Düsseldorf.
100 Tage ist NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nun im Amt – und es sieht nicht so aus, als würde die SPD-Politikerin den neuen Hochsitz so bald wieder räumen. Aber: Die harten Kraft-Proben kommen erst noch.
Neulich hatte sie sich verlaufen, scheinbar. Da stand sie wie zufällig in der Pressestelle der SPD-Fraktion, suchte direkten Kontakt mit den Journalisten. Erzählte dies, erfuhr jenes, blieb eine gute halbe Stunde. Man sieht Hannelore Kraft noch regelmäßig in der Landtagskantine oder an der Kaffee-Bar, wo sie ihren Cappuccino trinkt – wie zu der Zeit, als sie noch Oppositionschefin war. Aber dann zieht es sie wieder in den gläsernen Turm ihrer Staatskanzlei, zehnte Etage. Nach 100 Tagen sieht es nicht so aus, als würde die Ministerpräsidentin den neuen Hochsitz so bald wieder räumen.
Jene Stimmen, die ihrer Regierung ein schnelles Ende prophezeit hatten, sind leise geworden. Im kleinen Kreis stellen sich auch prominente CDU-Politiker auf längere Wartezeiten ein. Der Blick auf Umfragedaten zeigt, warum die Opposition kein Interesse an Neuwahlen haben kann: laut „Forsa” hätten SPD und Grüne derzeit eine klare absolute Mehrheit, die FDP käme mit nur drei Prozent nicht mehr in den Landtag. Die rot-grüne Minderheit agiert geschlossen, musste noch keine empfindliche Schlappe einstecken. Zentrale Projekte sind auf den Weg gebracht: das Ende der Studiengebühren, die Gemeinschaftsschule.
Start überschattet von der Loveparade-Katastrophe
Die ersten 100 Tage sind in der Politik eigentlich kein Maßstab. Keine Entscheidung richtet sich danach, kein Wähler macht daran seine Stimme fest. Krafts Start fiel in die Sommerpause und war überschattet von der Duisburger Katastrophe. Die Loveparade wurde auch zu ihrer ersten großen Bewährungsprobe. Bei der Trauerfeier für die 21 Toten sprach sie einfühlsam, unmittelbar. Die Zuhörer spürten: Die Rednerin trauerte mit ihnen.
Sich treu bleiben zu wollen, beteuern alle Politiker, die ein höheres Amt übernehmen. Bei Kraft bedeutet es, das normale Leben nicht aus den Augen zu verlieren. Auch als Regierungschefin inszeniert sie ihre „Tatkraft”-Initiative, verbringt regelmäßig ganze Tage in der realen Arbeitswelt eines Betriebs. Ein wenig wie Johannes Rau pflegt sie die persönliche Geste, das spontane Gespräch. Ganz das Gegenteil von Jürgen Rüttgers.
Aber auch von Peer Steinbrück. Der vor ihr letzte Genosse an der Regierungsspitze war als knallharter Sanierer angetreten, mit der unpopulären Parole „Steine statt Brot”. Die 49-jährige Mülheimerin hat das Ende 2005 als Ministerin miterlebt. Ihr nicht unumstrittenes Credo der präventiven Politik zieht sich wie ein roter Faden durch alle Ressorts: Milliarden für Gratis-Kitas, klamme Kommunen und junge „Intensivtäter”. Es soll sich auszahlen, irgendwann. Eine Lizenz zum Schuldenmachen, sagen Kritiker. Tatsächlich war von Sparen bisher wenig die Rede. Auch nicht in Krafts nur mittelmäßiger Regierungserklärung.
Die harten Kraft-Proben kommen erst noch
Noch etwas hat sich geändert seit der ersten rot-grünen Koalition in NRW: das Betriebsklima. „Bei uns muss sich keiner bücken oder recken”, versichert SPD-Fraktionschef Norbert Römer. „Vernünftig” nennt sein Grünen-Kollege Reiner Priggen die Zusammenarbeit – für den Ex-Parteichef mit Clement-Trauma schon fast ein Anflug von Euphorie. Kabinetts-Sitzungen laufen dem Vernehmen nach kollegial ab, und Priggen bescheinigt Kraft eine „souveräne Amtsführung”. Wer kürzlich erlebte, wie sie Minister in einer Plenardebatte aus der Kantine an ihren Platz im Landtag zitierte, der ahnt, dass die Chefin kein Autoritätsproblem hat. Manche sagen auch, sie sei launisch.
Die harten Monate der Kraft-Probe werden erst noch kommen. Der Haushalt 2011 lässt sich nicht auf dem Erlassweg regeln. Das Nein von CDU und FDP gilt als sicher, die schwer auszurechnende Linke wird gewiss nicht ohne Gegenleistung mitziehen. Scheitert der Etat im Juni, das weiß Kraft, wäre es ein Gesichtsverlust – und wohl das Ende der Koalition. Aber zunächst einmal muss im Dezember der Nachtragshaushalt durchs Parlament gebracht werden – auch dies keine Selbstverständlichkeit.
Doch es stärkt sie in ihrem rot-grünen Minderheitendasein, dass sie eine Frau der Partei ist. „Sie hat den dicksten Schutzschild, den man in der SPD haben kann”, sagt Landesvize Britta Altenkamp, „sie hat die Partei hinter sich, und das schreckt auch Strippenzieher ab.” Ihren Status hat sich Kraft hart erarbeitet – anders als einst Wolfgang Clement, so Altenkamp, „für den Stallgeruch ein schlimmer Gestank war”. Wer so fest an der Basis verankert ist wie Kraft, verbittet sich jede Einmischung. Selbst dann, wenn es der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel versucht.