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Sahra Wagenknecht: Experte rechnet mit Linken-Ikone ab – „Erbärmlich“

Sahra Wagenknecht will nicht mehr für die Linke kandidieren – ob sie eine neue Partei gründet, bleibt noch offen. Ein Politikexperte ordnet den Fall ein.

Sahra Wagenknecht polarisierte zuletzt mit einer Veranstaltung, aber auch mit ihren Positionen zum Ukraine-Krieg. Wird sie eine neue Partei gründen?
© IMAGO / IPON

Sahra Wagenknecht: So sieht ihre politische Laufbahn aus

Die Linken-Politikerin hatte bereits diverse Ämter innerhalb ihrer Partei inne. Jetzt fällt sie mit Äußerungen zur Corona-Impfung und zu einer allgemeinen Impfpflicht gehäuft auf.

Auf der Kundgebung am 25. Februar von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer demonstrierten die Teilnehmer gegen Waffenlieferungen und forderten stattdessen Verhandlungen mit Wladimir Putin. Dabei mischten sich auch Rechtsradikale und Putin-Sympathisanten unter die Friedens-Befürworter.

Welche Auswirkungen so eine Art von Veranstaltung, initiiert von Wagenknecht, auf die Linkspartei und generell das demokratische, politische Miteinander hat, erklärt Wolfgang Schroeder, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Kassel, im Interview mit dieser Redaktion.

Sahra Wagenknecht: „Mediale Wirkung wie Gauland und Höcke“

Wie schätzen Sie die Position von Sahra Wagenknecht innerhalb der Linkspartei ein?

Sie ist ambivalent. Auf der einen Seite ist sie seit den vergangenen Jahren so etwas wie die Ikone der Linkspartei, die Person, die am stärksten in der Öffentlichkeit wirkte, die keine Talkshow auslässt. Auf der anderen Seite ist sie mit ihrem Bemühen, die eigene Person zur Marke zu machen, im höchsten Maße toxisch für die Linkspartei. Sie setzt den Zusammenhalt und die strategische Handlungsfähigkeit der Partei enorm unter Druck. Sie hat hohe Anhängerschaften, weil es für die von ihr formulierten Positionen einen Markt gibt. Wagenknecht ist so etwas wie eine neoliberale Ikone der Mediengesellschaft, die die medialen Aufmerksamkeitspositionen in einer Art und Weise nutzt wie das populistische Politiker und Agitatoren tun.

Mit wem könnte man sie also vergleichen?

Was die mediale Wirkung angeht, mit Gauland, teilweise auch mit Höcke, aber auch mit Lafontaine. Also Persönlichkeiten, die jenseits der Partei eine außerordentlich starke, mediale Anziehungskraft haben und mit dem Publikum einen eigenen Diskurs jenseits der Herkunftspartei führen können.

Inwieweit kann Wagenknecht zur Gefahr innerhalb der Partei werden?

Wagenknecht hat innerhalb der Partei ein kulturelles, ökonomisches Kapital, was andere auf ähnlicher Positionslage nicht besitzen. Sie ist eher eine mediale Oligarchin und die anderen Spitzenpolitiker der Linkspartei sind eher politische Funktionseliten.

Sahra Wagenknecht: Abschied von der Linkspartei?

FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte die Linke auf, sich von Wagenknecht loszusagen. Wird die Partei sich von ihr trennen?

Bisher hat sie opportunistisch an Wagenknecht festgehalten, einerseits weil sie nach wie vor Machtpotenzial in der Partei darstellt und weil sie ein Sympathieträger der medialen Öffentlichkeit ist. Für die Linkspartei ist das eine Gratwanderung: Sollte sie sich lossagen, dann wird sie erheblich Einbußen haben. Andersherum genauso. Es ist ein typisches Dilemma. Deshalb ist Wagenknecht das toxische Element der Linkspartei. Sie ist weniger eine Antwort auf die Probleme, sondern ein zusätzliches Problem. Aber wahrscheinlich wird sich Wagenknecht selbst für den Abgang aus dieser Partei entscheiden.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründet?

