Veröffentlicht inPolitik

Aufruf eines „Tempelritters“

Aufruf eines „Tempelritters“ zum Hass

Anders Behring Breivik, der Attentäter von Oslo, schrieb ein Hass-Pamphlet gegen den Islam aus dem Internet zusammen. Schwedischer Antirassismusexperte fordert eine bessere Beobachtung islamfeindlicher Extremisten.

Stockholm/Essen. 

Über Jahre hat er erlebt, wie sich Europa verändert. Hat als „Andrew Berwick“ ein Manifest verfasst, das mit den Demokratien der alten Welt ins Gericht geht und aufruft zum Anti-Dschihad, auch mit Feuer und Schwert. 1518 Seiten dick ist „2083 – Eine europäische Unabhängigkeitserklärung“, Anders Behring Breivik, selbst ernannter „Tempelritter“ gegen Marxisten und Muslime, stellte sie vor den Attentaten ins Internet und schickte sie rechtsextremen Organisationen in ganz Europa zu.

Ausführlich legt der mutmaßliche Massenmörder dar, wie der Islam angeblich Einfluss gewinnt in „Eurabia“. Schuld daran seien Politiker in Frankreich, Spanien und Italien, die mit dem EU-Verfassungsvertrag „offene Türen schaffen, damit Muslime aus Nord­afrika hereinkommen“.

Zwar gehöre die deutsche Kanzlerin zu den „am wenigsten schlimmen unter den Staatenlenkern“. Zugleich kritisiert Breivik ihre zögerliche Haltung in der Debatte über die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Merkel sei eine „von den verräterischen europäischen Marionettenführern der aktuellen Weltordnung“, die sich der „Tyrannei“ der USA unterworfen hätten.

Deutschlands Parteien – SPD, CDU, FDP, Linke, Grüne und CSU – bezeichnet er als „kulturelle ­Marxisten/selbstmörderische Humanisten/kapitalistische Globalisten“, die Bundesrepublik sei „eines der Länder, das keine ernstzunehmende kultur­konservative und Anti-Islamisierungspartei hat.“

„Eine politische Freudendame“

Im Netz hatte Breivik den EU-Vertrag genannt, mit dem Europas führende Politiker wie Sarkozy und Merkel die Nationalstaaten entmachten wollten. Er wolle ihn mit aller Macht bekämpfen. In letzter Zeit hatten sich deutsche Neonazis ganz ähnlich geäußert. Danach sei Merkel „eine politische Freudendame“, die mit den Hilfen für Griechenland das „jüdische Finanzinstrument“ zum Herrschaftsinstrument über Europa machen wolle.

Breiviks Thesen sind zumeist weder neu noch stammen sie aus seiner Feder. Große Teile des „Manifests“ hat er aus diversen Internetforen und Blogs abgekupfert. So zitiert er über weite Passagen Texte des Una-Bombers John Kaczynski; der Wissenschaftler hatte über Jahre Briefbomben verschickt, die 26 Menschen töteten und verletzten – sein „Protest“ gegen die Technikgläubigkeit der USA.

Rechtsaußen-Parteien gehen auf Abstand

Andere Quellen sind Blogs erklärter Islam-Gegner oder Rechtsaußen-Parteien in Norwegen, Schweden, Finnland oder den Niederlanden, die nun erschreckt betonen, sie hätten mit Breivik absolut nichts zu tun gehabt. Auch der Berliner Publizist Henryk M. Broder taucht wiederholt auf in dem Manifest „2083“ auf. Insgesamt, so erklärte Broder dazu dem Berliner „Tagesspiegel“, stimmten die ihm zugeschriebenen Zitate, Sorgen bereite ihm das weltweite Erscheinen in dem Zusammenhang nicht.

Die rechtsextremistische Ideologie ist in den letzten Jahren gewaltbereiter geworden, sagt der schwedische Antirassismusexperte Johannes Jakobsson von der schwedischen Zeitschrift „Expo“. Die beobachtet seit 1995 die rechtsradikale Szene im Land, bis 2004 wurde sie von dem Krimi-Autoren Stieg Larsson geleitet. „Dieses Ausmaß von Gewalt ist völlig ­unerwartet“, so Jakobsson. Die antiislamischen Bewegungen in Schweden und Norwegen seien bekannt für ein gewisses Maß an Gewalt­bereitschaft, „aber nicht in diesem Maß.“

Neu ist die Gewalt gegen Sozialdemokraten

Dass sich die Gewalt diesmal gegen Sozialdemokraten richtete, sei eine neue Qualität. „Dahinter steckt die Vorstellung: Die Sozialdemokraten haben ihr Land verraten, indem sie die Ausländergesetzgebung liberalisiert und die Muslime ins Land gelassen haben.“ Jakobsson hofft, dass hinter dem Täter kein Netzwerk steht.

„Immerhin gehen jetzt Rechtsextremisten und Rechtspopulisten auf Distanz zu ihm. Sie bezeichnen die Tat als schrecklich. Das fällt ihnen schwer, weil sie selbst eine ­radikale Rhetorik entwickelt haben.“

Die Gesellschaft müsse offen bleiben, sollte sich aber stärker auf die Gewalt von rechts konzentrieren: „Die Sicherheitskräfte sollten solche Extremisten besser beobachten. Gleichzeitig sollten wir eine härtere Haltung gegen solche Rhetorik einnehmen, die eine solche Tat erst möglich gemacht hat.“