Die Grünen treffen sich vier Tage lang zu ihrer 49. Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) in Karlsruhe. Der Parteitag ist überschattet vom milliardengroßen Haushaltsloch (mehr dazu hier) und den Streitigkeiten in der Migrationspolitik.
Hubert Kleinert saß 1983 als einer der ersten Abgeordneten der Grünen im Bundestag, gilt als Vordenker für Rot-Grün. Der ehemalige Vorsitzende der hessischen Grünen lehrt heute als Professor an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen. Im Gespräch mit dieser Redaktion teilt der Politikwissenschaftler seine Einschätzung zum Grünen-Parteitag.
Grüne haben „starken Gegenwind“
Herr Kleinert, die Grünen treffen sich zu ihrer Bundesdelegiertenkonferenz an dem Ort, an dem die Partei 1980 gegründet wurde. Ist es ein besonderer Parteitag in Karlsruhe?
Ja, sicher. Es ist kein Routine-Parteitag. Die Grünen haben zum erstmal, seit fünf Jahren, starken Gegenwind. Es hat nach teilweise hervorragenden Wahlergebnissen Einbrüche und Wahlniederlagen gegeben. Die Situation in der Ampel-Koalition ist sehr schwierig, die Grünen sind bei dem Heizungsgesetz bei ihrem ureigentlichen Thema in die Defensive geraten. Und auch das Migrationsthema macht den Grünen zu schaffen.
+++ So ordnete Hubert Kleinert den Grünen-Parteitag 2022 in Bonn ein +++
Wie empfinden Sie die aktuelle Stimmungslage innerhalb der Partei?
Man hört einiges an Kritik in einer Massivität, die es seit Bestehen der Ampel noch nicht gegeben hat. Auf der anderen Seite zeigt das Abstimmungsergebnis für die Parteispitze, dass die Unzufriedenheit jedenfalls nicht überbordend ist. Ich habe den Eindruck, die Grünen wollen in der Koalition bleiben, auch, wenn mehr Unzufriedenheit seit dem letzten Jahr da ist.
Grünen-Parteitag im News-Blog: Lang und Nouripour wiedergewählt – DerWesten.de
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen der Ampel Milliarden. Wie wirkt sich die Entscheidung auf den Klimaschutz aus?
Es fehlt Geld, vieles wird nicht finanzierbar sein, alles Mögliche steht dabei auf dem Prüfstand. Es ist natürlich ein Rückschlag – man war dort vielleicht zu blauäugig, zu glauben, man könne das Geld einfach so umwidmen.
Das ist das „schwierigste Thema“ für die Grünen
Grünen-Chefin Ricarda Lang zeigt sich angesichts schwacher Umfragewerte selbstkritisch. „Wir sollten uns schon fragen, warum manche Vorurteile gegen uns immer noch verfangen“, sagte die 29-Jährige „t-online“. Glauben Sie, die Grünen schaffen es aus dieser Verurteilung heraus?
Das ist schwer zu sagen, so schnell wird das nicht gelingen, denn dazu ist zu viel schief gegangen die letzte Zeit. Die Lage der Koalition ist nicht gerade glänzend. Aber natürlich kann es auch wieder besserer Zeiten für die Grünen geben, wenn sie bedachtsamer agieren – Stichwort Heizungsgesetz, das war ein Schnellschuss, das hätte man so nicht machen dürfen und wenn sie sich auch in der Migrationsfrage kompromissbereit zeigen und nicht den Bremsklotz spielen in der Koalition.
Teile der Grünen-Basis kämpfen gegen die von der Spitze mitgetragenen Asylrechtsverschärfungen der Ampel-Regierung. Auch die Grüne Jugend wirft der Ampel eine „menschenverachtende Abschottungspolitik“ vor. Kann das Thema Migration Spitze, Basis und Grüne Jugend zerstreiten?
Die Tonlage zeigt schon, dass das ein sehr emotionales Thema ist. Ich denke, dass es das schwierigste Thema ist. Die Grünen haben traditionell einen doch sehr Geflüchteten-freundlichen gesinnungsethischen Zugang zu dem Thema. Die Stimmung in der Gesellschaft steht auf Zuwanderungsbegrenzung. Die Grünen können sich dem nicht verschließen, zumindest wenn sie regieren und gestalten wollen. Diese Perspektive setzt voraus, dass man einlenkt und nicht den Bremser spielt. Jede Regierung, die regieren würde, könnte an dieser Stimmung nicht vorbeisehen.