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Hausfrau, Terroristin, die Nette – Wer ist Beate Zschäpe?

Hausfrau, Terroristin, die Nette – Wer ist Beate Zschäpe?

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Foto: dpa
Der Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hat begonnen – und wurde sofort vertagt. Im Zentrum stand wie erwartet jene Frau, die der Boulevard meist „Terror-Braut“ nennt. Ihr entspannter, fast provozierender Auftritt im Saal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts dominierte die Berichterstattung und lässt die  Frage nur um so drängender erscheinen: Wer ist Beate Zschäpe?

München. 

Schwarzer Anzug, weiße Bluse, silberne Ohrringe – und ab und an ein leises Lächeln: Wer am Montag eine nervöse, angeschlagene Hauptangeklagte erwartet hatte, sah sich getäuscht. Im Gegenteil. Beate Zschäpe trat selbstbewusst auf, wirkte in manchen Momenten fast kokett. Es schien so, als wolle sie die Bilder nach ihrer Verhaftung, die eine ungepflegte Frau mit Brille und strähnigem Haar zeigten, vergessen machen.

Ja, es wirkte fast so, also genieße Beate Zschäpe ihren Auftritt. Zumindest ist sich ihrer Bedeutung bewusst. Sie die Schlüsselfigur des Verfahrens. Nur sie weiß, was wirklich geschah. Doch sie schweigt, beharrlich.

Es gibt nur wenige verwertbare Sätze, die Beate Zschäpe den Ermittlern mitteilte. Sie handeln davon, dass sie „ein Omakind“ war, ihren Vater nicht kannte, sich mit ihrer Mutter kaum verstand und davon, dass Böhnhardt und Mundlos ihre Familie waren. Man muss nicht Psychologie studiert haben, um sich daraus etwas zu destillieren, das wie eine Erklärung klingt. Doch selbst die Ankläger können nur ahnen, warum aus dem Mädchen eine mutmaßliche Mörderin wurde. Auch sie erzählen vom Omakind, von dem „konfliktbeladenen Verhältnis“ zur meist alleinerziehenden Mutter, die arbeitslos wurde und neue Männer hatte. Doch was heißt das? Ausreichen wird es nicht: Obwohl sich Hunderte Ermittler, Parlamentarier, Wissenschaftler, Autoren und Journalisten mit der Frau beschäftigen, so bleibt sie doch ein Rätsel. Je nach Perspektive, Erinnerung und Wissensstand existieren mehrere parallele Deutungen, die sich gleichzeitig zu ergänzen und zu widersprechen scheinen.

Die liebe Beate

Die verschiedenen Wahrnehmungsebenen von Beate Zschäpe formen sich von Anbeginn. Der Sozialarbeiter Thomas Grund, der sie Anfang der 1990er-Jahre im Jugendclub von Jena-Winzerla erlebte, spricht noch heute davon, dass alle , nicht unbedingt nur die Jungs, Beate liebten. Grund beschreibt sie als junge, hübsche, sympathische Frau auf der Suche nach einer Perspektive. Erst der Umgang mit Uwe Mundlos, der ihr Freund wurde, habe sie radikalisiert.

Zschäpes Mutter sagte in der ersten Vernehmung durch die Jenaer Polizei: „Beate war eigentlich ein liebes, nettes Mädchen. Sie hat sich immer mal Überraschungen überlegt. Sie war eigentlich immer beliebt, hatte viele Freundinnen . . .“

Auch die Eltern von Uwe Böhnhardt mochten sie. „Sie war für mich ein ganz normales Mädchen, nett, höflich“, sagte Brigitte Böhnhardt in einem Fernsehinterview. Ihre Nachbarn aus Zwickau sagten kürzlich in der ARD, sie hielten die Frau, die sie nur als Lisa kannten, noch heute für einen „herzensguten Menschen“ : „Wenn die Tür aufging und sie herein kam, da war die Welt in Ordnung .“ Doch es existiert von Anfang eine andere, diametral entgegengesetzte Sicht auf sie.

Die gewalttätige Extremistin

Beate Zschäpe, die Ladendiebin, die Frau, die Linke verfolgt, die Zigaretten handelnde Vietnamesen erpresst. Ein damaliger Bekannter beschreibt sie in den Vernehmungen des Bundeskriminalamtes als vulgär, primitiv oder ordinär. Ein anderer erinnert sich, sie sei unterschwellig aggressiv gewesen, einfach unsympathisch.

