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Erst Kinder, dann Hochzeit

Erst Kinder, dann Hochzeit

Berlin. 

Die fünfjährige Hannah ist aufgeregt: Sie darf Blumenmädchen bei einer Hochzeit sein und mit bei der Standesbeamtin sitzen. Vielleicht sogar zwischen dem Brautpaar, denn es sind ihre Eltern.

In Deutschland kommt mittlerweile mehr als jedes dritte Kind (35 Prozent) unehelich auf die Welt. NRW liegt dabei mit 29,9 Prozent knapp unterhalb des Durchschnitts. Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, die dieser Zeitung exklusiv vorliegt, gibt es zwischen West- und Ostdeutschland erhebliche Unterschiede:

Danach kamen im Osten zuletzt mit durchschnittlich 59 Prozent doppelt so viele Kinder nicht ehelich auf die Welt wie im Westen mit 29 Prozent. Insgesamt lebten im vergangenen Jahr in Deutschland rund 5,2 Millionen Kinder bei unverheirateten Eltern, so die neuesten Zahlen aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes. Mit rund 3,8 Millionen Kindern wuchs der größte Teil davon bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern auf.

Aber: In vielen Fällen, wo Kinder unehelich geboren wurden, heiraten die Eltern in den Jahren nach der Geburt. Hannah ist also kein Einzelfall: Insgesamt erleben derzeit pro Jahr rund 100 000 Kinder die Hochzeit ihrer eigenen Eltern mit, mehr als doppelt so viele wie vor 20 Jahren.

Parteien steuern in Familienpolitik langsam um

Die Zahlen alarmieren die Politik. Bei der Union etwa gab es schon häufiger Vorstöße für eine Steuerreform zugunsten aller Familien. Der jüngste kommt jetzt vom familienpolitischen Sprecher der Union, Marcus Weinberg. Der CDU-Politiker fordert neue Regelungen für die Besteuerung von verheirateten und unverheirateten Eltern: „Wir brauchen in der nächsten Wahlperiode eine Steuerreform, die die Kinder in den Mittelpunkt stellt“, sagte der CDU-Politiker dieser Zeitung. Nicht die Beziehungsform der Eltern allein dürfe für staatliche Entlastung entscheidend sein, sondern die Frage, ob Kinder im Haus leben. „Wir müssen Kinder in Familien fördern und nicht ausschließlich Institutionen wie die der Ehe“, betont Weinberg. Die Union werde das Ehegattensplitting nicht abschaffen. „Wer verheiratet ist, braucht einen Bestandsschutz.“ Bei künftigen Ehen aber müsse es weniger Steuervorteile für Erwachsene geben und dafür mehr für Kinder. „Wir sind uns in der Union in dem Punkt der stärkeren Entlastung von Kindern grundsätzlich einig.“

Der Abgeordnete schlägt zudem vor, Kinderlose in der Pflegeversicherung stärker zu belasten, um Familien mit Kindern stärker als bisher zu entlasten. Auch eine Anhebung des steuerlichen Kinderfreibetrags auf die Höhe des Erwachsenenfreibetrags, einschließlich einer Deckelung für hohe Einkommen, gehört zu seinem Konzept. Die Hürde für diese Neuerungen ist zunächst der CDU-Bundesparteitag Ende des Jahres.

Für SPD und Grüne ist das alles nichts Neues – sie wollen das Ehegattensplitting schon lange reformieren. Noch gibt es aber keine konkreten Wahlziele: Unklar ist etwa, wieviel Schonfrist sie der jetzigen Form des Steuersplittings einräumen wollen.

Immerhin herrscht innerhalb der SPD Einigkeit, dass es einen Bestandsschutz für bestehende Ehen geben soll. Ziel aber bleibt, die Kinder zu fördern: „Wir als SPD wollen Familien mit Kindern steuerlich besser fördern – egal, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht“, sagte SPD-Vize Manuela Schwesig dieser Zeitung. Moderne Familienpolitik müsse der Vielfalt der Familien gerecht werden, so die Bundesfamilienministerin. Die Familienforscher sehen das auch: Man muss prüfen „ob die Zielgruppe Ehepaare oder Familien sind“.

Neben den Ost-West-Unterschieden gibt es auch interessante regionale Fakten: Die höchsten Quoten für nicht eheliche Geburten fallen im Osten auf die Stadt Brandenburg mit 70 Prozent, den Stadtkreis Dessau-Roßlau, die Stadt Cottbus und den Kreis Elbe-Elster mit jeweils 69 Prozent. Die niedrigsten Raten finden sich in Ostdeutschland im katholisch geprägten Landkreis Eichsfeld mit 47 Prozent.

Im Westen kommen die meisten unehelichen Kinder nicht etwa in den Metropolen zur Welt, sondern in Wilhelmshaven und Flensburg mit jeweils 48 Prozent. In Großstädten wie Köln waren es dagegen nur 35 Prozent. Im bayerischen Landkreis Eichstätt werden im Westen die meisten Kinder von Eltern mit Trauschein geboren, gefolgt vom Landkreis Böblingen in Baden-Württemberg.