – zum Daddeln.