Die Braut der Neonazis

Womöglich stecken auch Zurückweisungen hinter solchen Charakterisierungen. Fest steht, dass Beate Zschäpe Anfang der 1990er-Jahre zuerst mit Uwe Mundlos liiert war.

Als ihr Freund bei der Bundeswehr in Bad Frankenhausen dient, fängt sie eine Beziehung mit Uwe Böhnhardt an. Auch mit dem Neonazi Thomas S., einer zentralen Figur im Unterstützerkreis des NSU, soll sie in den Jahren 1996 und 1997 ein Verhältnis gehabt haben.

Spätestens in der Illegalität, so lautet jedenfalls die oft in den Medien gezogene Schlussfolgerung, soll eine Dreiecksbeziehung zwischen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bestanden haben.

Die Berichterstattung wird deshalb auch kritisiert. Es finde eine Sexualisierung Zschäpes statt, schreibt Anna Oelhaf im Journal des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung. Nur weil sie eine Frau sei, bekomme der Beziehungsaspekt eine stärkere Bedeutung. Über das Sex-Leben der beiden Männer, heißt es, werde jedenfalls kaum spekuliert und schon gar nicht mit Bezeichnungen des Boulevards wie „heißer Feger“ und „Nazi-Braut“.

Tatsächlich suggeriert der oft benutzte Begriff der Braut, dass es sich bei Zschäpe um eine Art Anhängsel gehandelt habe, entsprechend den gängigen Klischees, die von rechtsradikalen Frauen existieren.

Die Hausfrau

Wahlweise ist auch von der Hausfrau Zschäpe die Rede. Es wird erzählt, wie sie kochte und putzt und ihre Katzen Heidi und Lilly streichelte. Als das Trio schon längst untergetaucht war, gab es noch Treffen mit Böhnhardts Eltern in öffentlichen Parks in Chemnitz. Dort fragte Beate Zschäpe die Mutter nach Plätzchenrezepten. Im Untergrund präsentiert sich Zschäpe als freundliche und immer hilfsbereite Nachbarin, die gerne half und Ratschläge gab.

Wenn sie arbeitet, hinterlässt sie denselben soliden Eindruck wie damals als Malergehilfin und Gärtnerin-Lehrling in Jena. Der Unternehmer, für den sie in Zwickau Zeitungs-Abonnements an Haustüren verkauft, hielt sie für „sympathisch“.

Die Organisatorin des Terrors 

Für die Ankläger ist dies kein Widerspruch zu dem, was sie ihr vorwerfen. Für sie ist alles – ob nun die Nachbarschaftshilfe oder das Lächeln für jeden, der ihr begegnet – nur die perfekte Tarnung einer Terrorbande. Auch wenn Beate Zschäpe wohl in keinem Fall selbst schoss oder eine Bank überfiel, so ist sie für die Ermittler zweifelsfrei ein gleichberechtigtes Mitglied des Nationalistischen Untergrunds .

Sie, heißt es immer und immer wieder in der Anklage, habe den Rückzugsraum für die beiden Männer geschaffen und ihre Bewegungen abgetarnt . Konkret heißt das: Sie mietete die Wagen an, verwaltete das Beutegeld, organisierte die Reisen.

Die Täterin

Folgt man der Logik des Generalbundesanwalts, ist Zschäpe damit nicht nur eine Brandstifterin und ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung, nein: Sie ist eine Mörderin.

Zschäpe wird vorgeworfen, „durch 27 rechtlich selbstständige Handlungen gemeinschaftlich mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zehn Menschen getötet und einen Menschen schwer verletzt“ zu haben. Dazu kommen zwei Sprengstoffanschläge, bei denen 22 Menschen zu Schaden kamen, mehr als ein Dutzend Banküberfälle.

In all diesen 27 Fällen plus einer schweren Brandstiftung nach dem Tod ihrer Komplizen sei sie als Mitglied der Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund aufgetreten, deren Morde und Straftaten dafür bestimmt waren, die Bevölkerung einzuschüchtern und den Staat zu schädigen.

