Berlin.
Nur keine Bescheidenheit, dachte sich wohl Jürgen Trittin. Also drehte der Grünen-Spitzenkandidat verbal das große Rad und verkündete den „grundlegenden Umbau“ von Wirtschaft und Gesellschaft, den die Ökopartei nach einer erfolgreichen Bundestagswahl anstrebt. Die Blaupause dafür stellte die Parteispitze gestern in Berlin mit ihrem Entwurf für das Wahlprogramm vor. Nun kann die Basis darüber beraten und Änderungen vorschlagen, bevor die Marschroute auf dem Parteitag Ende April festgezurrt wird. Dann sollen die Delegierten aus 54 Schlüsselprojekten etwa zehn auswählen, die im Wahlkampf an vorderster Front stehen.
Garantierente vonmindestens 850 Euro
Auch ohne das letzte Feintuning ist schon klar, wohin die Reise geht: Die Grünen buhlen um die Wählergunst vor allem mit der Energiewende und der sozialen Gerechtigkeit. Dazu gehört die Kindergrundsicherung. Seit Jahren liebäugeln die Grünen mit dem Mammutprojekt, in dem jedes Kind vom Staat dieselbe Unterstützung erhalten soll. Sollten sie im Herbst an die Regierung kommen, wollen sie zumindest den Einstieg schaffen. In der Grundsicherung sollen auf Dauer die Regelsätze für Kinder von Hartz-IV-Beziehern, der Kinderzuschlag und die steuerlichen Kinderfreibeträge aufgehen. Zunächst aber will die Ökopartei die Regelsätze erhöhen. Ein Teil des Geldes soll aus dem Ehegattensplitting kommen, das die Grünen abschmelzen wollen.
Auf der Liste der sozialen Wohltaten stehen auch die Einführung der Garantierente von mindestens 850 Euro im Monat, der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro oder mehr, der Anstieg der Hartz-IV-Sätze von 382 auf 420 Euro und die Bürgerversicherung in der Gesundheit und der Pflege. Im Bildungsbereich möchten die Grünen Ganztagsschulen flächendeckend aufbauen, das Bafög erhöhen und jährlich eine Milliarde Euro extra in Hochschulen pumpen. Außerdem pochen sie auf den Kita-Ausbau. Dafür will die Ökopartei das viel gescholtene Betreuungsgeld kassieren.
Zum Gelingen der Energiewende soll ein Klimaschutzgesetz mit einem 3,5 Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm beitragen. Im Kampf gegen steigende Strompreise möchten die Grünen Industriesubventionen streichen und Haushalte und Mittelstand so um vier Milliarden Euro entlasten.
Für die Haushaltskonsolidierung bitten sie die Reichen zur Kasse: mit einer befristeten Vermögensabgabe, die 100 Milliarden Euro in den Staatssäckel spülen soll. Außerdem soll der Spitzensteuersatz für Einkommen ab 80 000 Euro auf 49 Prozent steigen. Im Gegenzug möchte die Ökopartei alle Haushalte mit weniger als 60 000 Euro Jahreseinkommen entlasten.
Den bewährten Eiertanz machen die Grünen um die Frage, mit wem sie koalieren wollen, falls es für eine Ehe mit der gebeutelten SPD nicht reichen sollte. Erwartungsgemäß verteufeln sie im Programm sowohl FDP als auch Linke und erklären wortreich, warum eine Zweckehe mit der Union von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Nicht nur weil CDU und CSU die Energiewende angeblich „hintertreiben“. Doch eine definitive Absage an Schwarz-Grün fehlt.
So bleibt ihnen genug Beinfreiheit, um mit der Union notfalls doch noch ins ungeliebte Koalitionsbett zu springen.