Düsseldorf.
Es muss nicht immer Spickmich sein: Die Länder haben eigene Umfragen geschaffen, mit denen Schüler Lehrern ihre Meinung sagen können. Doch das allein reicht nicht, sagen Experten.
Die Internetseite Spickmich ist ein rotes Tuch für viele Lehrer: Sie sehen ihr Persönlichkeitsrecht verletzt, weil Schüler sie dort bewerten können. Ist der Mann am Pult „cool und witzig“ oder „gut vorbereitet“? Dafür können die Schüler den Lehrern Noten geben. Jeder, der sich auf der Seite ein Konto anlegt, kann nachschlagen, wie ein bestimmter Lehrer ankommt. Klagen von Lehrern, die sich in ihrer Privatsphäre verletzt sehen, wiesen die Gerichte reihenweise ab, zuletzt der Bundesgerichtshof im Sommer 2009. Derzeit läuft ein Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.
Doch wie bringt man das Schutzbedürfnis der Lehrer und die Meinungsfreiheit unter einen Hut? Die Bildungsministerien einiger Länder bieten schon seit einiger Zeit Alternativen an: das System Sefu (Schüler als Experten für Unterricht) etwa. Auch das funktioniert online, auch hier können die Schüler klassenweise Noten vergeben. Die Unterschiede zu Spickmich: Die Ergebnisse sieht nur der Lehrer und nicht die ganze Welt, außerdem sind Kriterien wie „cool“ kein Thema. Und vor allem: Jeder Lehrer kann selbst entscheiden, ob er sich der Bewertung unterzieht.
Länder kontern mit eigenem System
Die Umfrage richtet sich an Schüler der Klassen 5 bis 10, neuerdings auch an Grundschüler. Sie enthält 41 Fragen – lobt der Lehrer genug, ist er geduldig, kann man Probleme offen ansprechen? Während Noten bei Spickmich in Sekunden gesetzt sind, soll der Fragebogen etwa 25 Minuten in Anspruch nehmen. Die Schüler müssen ihren Namen nicht nennen, nur ihr Geschlecht sollen sie angeben. Das System hat die Universität Jena 2005 entwickelt – lange, bevor Spickmich online ging.
Ein anderes System heißt Seis (Selbstevalutaion in Schulen). Derzeit wenden es acht Bundesländer an, darunter Nordrhein-Westfalen. Die meisten Schulen lassen sich einmal im Jahr bewerten – dabei können Schüler, Lehrer und Eltern mitmachen. Im Gegensatz zu Sefu macht die ganze Schule mit und die Bewertung richtet sich nicht nur auf einen Lehrer. Ein Ansatz, den Evaluierungsexperte Uwe Schmidt schätzt: „Es ist sinnvoll, die Ergebnisse im Kollektiv auszuwerten und nicht auf individueller Ebene. Wer ein schlechtes Ergebnis bekommt, ist schnell deprimiert.“ Schmidt ist stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Evaluation in Mainz und beschäftigt sich vor allem mit Umfragen an Hochschulen.
Ein Fragebogen reicht nicht aus
5.200 Befragungen mit 1,2 Millionen Teilnehmern habe es seit der Einführung 2008 gegeben, teilt der Träger von Seis mit, das Niedersächsische Landesamt für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hildesheim. 90 Prozent der befragten Schüler hätten an der Evaluation teilgenommen. Sefu wird bereits seit 2006 an Schulen in Thüringen und Sachsen eingesetzt, seit 2009 auch in Nordrhein-Westfalen. In Thüringen nutzten es im vergangen Schuljahr vier Prozent der Lehrer – in den vergangen zwei Jahren habe sich die Teilnehmerzahl verdreifacht.
Uwe Schmidt warnt jedoch davor, den Nutzen der Erhebungen zu überschätzen: Die reinen Ergebnisse böten wenig Verbesserungsansätze, sinnvoller sei eine zusätzliche Fortbildung. „Viele Dozenten haben kein anderes Handlungsrepertoire“, erklärt er den Effekt. Außerdem würden Schüler zwar die Probleme erkennen, hätten aber nicht immer Lösungen für den Lehrer parat – im Gegensatz zu einem Pädagogikexperten, der sich in den Unterricht setzt.
Mit kleinen Schritten zum Ziel
Auch der Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Philologenverbands, Peter Silbernagel, hält Befragungen allein nicht für ausreichend. Wichtig sei eine „Qualitätsanalyse von außen“. Der Erfolg hänge sonst stark von der Persönlichkeit des Lehrers ab. „Wer glaubt, er könne sich nicht verbessern, zieht eine Evaluation kaum in Erwägung“, sagt Silbernagel. Die Urteilskraft der Schüler hält er aber für hoch: So seien die Ergebnisse meist erstaunlich objektiv. Wenn der Lehrer damit sinnvoll seinen Unterricht verbessern will, solle er sich kleine Ziele setzen, statt auf einen Schlag zu versuchen, alle Mängel abzustellen.
Zur Pflicht machen will kein Bundesland Schüler-Rückmeldungen wie Sefu, die sich auf einzelne Lehrer beziehen. Dass sich deswegen nur Lieblingslehrer die Umfrage einsetzen könnten, sehen die Ministerien nach ihren Angaben nicht als Gefahr. Barbara Löcherbach vom NRW-Bildungsministerium sagt: „Manchmal gehen auch ganze Klassen zu ihren Lehrern und bitten darum, ihn bewerten zu dürfen.“ Auch Evaluierungsforscher Schmidt hält Pflichtbewertungen nicht für sinnvoll: So würde sich der Lehrer eher verweigern, als seinen Unterricht zu verbessern.