Das Opfer

Oder war es doch ganz anders? Die Verteidiger sehen Beate Zschäpe nicht als Täterin. Vielmehr sei sie eine Mitläuferin, die erst im Nachhinein von den Taten erfuhr und danach schlicht Angst bekam. Die Frau an der Seite von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ein Opfer?

Anwältin Anja Sturm sagt: „Angenommen, Frau Zschäpe erfährt im Nachhinein von den Taten von Böhnhardt und Mundlos, hat sie verständliche Angst, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, so nach dem Motto, mit gegangen mit gehangen.“

Ab diesem Zeitpunkt befände sie sich in einer Art Zwangssituation. Dann lautete der Vorwurf möglicherweise auf Strafvereitelung. Dasselbe Prinzip gelte für die Banküberfälle. „Wenn ich im Nachhinein davon erfahre, bin ich nicht der Mittäterschaft schuldig“, sagt Sturm.

Dies wirkt wie eine recht spezielle Sicht auf das, was bisher bekannt wurde. Aber sie muss, im Gegensatz zur Perspektive des Generalbundesanwaltes, nicht bewiesen werden.

Die Ankläger wissen selber, dass sie vor einem Indizienprozess stehen. Bis auf die Brandstiftung in Zwickau wurde die Angeklagte an keinem Tatort gesehen, nur einmal in Nürnberg will sie jemand in der Nähe beobachtet haben.

Beate Zschäpe, das Rätsel 

Die Frage, wer Beate Zschäpe ist, sie muss vor Gericht noch beantwortet werden.

In der Zwickauer Frühlingsstraße, wo die Gruppe die letzten drei Jahre wohnt, waren die Parallel-Universen der Beate Zschäpe durch einen Garderobenschrank getrennt. Es gab eine Wohnung für Besuche, die Katzen Lilly und Heidi. Und es gab eine Wohnung für die Waffen, die Todeslisten und die gefälschten Papiere.

In einem Teil lebte die liebe Lise mit den beiden netten Uwes. In dem anderen arbeitete der selbsternannte ‚Nationalsozialistische Untergrund“.

Natürlich, das kleinbürgerliche Idyll war Teil der Tarnung. Dass Zschäpe gut zuhören kann, dass sie Kinder liebt und empathisch wirkt, habe die Gruppe bewusst genutzt, um die Legende glaubhaft zu machen. So sagt es Christian Fuchs, einer der beiden Autoren des Buches „Die Zelle“. „Sie setzte ihr Talent, Sympathie zu erzeugen, strategisch ein, um den Männern das Morden zu ermöglichen.“

Wenn das Böse banal ist, ergeben die beiden Existenzen der Beate Zschäpe auch keinen Widerspruch. Die fröhliche Nachbarin, die mit dem Griechen um die Ecke einen Schnaps trank und die „Terrorbraut“, wie sie der Boulevard nennt, sind dann nicht der Ausdruck einer Art sozialer Schizophrenie – sondern nur die monströs verschiedenen Seiten eines Menschen.

Doch die Frage, welche Seite sich am Ende durchsetzt, ist offen. Vor Monaten wurde Beate Zschäpe aus dem Kölner Gefängnis nach Gera gefahren, um ihre Oma zu treffen, die 89 ist und nicht so weit reisen kann. Den Polizisten, die sie bewachten, erzählte sie, dass sie ihre Oma liebe und ihr deshalb erklären werde, warum das alles so gekommen sei. Und ja, entschuldigen wolle sie sich auch.

Doch wofür? Dass sie damals flüchtete und sich nie meldete? Oder dafür, dass sie Menschen tötete und verletzte? Wer weiß. Beate Zschäpe schweigt zu den Vorwürfen, ihre Anwälte raten ihr dazu. Verteidiger Wolfgang Heer sagt, dass man auch nach „eingehender Prüfung der Anklageschrift“ davon ausgehe, „dass der Vorwurf der Mittäterschaft an den Morden und Banküberfällen in der Hauptverhandlung keinen Bestand haben wird“.

Die Strategie der Verteidigung wurde schon am ersten Tag des NSU-Prozesses deutlich. Sie lautet: Angriff. Mit einem Befangenheitsantrag brachte sie das Gericht dazu, die Verhandlung nach vielen juristischem Kleinklein zu vertagen.

Für die Opfer ist das sicher nur schwer erträglich – und ob am Ende das Rätsel Zschäpe gelöst wird, ist nach jetzigem Stand völlig offen.