Kölns neue OB Henriette Reker nimmt an ihrem ersten Arbeitstag einen Termin in Bochum wahr – fünf Wochen nach der Messerattacke auf sie
Bochum/Köln.
Ein massives Polizeiaufgebot begleitet den Festakt in der Bochumer Knappschaft-Zentrale. Über 200 geladene Gäste verabschieden am Freitag Nachmittag Knappschaftsdirektor Georg Greve. Doch die Sicherheitsvorkehrungen gelten nicht ihm, sondern Henriette Reker. Die neue, parteilose Kölner Oberbürgermeisterin ist eine langjährige Weggefährtin Greves. Gleich an ihrem ersten Arbeitstag nach dem Messerattentat im Oktober ist sie ins Ruhrgebiet gekommen. Morgens erst hat Reker in der Domstadt ihren Dienst angetreten. „Es war mir wichtig, heute dabei zu sein“, sagte die 58-Jährige in Bochum dieser Zeitung.
Fünf Wochen nach der Messer-Attacke, bei der sie schwer verletzt wurde, zeigt Reker sich betont locker und souverän, umarmt zahlreiche Bekannte. Ob alte Weggefährten aus ihren elf Jahren als Sozialdezernentin in Gelsenkirchen oder andere besorgte Besucher: „Wie geht’s Ihnen?“, lautet die meistgestellte Frage. Ihr Gesundheitszustand ist noch sichtbar angegriffen: „Eigentlich hätte ich noch vier Wochen in der Reha bleiben müssen“, sagt sie. „Aber diese Hängepartie wollte ich nicht.“ Die nächsten Wochen werde sie ihr Amt „nach Kräften ausüben – wenn auch noch mit leicht angezogener Handbremse“.
Henriette Reker will erzählen. Das ist offensichtlich. Im Kölner Museum Ludwig betritt sie am Morgen das erste Mal nach dem fast tödlichen Attentat die öffentliche Bühne. Und was für eine. Sie blickt auf einen Raum, der proppenvoll ist mit Kameras. Reker trägt eine hochgeschlossene Jacke und ein buntes Halstuch. Eine Narbe ist nicht zu sehen. Aber Reker will darüber reden, wie sie ihr zugefügt wurde. Sie setzt sich auf einen Stuhl und sagt: „Ich erzähle erstmal ein bisschen.“
Rekers Geschichte lässt sich auf zwei Weisen erzählen: Die eine ist die eines schier unglaublichen Comebacks. Vor rund einem Monat wurde sie an einem Wahlkampfstand niedergestochen, als sie Rosen verteilen wollte. Danach gewinnt sie die Wahl. Reker erfährt es aber erst viel später von ihrem Mann. Zeitweise liegt sie im künstlichen Koma.
Die andere Geschichte ist die erschreckende: Ermittler gehen davon aus, dass der Angreifer gezielt zustach, weil sie sich als Sozialdezernentin um Flüchtlinge kümmerte. „Ich stand da mit den Rosen. Und dann hat er eben das Messer herausgezogen und mir in den Hals gesteckt. Er hat mich dabei auch freundlich angeguckt“, berichtet sie. Sie geht zu Boden, versucht, die Wunde selbst zusammenzuhalten. „Ich habe keine Todesangst gehabt. Ich hatte allerdings Sorge, dass ich gelähmt sein könnte.“
Reker spricht klar und ohne Pathos darüber. Für ihren ersten Auftritt wurde das Museum ausgewählt. Bezeichnenderweise wird die Ausstellung mit „Neue Sachlichkeit“ erläutert. Nein, für eine Begegnung mit dem Täter sei sie noch nicht bereit, sagt sie. Ja, sie werde immer wieder an den Tag erinnert, vor allem bei Rettungssirenen, sagt sie weiter. „Und wir wohnen dummerweise nicht weit weg von einer Feuerwehr.“
Aber nein, sie lasse sich dennoch nicht einschüchtern. Gelegentlich wird es launig. „Ich war diese Woche in einer Apotheke und wurde auch von sehr kräftigen Herren umarmt. Aber ich traue mir durchaus zu, das weiter in dieser Unbefangenheit zu tun.“
Die Frage ist nun, was der Vorfall auf Sicht für Reker und das politische Klima bedeuten wird. „Es gibt Fälle, in denen die Ersttraumatisierung recht schnell überwunden ist, sich aber womöglich Monate oder Jahre später depressive Symptome entwickeln. Das ist vom Typ abhängig“, sagt der Psychologe Uwe Wetter. Aber für ihn ist auch klar: Arbeit kann auch Teil der Therapie sein. Sie lenkt ab.
Und politisch? „Man wird sie aus der Opposition heraus nicht so bedrängen, wie es ansonsten üblich wäre“, meint der Bonner Politikwissenschaftler Tilman Mayer.
Auch Reker weiß, dass sie das Attentat weiterhin beschäftigen wird. Sie gibt sich kämpferisch. „Ich muss eben noch schlucken üben, aber das schaffe ich auch“, sagt sie. Und schließt: „Ich schlucke aber nicht alles, meine Damen und Herren.“ mit dpa