Sie arbeiten nicht bei den Paketdiensten selbst, sondern sind Angestellte eines Subunternehmers. Daher haben sie keine Rechte auf Tarif oder Arbeitszeiten der Branche. Und so arbeiten die Zusteller 14, 15 Stunden am Tag, liefern 250 Pakete aus und kriegen dafür gerade mal 1300 Euro brutto im Monat.
Um 20 Uhr ist er fertig mit der Arbeit. Er hat auch heute wieder Tonnen bewegt, ist hunderte Kilometer gefahren. Jetzt ist er müde. Karl S. ist Paketzusteller. Es ist der einzige Job, den er finden konnte, und er macht ihn solange, bis sie ihn rausschmeißen. Oder sein Punktekonto in Flensburg voll ist, weil er allein in diesem Monat schon dreimal zu schnell mit seinem Sprinter unterwegs war. Karl S. ist 30 Jahre alt, sein Arbeitgeber ist der Subunternehmer eines großen Logistikunternehmens. Der ausgezehrte, verschwitzte Mann will seinen Namen nicht nennen, fürchtet den Druck seines Arbeitgebers, wenn er aus seinem Arbeitsalltag berichtet.
S., der keinen Beruf erlernt, aber einen Führerschein hat, ist einer von zig Paketzustellern, die in Deutschland unter prekären Bedingungen arbeiten. Wenn er morgens um kurz vor acht seine Tour startet, hat er bereits drei Stunden hart malocht. 250 Pakete bis zu 40 Kilo hat er von einem großen Transportband gezerrt, auf einen Hubwagen gestemmt und dann in einen Sprinter gepackt. „Bis dann alles so sortiert ist, dass du mühelos ausliefern kannst, sind drei Stunden rum. Der Druck ist riesig. An Pause ist nicht zu denken, du musst sofort los. Dein Scanner gibt die Tour vor“, berichtet er. Bei 250 Paketen rechnet er mit 125 Stopps. Anhalten, raus aus dem Wagen, Paket schultern und ausliefern, zurück ins Auto, weiterfahren. 125 Mal und mehr am Tag. Manchmal an sechs Tagen in der Woche. Bei Wind und Wetter.
An diesem Morgen hat S. leider Pech. Gleich zu Beginn seiner Tour steht er vor verschlossenen Türen, niemand öffnet und will das Amazon-Paket entgegennehmen. Ein Nachbar will nichts mit der Sendung zu tun haben, der andere ist nicht da. Die Zeit verrinnt, aber die Tour ist noch lang. „Dann muss ich später nochmal hier vorbei. Bei jedem Paket, dass ich wieder mitbringe, gibt es Druck.“ Weil sein Arbeitgeber pro Paket mit 1,20 bis 1,40 Euro bezahlt wird. Anders als Karl S.. Er verdient 1300 Euro brutto im Monat. Er rechnet nicht mehr, wie viele Stunden er dafür arbeiten muss. „Was soll das bringen? Ich hab’ doch nichts anderes.“
Kolonnen aus Rumänien
Um 19 Uhr ist er zurück im Depot und muss noch zehn Pakete ausliefern, die er vom Kunden mit zurückgebracht hat. Er kann kaum noch Arme und Beine bewegen. Seine Augen sind schwer. Am Ende des Tages hat er 14 Stunden gearbeitet. „Danach bin ich alle. Nur noch ins Bett.“ Karl S. hat keine Familie. „Wie sollte das gehen?“ Er kennt kaum andere Fahrer. Man pflegt keine Kontakte und ist froh, wenn die Arbeit erledigt ist. „Das ist kein Job fürs Leben. Irgendwann geht’s nicht mehr.“ Die meisten Paketfahrer kommen aus Osteuropa oder aus der Türkei. S. sagt, es gebe Zusteller, denen gehe es noch viel schlechter als ihm. Die Kollegen kommen aus Rumänien. Sie wohnen in einem Gruppenraum, den ein Subunternehmer vermietet.
„Die zahlen 300 Euro pro Person im Monat. Für den Mist müssen die richtig blechen.“ Diese Männer würden morgens um vier Uhr zum Depot gefahren und nach der Schicht um 20 Uhr zurück in die Unterkunft gebracht. „Die haben nichts mehr vom Leben. Das sind Sklaven.“
Deutsche bestellen für 30 Milliarden im Netz
Der Paketdienst DPD plant den nächsten Branchen-Coup. Die Kunden sollen in Zukunft bis auf 30 Minuten genau die vorgesehene Zustellzeit mitgeteilt bekommen – und können die Pakete umleiten, damit „sie die Zustellung nahtlos in ihren eigenen Lebensalltag einpassen“, lockt DPD, deutsche Tochter der französischen Post.
Das ist nach dem Geschmack der Verbraucher. Wer Waren im Internet bestellt, nimmt sie am liebsten sofort an der Tür in Empfang. Aber genau deswegen sind für NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) Verstöße gegen Vorschriften des Arbeitsschutzes im Paket- und Kurierdienst fast zwangsläufig. „Der Konkurrenzdruck ist groß, nimmt weiter zu“. Es dürfe nicht sein, „dass die schöne neue Shoppingwelt ihre dunkle Seite ausblendet“.
Für mehr als 30 Milliarden Euro kaufen die Deutschen jährlich im Netz ein. 2,6 Milliarden Paketsendungen haben die Logistikdienstleister – zum Beispiel Hermes, DHL, DPD, UPS, tran-o-flex oder GLS – 2013 transportiert. 2004 waren es 1,85 Milliarden. Beim Branchenprimus Post ist der Gewinn im 1. Halbjahr um 27 Prozent auf 920 Millionen Euro geklettert.
Zwar ist die Lenkzeit reglementiert – Kontrollen gibt’s allerdings kaum
Seit 2002 sind bundesweit 31 000 Jobs entstanden. Von „Knochenjobs“ sprechen Gewerkschafter. Sabine Graf, DGB-Vize in NRW, sagt: Wenn ein System durch Lohndumping und Umgehung der Arbeitsschutz-Vorschriften so erfolgreich sei, dann gehöre es „abgeschafft“.
Die Zusteller-Löhne schwanken stark, je nachdem, inwieweit Konzerne Subunternehmen beschäftigen. Die Post hat einen Schutzvertrag mit Verdi und dürfte auch die höchste Entlohnung haben, um die 2000 Euro im Monat. Zwischen 1300 und 1800 Euro liegt sie bei anderen. Der Streitpunkt aber ist die Arbeitszeit, die dafür zu leisten ist. Einer Lenkzeit von 4,5 Stunden muss eine mindestens 45-minütige Pause folgen. Maximal neun Stunden pro Tag dürfen die Kurierfahrer am Steuer sitzen. Doch wird das kaum kontrolliert.