Plötzlich ist sie wieder überall Thema in den Medien: Die Rente mit 63. Die CDU in Person von Jens Spahn fordert angesichts des Fachkräftemangels die sofortige Abschaffung. Auch von Arbeitgeber-Seite kommt dieser Vorstoß. Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf sagte „Bild am Sonntag“: „Die Rente mit 63 war und ist ein schwerer Fehler und eine große Ungerechtigkeit, die kommende Generationen bezahlen werden müssen.“
Doch man fragt sich, wovon alle sprechen, wenn man sich die Realität vor Augen führt!
Rente mit 63: Debatte an der Realität vorbei
Die Rente mit 63 wurde zum 1. Juli 2014 von der damaligen Großen Koalition unter Kanzlerin Merkel eingeführt. Beschäftigte, die mindestens 45 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, konnten abschlagsfrei in Rente gehen. Doch nur diejenigen, die Jahrgang 1952 oder früher waren.
Die Rede ist also von Menschen, die heute 70 Jahre und älter sind – nicht 63! Auch heute können langjährig Versicherte abschlagsfrei in Rente gehen, aber aktuell erst mit 64 Jahren und ein paar Monaten dazu. Ein Beispiel: Ein Beschäftigter, der am 1. Juli diesen Jahres 63 wird, könnte zwar in den Ruhestand gehen – dann jedoch mit 12 Prozent Abschlag. Ganz ohne Abzüge kann er erst zum 1. November 2024 die gesetzliche Rente beantragen.
Das Renteneintrittsalter für besonders langjährig Versicherte wird Schritt für Schritt angehoben. Ab dem Geburtsjahr 1964 und später ist der abschlagsfreie Eintritt in die Rente erst ab 67 möglich!
Rentenexperte: „CDU will etwas abschaffen, was es gar nicht mehr gibt“
Rentenexperte Helmut Achatz, der den Blog vorunruhestand.de betreibt, hat kein Verständnis für die Debatte: „Die CDU will etwas abschaffen, was es gar nicht mehr gibt: die Rente mit 63. Wer heute abschlagsfrei in Rente gehen will, muss mindestens 64 Jahre alt sein.“
Achatz ärgert sich über die Richtung der Rentendiskussion: „Das Ärgerliche daran ist, dass diese Scheindebatte den Blick auf das wirkliche Problem verstellt. Wir haben in Deutschland in punkto Altersvorsorge ein Zwei-Klassen-System – hier Rente, dort Pension. Statt über eine Erwerbstätigenrente nachzudenken, wollen vermeintliche Experten wie Jens Spahn und Co. die gesetzliche Rente verschlechtern.“
Deutsche arbeiten sowieso schon länger als EU-Schnitt
Die Rente mit 63 ist also zum Schlagwort geworden für abzugsfreien Vorruhestand. Was jedoch stimmt: Die Möglichkeit, abschlagsfrei als besonders langjährig Versicherter in Rente zu gehen, ist beliebt. Im Jahr nutzen über 200.000 ältere Beschäftigte diese Chance – jedoch eben nicht mit 63!
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Hinzu kommt: Die Deutschen arbeiten im Schnitt sowieso schon länger als die Menschen in vielen EU-Ländern. Laut einer Eurostat-Berechnung aus dem Jahr 2021 kamen die Deutschen im Durchschnitt auf 38,8 Jahre Lebensarbeitszeit.
Das ist oberes Mittelfeld im Europa-Vergleich. Die Italiener beispielsweise schufteten im Schnitt nur 31,6 Jahre. Der Schnitt aller EU-Mitgliedstaaten lag mit 36,2 Jahren unter der deutschen Arbeitsleistung.