Ich hatte den Eindruck, dass sie organisatorisch zutiefst unbegabt ist. Persönlichkeiten von dieser medialen, intellektuellen Ausstrahlung brauchen Pendants, die sie organisatorisch unterstützen.

Sie hat das mit der Bewegung Aufstehen bereits versucht, was erbärmlich geendet ist. Mir ist unklar, ob sie als Person die Robustheit hat, eine zentrale Funktion in einer Partei einzunehmen, die sie selbst verantwortet. Wenn sich um sie herum ein begabtes Umfeld entwickelt, das ihr zuarbeitet und ihre Schwächen kompensiert, dann gibt es durchaus Möglichkeiten, die weit über das hinaus gehen, was wir in der Vergangenheit von ihr erlebt haben.

Wie würde die politische Ausrichtung der neuen Partei aussehen?

Die Ausrichtung hat eine Dimension von Querfront, eine Mischung von links und rechts. Die Themen, die hier bedient werden, sind im starken Maße mobilisierungsfähig, zum Beispiel Frieden, Energie, Osten, Zuwanderung. Alles Themen, die man anders angehen kann, als es gegenwärtig passiert. Heißt: Man spitzt die Themen zu, bündelt Ängste, die in der Gesellschaft vorhanden sind, und formuliert entsprechende Positionen. Ähnlich macht das auch die AfD. Aber es gibt eine grundlegende Unterscheidung: Die AfD ist im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich eher neoliberal, eine solche Querfront würde im sozio-ökonomischen Forderungskatalog arbeiterfreundlich funktionieren. Das wäre das linke Fundament in dieser links-rechts Konstellation. Das würde zum ostdeutschen Klientel passen, aber auch zu einem Klientel abgehängter und insgesamt mit dem Kurs der Regierung unzufriedener. Das hätte großes Potenzial.

Könnte sich die linke und rechte Annäherung in Zukunft noch weiter vertiefen?

Das ist durchaus denkbar. Schließlich treffen sich diese in der grundlegenden Infragestellung der bestehen Ordnung. Und haben zudem eine starke Schnittmenge hinsichtlich eines ähnlich gelagerten Wählerpotentials im unteren Drittel der Gesellschaft. Diese toxische Mischung zwischen links und rechts hat durchaus das Potenzial, zu einer stärkeren Kraft zu werden. Das ist übrigens nicht nur eine Gefahr für die Linkspartei, sondern ebenso für die AfD.  

Sahra Wagenknecht: „Anliegen Putins werden gestärkt“

Auf einer Demonstration protestieren gleichzeitig Linke und Rechte. Katja Kipping kritisiert Wagenknecht und spricht von einer „besorgniserregenden Entwicklung“. Wie ordnen Sie diese Entwicklung ein?

Da ist nichts Gutes heraus zu lesen. Der Beitrag zur Lösung der Probleme ist nicht erkennbar. Konkret werden in der Russlandfrage die Anliegen Putins gestärkt und der Widerstandswille der Ukraine geschwächt.


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Welche Folgen hat solch eine Veranstaltung für das demokratische, politische Miteinander?

Es ist Teil unseres Demokratieverständnisses, offene Konflikte zu artikulieren und für sie zu mobilisieren. Die Bundesrepublik ist ja nicht einfach eine Mehrheitsdemokratie mit ‚Bastamentalität‘, sondern ein offenes System, das auf Kritik und Widerspruch angewiesen ist. In der jetzigen Lage der Multikrisen ist es jedoch nicht gerade förderlich, wenn ein aktiver Teil der Bürgerinnen und Bürger den Institutionen und demokratisch legitimierten Akteuren ihr Vertrauen entzieht. Aber eine robuste Demokratie wie die deutsche wird auch damit einen konstruktiven Umgang finden.