In Sachen Nachhaltigkeit spielt Ernährung eine entscheidende Rolle. In dem Zusammenhang hört man oft, wie wichtig dabei vegane Ernährung ist. Firmen wie „Rügenwalder“ setzen mittlerweile sogar fast ausschließlich auf vegane oder vegetarische Fleisch-Alternativen.
Aber ist vegane Ernährung wirklich der Schlüssel zur Nachhaltigkeit? Darüber sprach unsere Redaktion mit Dr. Malte Rubach. Dieser veröffentlichte jüngst sein neues Buch „Warum es uns kümmern sollte, wenn in China ein Sack Reis umfällt“ (Hirzel Verlag). Der Ernährungsexperte erklärt darin, wie die weltweite Vielfalt der Esskulturen auch in Zukunft das Überleben der Menschheit sicherstellen wird.
Wie kann Ernährung weltweit gesichert werden?
Redaktion: Herr Dr. Rubach, Der Titel Ihres Buches lautet „Warum es uns kümmern sollte, wenn in China ein Sack Reis umfällt“. Warum sollte es uns bzw. die Leserinnen und Leser kümmern?
Rubach: „Dieser Satz ist die Aufforderung über den Tellerrand der deutschen
Ernährung hinauszublicken. Die hiesigen Debatten drehen sich oftmals um einzelne Lebensmittel wie Fleisch oder die Frage, wie hoch der Anteil pflanzlicher Lebensmittel in der Ernährung sein sollte. Fakt ist dagegen, dass auf der anderen Seite des Globus Milliarden Menschen darauf warten, überhaupt ausreichend Grundnahrungsmittel zu
bekommen. Die Ernährung der Zukunft entscheidet sich nicht am Fleisch oder pflanzlichen Fleischersatz, sondern an der Frage, wie bekommen wir überhaupt alle Menschen satt?“
Wie würden Sie die Kernbotschaft ihres Buches in einem Satz zusammenfassen?
„Hunger ist die Mutter der Anarchie, genug Nahrung dagegen der Anfang von Allem. Der erste Satzteil stammt von Herbert Hoover, der vor dem 2. Weltkrieg US-Präsident war und nach dem Krieg unter anderem die Lebensmittelnotversorgung in Deutschland federführend organisiert hat. Der zweite Satzteil fasst zusammen, warum die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen den roten Faden durch das Buch legen. Jedes dieser Ziele ist direkt oder indirekt auch mit den Themen Ernährung, Lebensmittel und Landwirtschaft verbunden.“
Scheitert „Rügenwalder“ mit Vegan-Plan?
Wie lautet Ihre Kritik an komplett veganer oder vegetarischer Ernährung?
„Generell kann jeder Mensch die Ernährungsform wählen, die für ihn passend ist. Meine Kritik zielt lediglich darauf ab, dass in öffentlichen Debatten über nachhaltige Ernährung häufig der eigentliche Sinn von Ernährung unter den Tisch fällt. Dieser ist nämlich, dass wir ausreichend Nährstoffe aufnehmen, damit Körper und Geist gesund und leistungsfähig bleiben. Vegane Ernährung ist per Definition eine Mangelernährung, da sie nicht sämtliche Nährstoffe zur Verfügung stellen kann, die ansonsten durch tierische Lebensmittel zugeführt werden. Über Szenarien weltweit veganer Ernährung brauchen wir daher gar nicht erst zu diskutieren.
Vegetarische Ernährung sieht zwar schon wieder etwas anders aus. Sie benötigt aber immer noch eine stetige Verfügbarkeit von Lebensmitteln und sorgfältige Planung, wenn kein Fleisch gegessen werden soll. Dagegen hat jede Region über Jahrtausende ihre Ernährungskultur aus den dort verfügbaren Lebensmitteln entwickelt, darin liegt auch der Schlüssel für die zukünftige Ernährung. Lösungen zur nachhaltigen Gestaltung solcher Ernährungssysteme zu entwickeln, wäre sinnvoller, als Debatten über vegane oder vegetarische Ernährungsutopien für Deutschland oder die Welt zu führen.“
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sich pflanzenbasiertes Fleisch
eher als Nischenprodukt etabliere. Andere Firmen wie „Rügenwalder“ haben sogar angekündigt, sich beim „Schinken-Spicker“ mittlerweile gänzlich von echtem Fleisch zu trennen. Wird dieser Schritt Ihrer Meinung nach scheitern?
„Der 2024 veröffentlichte Geschäftsbericht der genannten Firma für das Jahr 2022 weist einen Erlöseinbruch von 90% aus, trotz weiter gestiegenem Umsatz. Als Gründe wurden wachsende Kosten genannt, die nicht an den Handel weitergegeben werden konnten, sowie Rohstoffverfügbarkeit und veränderte Kundenpräferenzen. Generell konnten die Produkte nicht immer halten, was Hersteller in Sachen Genuss, Gesundheit und Nachhaltigkeit versprochen haben. Die Marktdynamik hat sich zudem stark abgeschwächt, weil die Käuferzielgruppe abgesättigt ist und der Konkurrenzdruck steigt. Die Marken kannibalisieren sich im Kampf um den verbliebenen Marktanteil nun gegenseitig.
Einzelne werden sich als Marktführer behaupten oder etablieren.“
Wie ändert sich die deutsche Ernährung?
Wie sollte sich das deutsche Essverhalten in den nächsten Jahren
stattdessen ändern, um nachhaltiger zu leben und dem Klimawandel entgegenzuwirken?
„Deutschland steht gar nicht so schlecht da, wie es in der Debatte oftmals den Anschein macht. Offizielle und international vergleichbare Analysen zeigen, dass unser gesamtes deutsches Ernährungssystem im Vergleich zum Jahr 1990 mindestens 25 Prozent weniger Treibhausgase verursacht, entgegen einem weltweit steigenden Trend. Das liegt nicht etwa an weniger Fleischkonsum oder Pflanzen-Drinks, sondern an Effizienzsteigerungen im gesamten System.
Absolut ist der Konsum tierischer Lebensmittel in dem Zeitraum sogar gestiegen, was gemäß der öffentlichen Debatten-Logik ja zu mehr Treibhausgasemissionen hätte führen müssen. Das zeigt erneut die Fehlschlüsse über nachhaltige Ernährung, die sich an einzelnen Lebensmitteln und Ernährungsweisen aufhängen, anstatt Energie und Ressourcen in technische Entwicklung und Innovation zu stecken.
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Vom Know-How in der Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Logistik und im Konsum profitieren wir und andere Länder mehr als von grammgenauen Ernährungsempfehlungen und hochverarbeiteten Veggy-Produkten. Die Menschen essen hier und auch anderswo das, was sich lokal agrarökologisch und -ökonomisch gut erzeugen und vermarkten lässt. Allein die Vermeidung von Übergewicht sollte im Vordergrund gesundheitlicher Anstrengungen stehen, damit wäre schon viel geholfen.“