Pro-palästinensische Demonstrationen stehen oft in der Kritik. Neben Menschen, die ihre Solidarität mit den Zivilisten in Gaza kundtun, kommt es immer wieder auch zu antisemitischen Äußerungen gegen den Staat Israel und Juden.
Bei einer Demonstration in Essen Anfang November marschierten beispielsweise offen Islamisten auf. Sie hielten Schilder mit der Aufschrift „Allahs Sieg ist nahe!“ hoch. Die NRW-Regierung erkennt jedoch keine dominierende islamistische Prägung bei der Demo. Oberbürgermeister Thomas Kufen spricht dagegen von „Islamisten, Antidemokraten und Judenhassern“, die dort demonstrierten. Am Sonntag soll es als deutliches Zeichen eine Gegendemo in der Stadt geben.
Der syrische Menschenrechtsaktivist Mouatasem Alrifai kritisiert die Demonstration in Essen ebenfalls scharf. Im Gespräch mit unserer Redaktion findet der Mann, der selbst als Geflüchteter nach Deutschland kam, deutliche Worte.
Terror-Symbole in Essen: „Tiefe Besorgnis und Traurigkeit“
Zeichen von islamistischen Terrororganisationen auf deutschen Straßen rufen bei Alrifai „tiefe Besorgnis und Traurigkeit“ hervor. Gegenüber dieser Redaktion betont er: „Als Geflüchtete, die vor solcher Gewalt geflohen sind, erleben wir diese Symbole nicht nur als Erinnerung an das Leid und die Verluste in unserer Heimat, sondern auch als Zeichen dafür, dass die Bedrohung, der wir entkommen sind, uns hierher verfolgt hat.“
+++ Demo in Essen: Das könnte dem Veranstalter drohen +++
Diese Symbole erzeugen laut Mouatasem Alrifai darüber hinaus nicht nur ein Gefühl der Unsicherheit und Angst, sondern senden „auch eine beunruhigende Nachricht an die breitere Gemeinschaft darüber, was auf unseren Straßen toleriert wird“, so das Mitglied des Nürnberger Rates für Integration und Zuwanderung.
Bei Geflüchteten könnten diese Zeichen, Fahnen und Symbole außerdem traumatische Erinnerungen hervorrufen. Das Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit könne beeinträchtiget werden. Und: „Es untergräbt die Glaubwürdigkeit friedlicher Proteste und kann dazu führen, dass die eigentliche Botschaft der Solidarität und des Friedens überschattet wird“, äußert sich Alrifai.
Vor Taliban geflohen – „Jetzt wehen die Fahnen auf deutschen Straßen“
Ganz ähnlich beurteilt das auch der Journalist und Podcaster Khesrau Behroz, dessen Familie ursprünglich aus Afghanistan stammt. Auf X (früher Twitter) schreibt er nach der Demo in Essen: „Die Taliban hätten meine Eltern gehängt, wären sie nicht geflohen. Jetzt wehen ein paar völlig verlorene Versager die Fahnen dieser Mörder auf deutschen Straßen.“
Infolge der Demo in Essen hat die Polizei nun Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen einen der Redner eingeleitet. Es lägen zahlreiche Bild- und Tonaufnahmen vor, teilte die Essener Polizei mit. Diese würden aktuell durch den Staatsschutz, Islamwissenschaftler und Dolmetscher ausgewertet.
„Innenministerin müsste zurücktreten“
Auch Bundesinnenminister Nancy Faeser reagierte auf die Demo: „Was wir da sehen mussten, ist mit unserem Verständnis von Demokratie, mit unserer Vorstellung des friedlichen Zusammenlebens in unserer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar.“ Hier sei eine rote Linie überschritten worden. Auch Alrifai betont: „Es sollte eine klare Linie gezogen werden zwischen freier Meinungsäußerung und dem Ausdruck von Symbolen, die mit Terrorismus und Gewalt assoziiert sind.“
Doch für Alrifai ist das Statement der Ministerin nicht ausreichend: „Die Sicherheitsbehörden unter der Leitung von der Bundesinnenministerin Nancy Faeser haben in ihrer Ausführung nicht den erwarteten Standard erreicht. Nancy Faeser hat in dieser Hinsicht versagt. Eine anständige Innenministerin müsste nach einem solchen Vorfall selbstverständlich zurücktreten.“
„Kein Generalverdacht gegen alle Pro-Palästina-Demos“
Dass Menschen Fahnen mit Symbolen von Terrororganisationen bewusst als Mittel zur Provokation schwenken, sei „zutiefst besorgniserregend“. Dem könne man mit verschiedenen Maßnahmen entgegentreten, so Alrifai. „Bildung ist ein Schlüsselwerkzeug, um Bewusstsein und Verständnis der historischen Bedeutung solcher Symbole zu fördern.“ (mehr dazu liest du hier). Die gesellschaftliche Ächtung des Verhaltens und der aktive Widerstand gegen Extremismus seien ebenfalls wichtig. Die Verantwortlichen für die Demo in Essen müssen persönlich zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden.
„Meine Verurteilung dieser Demo in Essen darf nicht instrumentalisiert werden, um alle Musliminnen und Muslime, Araberinnen und Araber, Palästinenserinnen und Palästinenser oder alle Pro-Palästina-Demos unter Generalverdacht zu stellen“, macht der Syrer aber auch klar.
„Es empört mich zutiefst, dass das tiefgreifende Leid der palästinensischen Zivilistinnen und Zivilisten auf diese Art und Weise ausgenutzt wird. Es ist fragwürdig und besorgniserregend, dass manche Demonstrationen erlaubt sind, bei denen terroristische Symbole gezeigt werden, während andere, die sich friedlich für ein Ende des Kriegs in Gaza einsetzen, verboten werden könnten. Dies deutet auf eine scheinbar inkonsistente Anwendung des Versammlungsrechts hin, die einer Klärung bedarf“, findet Alrifai.
Doch Alrifai weist auch auf die geplanten Kürzungen für die politische Bildung hin: „Durch die Verringerung der Mittel für Bildungsprogramme könnte das Unwissen über die Geschichte und die damit verbundenen Gefahren zunehmen und die Erinnerungskultur beeinträchtigen, was von Extremistinnen und Extremisten ausgenutzt werden könnte.“ Dies wiederum könnte die Demokratie-Resilienz und die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit gegenüber antidemokratischen Strömungen erheblich schwächen.