Für Nancy Faeser geht es bei der hessischen Landtagswahl am Sonntag um viel, vielleicht um ihre politische Zukunft. Die 53-jährige Bundesinnenministerin warf ihren Hut als Spitzenkandidatin der SPD in den Ring und versucht sich an der Aufgabe, die regierende CDU in ihrem Heimatbundesland nach beinahe einem Vierteljahrhundert wieder in die Opposition zu drängen.
Den Umfragen zufolge könnte die Mission jedoch scheitern – und Faeser in eine brisante Lage geraten. Dass sie auch im Fall einer Niederlage gegen CDU-Ministerpräsident Boris Rhein als Juniorpartnerin in einer Koalition oder gar als Oppositionspolitikerin zurück nach Wiesbaden gehen wird, gilt als weitgehend ausgeschlossen.
Zustimmungswerte von Faeser sind im Keller
Ob sie sich als politisch angeschlagene Innenministerin dann in Berlin halten kann, ist indes nicht garantiert. Faeser steht somit massiv unter Druck, zumal es im Wahlkampf bislang eher bescheiden für sie läuft. Ihre persönliche Zustimmungswerte sind im Keller, die der SPD auch. Die Partei liegt in Umfragen bei 16 bis 17 Prozent, die CDU bei mehr als 30 Prozent.
Die SPD-Spitzenkandidatin gibt sich zwar unverdrossen. „Ich habe sehr viel Zuversicht, dass wir die Landtagswahl gewinnen“, betonte sie noch vor kurzem in einem Interview. „Die Erfahrung zeigt, dass sich da noch viel bewegen kann.“ Aber intern dürfte die Stimmung längst gedämpfter sein.
Probleme der Ampel werden ihr zum Verhängnis
Denn Wechselstimmung ist in Hessen weit und breit nicht in Sicht. Und aus der Bundespolitik kommt eisiger Gegenwind. In der von der SPD geführten Ampelkoalition knirscht es gewaltig, viele Menschen wenden sich ab.
Ausgerechnet auf der Zielgeraden des Wahlkampfs verschärfte sich außerdem die Debatte um steigende Migrationszahlen, in der die Innenministerin im Fokus steht. Längst treibt die Union sie im Bund wie auch in Hessen mit Forderungen in diesem Bereich vor sich her.
Viel Kritik an der SPD-Politikerin
Dazu kommen weitere Probleme und Schlappen im Wahlkampf: So steht Faeser wegen der Versetzung des ehemaligen Chefs der Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, wegen angeblicher Russlandnähe in der Kritik. Die Union geht sie hart an, die Rede ist von Mobbing. Faeser weist das scharf zurück.
Jüngst musste Faeser zudem ein Wahlvideo ihrer Partei in einem sozialen Netzwerk stoppen, in dem ihrem Konkurrenten Rhein eine mögliche künftige Zusammenarbeit mit der AfD unterstellt wurde. Dieses löste scharfe Kritik aus. Rhein betonte immer wieder die Abgrenzung der hessischen CDU zur AfD.
Faesers überraschender Aufstieg
Faeser ist gebürtige Hessin, wuchs in Schwalbach am Taunus auf. Schon mit 18 Jahren trat sie 1988 in die SPD ein, später studierte sie in Frankfurt am Main Jura. Sie ging in die Kommunalpolitik und übernahm Parteiämter, arbeitete sie als Rechtsanwältin in Wirtschaftskanzleien in Frankfurt.
2003 zog sie als Abgeordnete in den Landtag ein. Sie profilierte sich als Expertin für Innenpolitik sowie als Vorkämpferin gegen Rechtsextremismus, wiederholte Wahlniederlagen der SPD verhinderten aber Karrieresprünge. Nach der Wahlschlappe ihrer Partei bei der Landtagswahl 2018 wurde sie Partei- und Fraktionschefin.
Faeser, die mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Schwalbach lebt, war damit in Wiesbaden Oppositionsführerin, außerhalb Hessens aber kaum bekannt. Das änderte sich erst, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sie nach der Bundestagswahl 2021 zur Bundesinnenministerin machte. Für viele war das eine Überraschung.
„Innenministerin ohne Kontur“
Faeser, die als engagiert und herzlich gilt, ist die erste Frau an der Spitze des Schlüsselministeriums, das auch für den Sport zuständig ist. Sie nutzt die mit dem Ressort verbundenen Gelegenheiten zur Profilierung, etwa im Kampf gegen Extremisten. Doch das brachte ihr auch bereits vielfach Kritik ein. „Innenministerin ohne Kontur“, stichelte etwa ein Kommentator.
Im Februar schließlich verkündete sie ihre Landtagswahlkandidatur, auf dem Nominierungsparteitag der SPD sagte sie: „Mein Herz ist in Hessen.“ Im Fall einer Wahlschlappe will sie jedoch nicht dorthin zurück, sondern Bundesministerin bleiben.
Auch spannend für dich:
Hoffnung auf hessische Ampelkoalition
Wenige Monate später bleiben Faeser angesichts der Umfragen nun nicht mehr viele Optionen. Ihre Hoffnungen setzt sie ausgerechnet auf eine hessische Ampelkoalition – also ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP nach dem derzeit viel kritisierten Berliner Vorbild.
Theoretisch könnte sich eine solche Koalition auch gegen die CDU schmieden lassen, wenn die FDP im Landtag bleibt. Ob es dazu kommt, steht zwar auf einem anderen Blatt, doch Faeser bleibt dabei. „Hessen braucht den Wechsel“, sagte sie jüngst – fast ein wenig beschwörend – in einem Interview. (mit AFP)