Klingeln, summen, brummen. Mein Telefon steht nicht mehr still. Selbst wenn ich nicht wüsste, dass Selbstmordattentäter in Istanbul mehr als 40 Menschen mit sich in den Tod gerissen haben, wäre mir nun klar, dass etwas Fürchterliches passiert sein muss. „Lebst du noch?“, wollen Freunde wissen. Seit wir diesen Dialog mit deprimierender Häufigkeit führen, fragen sie immer öfter: „Willst du nicht endlich zurück nach Deutschland?“ Ja, nein, vielleicht – ich habe darauf keine Antwort. Ich lebe seit 16 Jahren in Istanbul, ich habe dort mein Berufsleben verbracht, hier sind meine Töchter geboren. Weggehen? Für meine Kinder habe ich das entschieden – sie leben in Deutschland, bei ihrer Oma. Seither fliege ich viel, auch heute lande ich am Flughafen Atatürk.
Nicht nur der „Islamische Staat“, auch Terrororganisationen, die behaupten, im Namen der Kurden zu agieren, töten mit quälender Regelmäßigkeit Menschen. In diesem Jahr sind allein in Istanbul vier Bomben explodiert. Es ist ja nicht so, dass es früher keine Attentate gab. 2003 erschütterte al-Kaida mit vier Bomben das Land, 57 Menschen starben. 2010 sprengte sich ein kurdischer Attentäter auf dem Taksim-Platz in die Luft. Aber ich habe nie darüber nachgedacht, zu gehen oder meine Kinder fortzubringen. Denn es herrschte ein anderes Klima. Am Anfang des Jahrtausends bezauberte die Türkei mit einer Aufbruchsstimmung. Die verkrusteten Strukturen schienen aufzubrechen. Es gab viele tolle Themen, über die ich berichten konnte: Istanbul war cool.
Irgendwann kippte es.
Seit den Gezi-Demonstrationen ist klar, dass es so bald kein Zurück in die Aufbruchsstimmung geben wird. Stattdessen hat sich ein Mantel religiösen Miefs und Bigotterie von ganz oben über die Gesellschaft gelegt. Es gibt immer mehr Sanktionen, die Polizei stört Demonstrationen, es gibt keine Pressefreiheit. Der Staat bedient sich immer häufiger selber der Gewalt – das ist schlimmer als die Bedrohung durch extremistische Terrorgruppierungen. Denn es gibt ein staatlich verordnetes Schweigen über den Terror. Böse ist nicht, wer Böses tut, sondern wer sich mit dem Bösen beschäftigt.
Nein. Es sind nicht die Bomben, die mir Angst machen. Sondern das aufgezwungene Schweigen und der Verdacht, dass die Regierung nichts unternimmt, was Frieden bringt.