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Als die Amerikaner das Revier befreiten

Als die Amerikaner das Revier befreiten

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Foto: Ralf Blank
Mit der Rheinüberquerung begann vor 70 Jahren eine der letzten großen Schlachten. Der Westen leistete kaum Widerstand, der Osten kämpfte „bis zum letzten Mann.“

Ruhrgebiet. 

Karl-Heinz Bonmann war 17, als das Ruhrgebiet seine letzten Kriegstage durchlitt. Ein junger Mann, der schon ein Jahr als Luftwaffenhelfer hinter sich hatte, der am Ende gar desertiert war. Doch als der Oberhausener neben seinem Vater dem jungen US-Kommandeur entgegengeht, durch die Straßen des Stadtteils Lirich, die von eilig abgerissenen Hakenkreuz-Armbinden und Fahnen übersät sind, da schlottern ihm die Beine. „Wir wollten ihm sagen, dass es in Lirich kein Militär mehr gibt, dass die Bunker voll sind mit Frauen, Kindern und Kranken“, erinnert sich Bonmann und ergänzt: „Die Bevölkerung war am Ende!“

So war es in Oberhausen, so war es fast überall im Ruhrgebiet. Seit dem 1. April, seit die Alliierten das Ruhrgebiet komplett eingekesselt hatten. Die Jahre des Krieges, die heftigen Luftangriffe hatten die Bevölkerung zermürbt. Es fehlte an Nahrungsmitteln, an Wohnraum; die Nächte verbrachten die Menschen aus Angst vor neuem Bombardement schlaflos. Am 24. März hatten die Truppen den Rhein bei Wesel überquert, zwei Wochen früher bereits im Süden, bei Remagen. „Das war der Moment, in dem US-Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower beschloss, das Ruhrgebiet einzuschließen, es in einer Großzangenbewegung einzunehmen“, erklärt der Hagener Historiker Ralf Blank.

Ruhrgebiet wurde eingekesselt

Der „Ruhrkessel“ sollte eine der letzten großen Schlachten des II. Weltkrieges werden. Dabei war die Region durch die Luftangriffe der Jahre zuvor größtenteils schon völlig zerstört. „Apokalyptisch!“, so beschreibt Blank die Lage in Städten wie Dortmund und Essen, die im März noch einmal schwere Luftangriffe erlebten. 5000 Tonnen Bomben seien allein in Dortmund in nur einer Dreiviertelstunde niedergeprasselt. 1000 Menschen starben. Krupp in Essen lag seit Spätherbst völlig lahm, spielte als Rüstungsbetrieb keine Rolle mehr. Dennoch hatte auch Essen Mitte März noch einmal ein finaler Luftschlag getroffen, ein Angriff mit 1000 Maschinen.

Viele Reserven gab es also nicht mehr im Ruhrgebiet. Millionen von Zivilisten und angeblich 300 000 deutsche Soldaten der Heeresgruppe B standen 250 000 Soldaten der 1. und der 9. US-Armee gegenüber. Die von Norden und Süden drängenden Armeen drückten den Kessel auf wenige Kilometer zusammen. Die Städte darin ergaben sich gerade im Westen meist ohne großen Widerstand, wurden schlicht überrollt. Als ein „mopping up“, als ein „Aufwischen“ der deutschen Verteidiger, empfanden die anrückenden US-Truppen ihre Eroberung.

Die Warnung lautete: Verlasst das Ruhrgebiet

Nach und nach fielen die Städte. Bereits am 2. April waren Sterkrade, Bottrop, Gelsenkirchen-Horst, Herten und Recklinghausen von US-Truppen besetzt. Doch immer noch flogen die Jagdbomber der Air Force ihre Angriffe, gleichzeitig erlebten die Menschen im Ruhrgebiet zum ersten Mal Artilleriebeschuss.

„An die Zivilbevölkerung des eingekesselten Ruhrgebiets“ richteten sich die Millionen von Flugblättern, die die US-Truppen beinahe täglich aus zweimotorigen B-26-Maschinen regnen ließen: „Die nationalsozialistischen Führer werden den Krieg nicht überleben, folglich ist ihnen die Vernichtung der Lebensmöglichkeiten von Millionen nach dem Krieg gänzlich gleichgültig . . .“ Die Warnung an die Menschen im Kessel war unmissverständlich: Verlasst das Ruhrgebiet!

Einzig der Osten leistete noch Widerstand. Hagen, Hamm und Soest etwa, wo der Gauleiter Albert Hoffmann, ein erst 37-jähriger Mann, als Hitler-Getreuer Kampf bis zum letzten Mann befahl. Das untergehende Regime aktivierte seine letzten Reserven: Waffen-SS, Volkssturm, Hitler-Jugend und Freikorps. Und so forderte der Ruhrkessel dort noch viele Menschenleben, schließlich hatten die Gauleiter angeordnet, dass „die Eindringlinge bei der Eroberung Ströme von Blut opfern müssen“.

US-Offiziere nahmen Alfried Krupp fest

Längst hatte die vom Krieg paralysierte Bevölkerung „keine Kraft mehr, wollte nur noch überleben“, so der Historiker Ralf Blank. Längst hängten die Menschen weiße Fahnen und Bettlaken aus den Fenstern, ergaben sich. Des Krieges müde, besorgt, was nun auf sie zukommen würde.

Die US-Truppen eroberten, befreiten Dortmund zwischen dem 7. und 13. April, Bochum am 10. April. Am 11. April fuhren US-Offiziere in ihren Jeeps hoch auf „den Essener Hügel“, um Alfried Krupp festzunehmen. Die Filmaufnahmen sind bis heute von hohem Symbolwert. Einen Tag später hatte die 17. US-Fallschirmjäger-Division auch die Essener Innenstadt und Duisburg eingenommen.

Endlich wieder durchschlafen

Die NSDAP, ihre Parteisoldaten in den Verwaltungen, sie hatten für diese Tage geradezu putzige Deckwörter erdacht. Das Stichwort „Teufel“ signalisierte, alle Geheimsachen zu vernichten, „Eidechse“ stand für die Räumung der Stadt, „Hexe“ dafür, dass alle Mitarbeiter von Behörden das Gebiet verlassen mussten und „Jahrmarkt“ für die Auflösung der Zwangsarbeiterlager.

Karl-Heinz Bonmann, der heute 87-jährige Oberhausener, erinnert sich gut daran, wie es in jenen Bunkern der Stadt aussah, die Bergleute in die Halden gebuddelt hatten: „Läuse, Flöhe, Keuchhusten. Eine riesige Krankenstation ausgelaugter Menschen.“ Über sich selbst sagt er, bei der Befreiung keine Glücksgefühle verspürt zu haben. Er habe sich allenfalls darüber gefreut, endlich wieder durchschlafen zu können.