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Iren-Pate James „Whitey“ Bulger verpfiff Italo-Mafia

Iren-Pate James „Whitey“ Bulger verpfiff Italo-Mafia

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File booking photo of former mob boss and fugitive James "Whitey" Bulger, who was arrested in Santa Monica in 2011 Foto: rtr//U.S. Marshal's Service
James „Whitey“ Bulger genoss den Ruf eines wohltätigen Ekelpakets. Er inszenierte sich in der irischstämmigen Bevölkerung von Boston als moderner Robin Hood, galt aber als ein eiskalter Killer und verpfiff die Italo-Mafia bei der US-Justiz. Jetzt steht Bulger vor Gericht.

Washington/Boston. 

Mit Frank Costello war nicht zu spaßen. Der Kopf einer Unterwelt-Bande in Boston erledigte sein Geschäft – Erpressung, Drogen, Morde, Waffen und Wetten – mit eiserner Hand. Bei der Polizei hielt ein Maulwurf für ihn die Ohren auf. In dem Hollywood-Film „The Departed“ spielt Jack Nicholson diesen Costello, diabolisch und widerlich anziehend zugleich. Am Ende stirbt er im Kugelhagel.

Im wahren Leben sitzt Costellos Vorbild seit anderthalb Monaten wochentags im orangefarbenen Gefängnis-Overall im Bostoner Bezirksgericht, streicht sich durch den Bart und tut teilnahmslos, während die Staatsanwaltschaft Schicht für Schicht sein Kerbholz abträgt.

James Bulger, Jahrgang 1929, genannt „Whitey“, werden offiziell 19 Morde zur Last gelegt. Der hagere, nur 1,70 Meter große Mann hatte es verstanden, 16 Jahre lang auf der Flucht zu bleiben, bevor ihn eine Nachlässigkeit aus seinem Versteck im kalifornischen Santa Monica hinter Gitter brachte.

Er tötete die 26-jährige Geliebte – und legte sich zum Nickerchen hin

Der Chef der irisch-stämmigen „Winter Hill Gang“ war brutal, jähzornig und skrupellos. Manchen Opfern schoss er laut Anklage nach kurzem Disput eine Kugel in den Kopf. Andere schlug er tot. Manche Leichen warf er in die Kanalisation. Andere vergrub er am Strand von South Boston. Solche Details wurden der Öffentlichkeit zuletzt jeden Tag dargeboten, als Staatsanwalt Brian T. Kelly einen Weggefährten Bulgers nach dem anderen in den Zeugenstand rief.

Stephen Flemmi (79), genannt „das Gewehr“, schilderte den zwölf Geschworenen mit dunkler Stimme, wie Bulger 1981 seine 26-jährige Geliebte erwürgte. Und sich danach zum Nachmittagsnickerchen hinlegte. Der Angeklagte dementierte nicht, beschied seinen alten Kumpel allerdings mit allerlei Obszönitäten, die ihm Ordnungsrufe von Richterin Denise Casper einbrachten.

Zeuge erschien nicht zum Prozess – dann fand man seine Leiche

Für Magendrücken im Zuschauerraum sorgte auch die Personalie Stephen „Stippo“ Rakes. Der 59-Jährige war als Zeuge geladen. Bulger soll ihn 1984 (mit geladener Waffe an der Schläfe) überredet haben, sein Spirituosengeschäft aufzugeben. Rakes erschien nicht zum Prozess. Ein Jogger fand seine Leiche letzte Woche. Reicht „Whiteys“ Arm immer noch so weit, um Rivalen mundtot zu machen?

Bulgers Gangster-Karriere, vor allem sein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, hat in den USA Bücher, Filme und Fernseh-Serien inspiriert. Weil sein Bruder William lange Zeit als Politiker den Senat des Bundesstaates Massachusetts beherrschte und später Präsident der dortigen Universität war, lag laut Bulger-Spezialist Kevin Cullen vom „Boston Globe“ der Verdacht nahe, höchste Kreise hielten ihre schützende Hand über den Schwerverbrecher.

In seinem Viertel genoss der Gangster den Ruf eines Robin Hood

Dabei war es „nur“ John Connolly, ein von Bulger bezahlter Spitzel beim FBI. Er verhalf dem Paten 1995 zur Flucht. Sie endete im Juni 2011 an der Westküste, wo Bulger über ein Jahrzehnt unerkannt gelebt hatte. Per Zufall hatte eine ehemalige Friseurin auf Fernsehbildern seine Lebenspartnerin erkannt. Bei der Festnahme fanden die Polizisten 30 Feuerwaffen in der Wohnung. Und 800.000 Dollar.

Der gebürtige „Southie“, so nennen sich die Bewohner des Armenviertels von Boston, genoss in Teilen der irisch-katholisch geprägten Bevölkerung den Ruf eines Robin Hood. Arbeiterfamilien spendierte er den Thanksgiving-Truthahn, alleinstehenden Müttern steckte er monatliche Schecks zu.

Dass er selbst ein doppeltes Spiel aufführte, brachte im Prozess jetzt erneut Kevin Weeks zur Sprache, einst die rechte Hand Bulgers und später Autor des Buches mit dem Titel „Brutal“, das Martin Scorsese zu seinem Film „The Departed“ inspirierte. Weeks sagte, was Kriminologen früh wussten. Bulger war eine „Ratte“, er steckte dem FBI regelmäßig Informationen über rivalisierende Italo-Mafia-Netzwerke.

Nach 63 Zeugen der Anklage hat seit Montag die Verteidigung das Wort. Und „Whitey“ Bulger.