Zu Beginn des Grünen-Parteitages ist es schweinekalt in Karlsruhe. Dazu schüttet es wie aus Eimern. Hin und wieder hagelt es sogar. Wie gut, dass die Zusammenkunft der Grünen in der wohlig temperierten Messehalle stattfindet, der sogenannten dm-Arena. Ja, die größte Drogeriekette Deutschlands hat ihre Hauptzentrale in Karlsruhe. Eine Ortsbegehung.
In der Vorhalle: Breitschultrige BKA-Beamte und hibbelige Ehrenamtliche in Sneakern. Sie melden die Eintreffenden an, kleben ihnen bunte Bändchen an die Handgelenke, kontrollieren, weisen ab. Während die Herrschaften vom Bundeskriminalamt stellenweise gelangweilt dreinblicken, erwecken die quirligen Parteimitarbeiter den Eindruck einer Theater-Probe unter Schülern. Mal spielen sie wichtig, dann verwehren sie ernst und doch mitfühlend Unangemeldeten den Zutritt; in weiten Teilen laufen sie jedoch aufgekratzt durch die Gegend, lachen, winken quer über die Halle ihren Kollegen zu, herzen sich.
Baerbock, Habeck und Roth marschieren strammen Schrittes in Richtung Bühne
Und wer darf bei einem Theaterstück nicht fehlen? Genau, die Protagonisten. Ob Annalena Baerbock, Robert Habeck oder Claudia Roth – sie marschieren strammen Schrittes, begleitet von ihren Personenschützern, in Richtung Bühne, durch die dunkle Haupthalle zum Licht. Es wird der Ort werden, an dem am Samstag den Delegierten ein Schauspiel geboten wird, das man lange nicht erlebt habe, wie ein Mitglied danach erklärt.
Zum Höhepunkt des Parteitages, der Asyldebatte, erscheint der prominenteste grüne Regierungsvertreter Robert Habeck in lässiger Aufmachung. Man überzeugt die tennissockentragende Grüne Jugend und die anderen zwanglosen Delegierten eben nicht in schickem Anzug. In sportlicher, schwarzer Zipper-Jacke, schwarzem Hemd und Jeans schreitet er ans Rednerpult. Der Mann weiß wie es geht.
Der Partei-Poet Habeck auf einmal ganz unverblümt
In seiner Rede macht der Partei-Poet („Merz frohlockte“, „natürlich dürfen wir nicht mit Konsumausgaben aasen“) dann doch völlig unverblümt klar, dass er dem Antrag der Gegner seiner Asylpolitik nicht zustimmen werde. „Macht euch klar“, ruft er ihnen zu, „dass die Abstimmung eine Konsequenz hat, es ist ein Misstrauensvotum in Verkleidung!“ Er wird sich am Ende durchsetzen.
Dabei konnte man vor der Abstimmung ein anderes Bild gewinnen. Seine Gegner, weitestgehend junge Mitglieder, boten der Parteispitze erstaunlich souverän und wortgewaltig Paroli. Wenn ihnen ein Punkt gelang, kochte der Saal. Es wurde laut, sehr laut.
In Gesprächen mit Delegierten entsteht ein interessantes Bild. Obwohl die Grünen einen derzeit schweren Stand haben. Sie sind aus den Regierungen in Hessen und Berlin geflogen. Ihre Umfrageergebnisse auf Bundesebene könnten besser sein. In der Ampel-Regierung drohen sie zwischen SPD und FDP zerrieben zu werden. Die Asyl-Debatte macht ihnen zu schaffen. Obwohl sie mit alldem zu kämpfen haben, zeigen sich die Parteimitglieder optimistisch. Ja, sie blicken positiv in die Zukunft. Sie wollen den Vereinfachern, den Populisten, der AfD, den Geert Wilders, den Giorgia Melonis, den Marine Le Pens das Feld nicht überlassen.
Sie sagen, dass sie keine leichten Antworten auf komplexe Probleme geben möchten. Sie zeigen sich differenziert. Sie kämpfen mit sich. Ja sie streiten sich auch auf offener Bühne, wie der Asylstreit zeigt. Und doch wurde es leiser, wenn man den Delegierten Glauben schenken mag. Einer sagt: „Früher war mehr laut“. Auf die Frage ob er das gut finde, dass es heute ruhiger zugehe, antwortet er: Ja. Ihm zeige dies, dass es den Mitgliedern mehr um die Sache gehe. Man schreie sich nicht mehr an. Die Delegierten fahren mit einem guten Gefühl nach Hause. Und siehe da – zum Abschluss des größten Parteitages in der Geschichte der Grünen scheint auf einmal die Sonne.