Seit 30 Jahren vergibt Ulrich Spies die Grimme-Preise. Einer der Preisträger ist in diesem Jahr ZDF.-Moderator Thomas Gottschalk. Er rollt am Freitag gegen 18 Uhr am Stadttheater vor.
Marl.
Er hat sich „von oben nach unten vorgearbeitet“, wie er schelmisch kalauert. Sein plakatgeschmücktes Keller-Büro nennt Ulrich Spies die „Grimme-Welt“. Der promovierte Sozialwissenschaftler hat Recht: Seine Welt ist der Grimme-Preis. Institutsleiter kamen und gingen – Spies blieb. An diesem Freitag ist der 63-Jährige zum 30. Mal der Mann hinter der wichtigsten Auszeichnung des deutschen Fernsehens.
1981 stieg der gebürtige Siegener beim Grimme-Institut in Marl ein. Der bekennende Sozialdemokrat der Willy-Brandt-Generation kannte sich bestens aus mit organisatorischen Fragen. Zuvor war er Kopf eines Teams von Hochschul-Experten, die für die damalige sozialliberale Bundesregierung ein Konzept erarbeitete, wie sie die Arbeitsabläufe in ihren Büros verbessern könne. Daraus wurde nichts. Das Papier scheiterte an Widerstand des Apparates.
Per Zufall sah Spies ein Stellenangebot in der „Zeit“. Das Grimme-Institut suchte einen Experten, der für die Verleihung des Medienpreises verantwortlich zeichnen sollte. Spies zögerte, seine Frau nicht. Sie sah eine Chance für ihren Mann, sich und ihre beiden gemeinsamen kleinen Söhne.
Spies bewarb sich, zu seiner Überraschung mit Erfolg. „Später habe ich erfahren, dass ich mich gegen 90 Bewerber durchgesetzt habe“, erzählt der breitschultrige Medienexperte, und seine Augen leuchten vor Stolz.
Damit kam Spies in die Stadt zurück, in der er aufwuchs. Seine Jugend war nicht immer leicht. Als seine Familie ins Vest zog, war Spies vier Jahr jung – und er sprach den Dialekt seiner siegerländischen Heimat. Ein Dialekt mit hart rollendem R, über den der ehemalige WDR-Hörfunker Klaus-Jürgen Haller einst lästerte, im Siegerland werde das beste Englisch gesprochen. „Die Jungs haben mich deswegen gehänselt“, gibt Spies zu, der längst das Standard-Deutsch der „Tagesschau“ spricht.
Apropos „Tagesschau“. Den Info-Sendungen fühlt sich Spies („Ich bin ein politischer und ein gläubiger Mensch“) besonders verpflichtet. Kein Wunder, dass er den Start des Privatfernsehens 1984 als Kulturschock erlebte. Bildschirm-Müll wie die RTL-Stripshow „Tutti Frutti“ hält Spies nach wie vor für „Sodom und Gomorrha“.
So apokalyptisch wie ehedem urteilt er heute nicht mehr über werbefinanzierte Sender wie RTL und Sat.1. „Das Privatfernsehen hat in weiten Teilen positiv gewirkt“, befindet Spies, „es hat den Öffentlich-Rechtlichen Impulse gegeben.“ Einerseits.
Andererseits bemängelt der Herr der Grimme-Preise, im Fernsehen, gleich ob öffentlich-rechtlich oder privat, sei die Quote zum „Fetisch“ geworden. Und dabei hebt der sonst so besonnene Mann die Stimme: „Das war das Schlechteste, was dem Fernsehen passieren konnte.“ Quote messe Masse, nicht Klasse. Um die Qualität von Programmen zu beurteilen, sei die Quote gänzlich ungeeignet.
Was ist Qualität?
Ulrich Spies misst Qualität am gesetzlichen Auftrag des Rundfunks. Der Gesetzgeber spricht von Information, Bildung und Unterhaltung. „Das Fernsehen von heute“, meint Spies, „hat die Reihenfolge verkehrt: Erst kommt die Unterhaltung, dann die Information und zum Schluss, vielleicht, noch die Bildung.“
Misstrauisch sieht Spies aber auch den Einfluss der Politik auf Personal und Programm bei den Öffentlich-Rechtlichen, wie zuletzt im Fall Brender beim ZDF zu besichtigen. „Die Politik sollte sich aus den Sendern rausziehen. Es reicht, wenn die gesellschaftlichen Gruppen in den Gremien vertreten sind.“