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Jahrestag der Columbia-Katastrophe – Witwer verarbeitet Unglück auf besondere Weise

Zehnter Jahrestag der Columbia-Katastrophe

Am 1. Februar 2003 explodierte die US-Raumfähre Columbia in einem gewaltigen Feuerball. Alle sieben Crew-Mitglieder starben. Jonathan Clark, Mann eines der Opfer, versucht seitdem das Unglück auf ganz eigene Weise zu verarbeiten. Jetzt jährt sich die Katastophe zum zehnten Mal.

Washington. 

Iain Clark wollte nie, dass seine Mutter in den Himmel kommt. Nicht so. „Ich vermisse dich, Mama. Ich will mit Dir in meiner Burg kuscheln. Komm schnell nach Hause. Ich vermisse Dich Millionen und Millionen Mal. Mehr als alle Sterne des Universums. Ich vermisse Dich so sehr, dass ich gestern Nacht geweint habe.“

Die E-Mail, die sein damals achtjähriger Sohn in die Raumfähre Columbia schickte, zusammen mit einem Foto von Hamster Tim und Hund Addie, wird Jonathan Clark nie vergessen. „Er hatte Angst um sie, er war von Anfang dagegen, dass sie fliegt“, sagte der 59-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung, „aber es war genau das, was sie liebte und ich würde sie wieder gehen lassen, wenn ich könnte.“

Laurel Clark (41) war für physikalische Experimente zuständig an Bord der Raumfähre Columbia, die am 1. Februar 2003 exakt 16 Minuten vor der geplanten Landung beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wegen eines kaputten Hitzeschildes verglühte. Alle sieben Crew-Mitglieder starben.

Überreste der Raumfähre verteilten sich auf 3000 Quadratkilometern

Jonathan Clark, damals Mediziner bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa, geht bis heute einen besonderen Weg, um mit dem Tod seiner Frau fertig zu werden. „Ich habe mir geschworen, jene zu widerlegen, die damals sagten, jede Hilfe wäre zwecklos gewesen.“

Rückblick: Die Space-Shuttle-Mission STC-107 war bereits beim Start verflucht. Weil ein aktenkoffergroßer Teil der Schaumstoff-Isolierung eines Tanks abgebrochen war, den linken Vorderflügel beschädigte und die Bodencrew die Alarmsignale übersehen hatte, stand der Rückflug unter einem denkbar ungünstigen Stern. Mit rund 28.000 Stundenkilometer tauchte der Raumgleiter in die Erdatmosphäre ein. Die Luftreibung ließ den Hitzeschild erglühen, Plasmazungen schlugen bis zu den Cockpitfenstern hoch, fraßen ein Loch in die Aluminiumhaut.

Um 8.59 Uhr funkte Pilot Rick Husband ein letztes Signal zur Bodenstation nach Houston. Dann brach der Kontakt ab. In einem fast 3000 Quadratkilometer großen Gebiet von Kalifornien bis Louisiana verteilten sich die Überreste der Raumfähre und ihrer Besatzung. „Iain hat mich sofort gefragt, warum Mama nicht abgesprungen ist“, erinnert sich Jonathan Clark. Gemeinsam war das Ehepaar oft als Fallschirmspringer unterwegs.

Der Abschlussbericht dokumentiert Versagen und Wegsehen

Während sich viele Angehörige der Opfer zurückziehen in ihrem Schmerz, geht Clark dahin, wo es am meisten wehtut. Er meldet sich für die Untersuchungskommission, die das Unglück akribisch untersucht und ist so jeden Tag mit Laurel zusammen. Fünf Jahre lang. Bis 2008, dann liegt der 800-seitige Abschlussbericht vor. Er enthält krasse Nachweise von Versagen und Wegsehen.

Clarks Anteil: Verbesserungsvorschläge für die Sicherheitsausrüstung. „Die Raumanzüge waren unzulänglich.“ Clark kennt das Was-wäre-wenn-gewesen-Dilemma. Trotzdem sagt er im Rückblick: „Hätte man das Loch im Flügel provisorisch stopfen können, wäre die Columbia langsamer Richtung Erde gekommen und wären optimale Sicherheitsanzüge vorhanden gewesen – ein Rettungssprung mit dem Fallschirm hätte Leben retten können.“

Seine wissenschaftliche Kärrnerarbeit, „für mich war es Therapie“, half Iain bei der Trauerbewältigung nicht. Vater und Sohn wird die Nähe zu viel. „Irgendwann wollte er nicht mehr auf mich hören“, sagt Clark. Heute ist der 18-Jährige in einem Internat in Arizona. Iain Clarke will später Meeres-Biologe werden. Eine Reminiszenz. Seine Mutter war vor der Raumfahrt Ärztin auf U-Booten der Marine.

Beim Weltrekord-Sprung von Felix Baumgartner ist der Witwer Team-Arzt 

Jonathan Clark hat die Nasa 2008 mit professionell abgekühltem Zorn verlassen. Nach der Challenger-Katastrophe 1986 und Columbia bestand für den heute an der Baylor-Universität unterrichtenden Raumfahrt-Mediziner kein Zweifel mehr. „Die Nasa muss ihre Kultur ändern. Die Überlebenschancen von Astronauten haben von Anfang an ganz oben zu stehen.“

Manches von dem, was Clark herausgefunden hat, fließt bereits ein in das neue Orion-Projekt, das voraussichtlich 2021 vier Astronauten in noch nie erforschte Tiefen des Alls bringen soll. Clark wollte nicht warten. Der Plan des Österreichers Felix Baumgartner, der im Oktober vergangenen Jahres als erster Mensch einen Fallschirmsprung aus der Stratosphäre wagte und dabei die Schallmauer durchbrach, beschäftigte den Wissenschaftler seit den Anfängen 2008.

Als Team-Arzt hat Clark zum Nachweis beigetragen, dass Sprünge aus Höhen von fast 40 Kilometern mit geeignetem Material überlebt werden können. „Baumgartner war für mich der Versuch, etwas Gutes aus einer Katastrophe zu ziehen.“

Columbia-Opfer schickte Sohn eine letzte E-Mail

Zum zehnten Jahrestag hat Jonathan Clark das Weite gesucht. Gedenkveranstaltungen, wie sie am 1. Februar in Washington und Houston stattfinden, sind „nicht meine Sache“. Er verbringt den Tag mit Rona Ramon in der Nähe von Tel Aviv. Die Witwe von Ilan Ramon, damals an Bord der Columbia der erste israelische Astronaut, hat ein Buch über ihre Trauer veröffentlicht.

Jonathan Clark denkt auch darüber nach, sich „endlich alles von der Seele zu schreiben – mir kommt es vor, als sei es erst gestern passiert“. Eine Passage würde darin nicht fehlen. Nach Iains E-Mail antwortete Laurel Clark damals sofort: „Deine Mail zu lesen war das Schönste an diesem Tag…Ich kann es auch nicht abwarten, mit Dir zu kuscheln… Ich kann es nicht abwarten, euch beide in etwa 24 Stunden zu sehen…Wir räumen schon alles zusammen…Und dann werden wir noch mal über die Landung sprechen und alles üben. Alles Liebe, sei Millionen Mal umarmt und geküsst, Mom.“