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Die ersten Ferien in der Fremde

Eine Flüchtlingsfamilie erlebt Ferien in der Fremde

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Foto: Funke Foto Services
Die Flüchtlingsfamilie Refai hat sich in Dortmund eingerichtet. Doch die Probleme sind zu groß, um den Sommer wirklich genießen zu können

Dortmund. 

Die deutschen Sommerferien stehen vor der Tür. Es sind die ersten ihres Lebens. Doch Alia (13) , Lela (10) und Ahmad (9) wissen nicht, ob sie sich darüber freuen sollen. Denn Ferien mit Sand und Meer, mit Ausflügen und abends lange aufbleiben – die wird es für die drei Kinder wohl lange nicht geben. Die letzte „Reise“, die die Geschwister unternahmen, dauerte zwei Jahre. Es war ihre dramatische Flucht aus Syrien, eine Flucht vor Assads mörderischem Regime ins rettende Europa. Alia, Lela und Ahmad Refai sind Flüchtlingskinder. Zusammen mit ihren Eltern Ammar (45) und Huda (37) sowie einem Bruder Yusef (4) kamen sie vor fast einem Jahr nach Deutschland.

Jetzt leben sie in Dortmund in einer Mietwohnung. Sie besitzen Pässe, sind als Flüchtlinge aner­kannt. Doch in ihrem neuen Leben müssen sich vor allem Huda und Ammar erst noch zurecht finden.

Familie hat es nicht nach Deutschland geschafft

Huda, die in Homs als Apothekerin arbeitete, wartet seit Monaten auf einen freien Platz in einem Sprachkursus. Und Ammar, der in Syrien als Kaufmann mit Medizintechnik handelte, hat erst Ende April begonnen, Deutsch zu lernen. Jeden Tag von 13 bis 17 Uhr. „Ohne Deutsch keine Arbeit. Ohne Arbeit kein Geld und keine Anerkennung“, sagt Ammar.

Er fürchtet die Lethargie, aber akzeptiert die Tatsache, nie mehr so erfolgreich zu sein, wie er es mal war. „Nein, das kommt nicht mehr. Wir können nicht wieder studieren und so tun, als ob nichts gewesen wäre.“ Trotzdem – aufgeben wollen die Refais nicht. Allein schon wegen ihrer Kinder, die sich trotz aller traumatischen Erlebnisse des Bürgerkriegs gut entwickeln. Ammar gibt zu, dass er trotz allen Wollens an vielen Tagen keinen freien Kopf für neue Vokabeln hat: „Der Kopf ist voll mit anderen Sachen. Wir haben viele Probleme.“

Es sind die Gedanken an die Familie, die sie in Saudi-Arabien, Dubai und Jordanien zurückgelassen haben: „Sie haben es nicht nach Deutschland geschafft.“ Huda vermisst Mutter und Schwester sehr. Über Mobiltelefon und PC hält sie Kontakt.

In Gedanken bei den Verwandten

Bald kommen die Sommerferien, dann werde man Fahrradausflüge unternehmen. Huda zeigt ein Handy-Foto. Ein Dokument aus einer anderen Zeit: Es zeigt lachende, gebräunte Kinder in Badekleidung mit einem zufrieden schauenden Vater auf einem Boot im Sonnenuntergang: „Das war in Ägypten.“

Ammar und Huda hängen ihren Gedanken nach. Gerne würden sie ihre Verwandten nach Deutschland holen, aber dazu fehlt zum einen das ,,Ja’’ der Ausländerbehörde und zweitens das Geld. Ihr Erspartes und alles, was sie aus dem Verkauf von Schmuck und Autos in Syrien erzielt haben, ging für die Flucht drauf. Für Schlepper, Pässe, Wohnung und für die Passage auf einem rostigen, überladenen und vor allem lebensgefährlichen Schiff übers Mittelmeer.

Das heißt: Eine Familienzusammenführung wird es nicht geben – es sei denn für ein paar Tage in der Türkei. Dorthin können Syrer ohne Visum reisen. Im April war Ammar dort – zusammen mit dem jüngsten Spross Yusef. „Es war schön“, erinnert er sich. „Ich habe meinen Brüdern und meiner Mutter Yusef gezeigt.“

Lela wechselt aufs Gymnasium

Das Geld hat sich Ammar geliehen, von einem Syrer, der in Duisburg lebt und ein Restaurant betreibt. „Der ist ein Freund. Als wir in Griechenland auf Kreta in einem Flüchtlingslager lebten, haben wir ihn kennengelernt. Er hat dort Urlaub gemacht.“ Er ist den Refais eine große Hilfe.

Nur in einer Angelegenheit muss auch er passen. Die Spuren der Folter, die Ammar in Syrien im Gefängnis erlitten hat, kann er nicht tilgen. Der Ersatz für die ausgeschlagenen Zähne sprengt auch sein Budget. Ammar verdrängt die Sorge. Denn jetzt gibt’s Ferien. Alia wird nach einem knappen Jahr in einer Auffangklasse auf die Gesamtschule und Lela auf ein Gymnasium wechseln. Ammar und Huda lächeln.