Im Interview mit unserer Redaktion klärt Populismus-Experte Marcel Lewandowky darüber auf, warum er den Begriff „Rattenfänger“ für falsch hält – und weshalb AfD-Anhänger sich als die wahren Demokraten im Land sehen.
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Im Mai erschien von Marcel Lewandowsky das Sachbuch „Was Populisten wollen. Wie sie die Gesellschaften herausfordern – und wie man ihnen begegnen sollte“ bei Kiepenheuer & Witsch. Das Buch hat 336 Seiten und 20 Euro als Paperback bzw. 16,99 Euro als E-Book.
Interview mit Populismus-Experte Lewandowsky: „Kein reiner Taschenspieler-Trick“
Die Rhetorik von Alice Weidel ist oftmals ziemlich scharf, polemisch und aggressiv. Für ihre Gegner wirkt ihre Sprache oft regelrecht abschreckend. Sie schreiben in Ihrem Buch jedoch, dass diese Reden für die Zielgruppe, also die eigene Anhängerschaft, erlösend wirken. Wie meinen Sie das?
Marcel Lewandowsky: Die Zielgruppe ist wütend. Sie ist oftmals von der Vorstellung getragen, dass sie die schweigende Mehrheit bildet und von denen da oben unterdrückt wird. Die Menschen, die diese Parteien wählen, glauben das wirklich. Diese aggressive Rhetorik entlädt und artikuliert die Wut dieser Wählerinnen und Wähler gleich mit. Wir müssen wegkommen von der Überzeugung, der Populismus ein reiner Taschenspieler-Trick ist. Nein, der Populismus kann eine Überzeugung sein.
Sie haben ein Problem mit dem Begriff des “Rattenfängers”, wenn von Populisten die Rede ist. Wieso?
Weil er suggeriert, dass der Populist den Menschen etwas eintrichtert, woran sie eigentlich gar nicht glauben. Der Rattenfänger von Hameln hat die Kinder praktisch in Trance gespielt. Die Populisten machen etwas anderes: Sie lügen und sie agieren zwar mit rhetorischen Finten, aber das, wofür sie inhaltlich stehen, entspricht der Einstellung ihrer Wählerinnen und Wähler. Es ist die Ablehnung bestimmter demokratischer Prozesse. Die Ablehnung von Migration und Migranten. Die Idee, dass das Volk sich erheben müsste, damit endlich wahre Demokratie herrschen kann. Die Populisten machen diesen Menschen ein für sie passendes programmatisches Angebot.
„AfD darf auch nicht nur einen Fuß in Institutionen bekommen“
Also gibt es ein gegenseitiges Missverstehen? Die Menschen, die im Januar und Februar zu Hunderttausenden gegen die AfD demonstrieren, sind überzeugt davon, die Demokratie zu verteidigen. Sie sagen, die Anhänger der AfD sehen sich ebenfalls als die wahren Demokraten an.
Grundsätzlich ist es schon so, dass ich denjenigen, die gegen die AfD demonstriert haben, ein pluralistisches Demokratieverständnis unterstelle. Auf der Gegenseite sind da Menschen, die mit bestimmten Bestandteilen unserer Demokratie wie der Gewaltenteilung oder der Idee des Pluralismus Probleme haben.
Was kann man gegen diese gesellschaftliche Spaltung tun?
Kurzfristig muss man sich damit abfinden, dass viele Menschen nicht zu erreichen sind. Sie sind in ihren Vorstellungen eingemauert. Weder etablierte Medien, noch Arbeitskollegen oder Mainstream-Parteien kommen hinter diese dicken Mauern. Daher muss es zunächst darum gehen, Institutionen wie Verfassungsgerichte zu schützen. Rechtspopulisten sagen sehr deutlich, was sie bei einer Regierungsübernahme machen wollen. Sie wollen die Kultur- und Bildungspolitik verändern. Die AfD hat eine eindeutige Agenda. Es muss deshalb verhindert werden, dass sie durch irgendeine Art von Regierungsbeteiligung auch nur einen Fuß in diese Institutionen bekommt.
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Und was kann man langfristig tun?
Da muss man klären, warum das Thema Migration für einen Teil der Menschen so wichtig ist, dass sie Rechtspopulisten wählen. Die Einstellungen der Menschen waren immer schon da, aber durch die Krisenwahrnehmung und die Vorstellung, dass der eigene soziale Status bedroht ist, werden sie aktiviert. Es geht darum, das Vertrauen in die Demokratie wiederherzustellen.